18. Salzburg Europe Summit: Seltene Einigkeit in EU-Krise und Erweiterungsfrage

Olga Stefanishyna, Vize-Premierministerin, Ukraine in der Liveschaltung aus Kiew.

SALZBURG – Seit Jahren folgt in Europa Krise um Krise. Finanz- und Wirtschaftskrisen wurden von Gesundheitskrisen abgelöst, auf die wiederum mit einer Kriegskrise und damit verbundenen Nahrungsmittel-, Energie- und Inflationskriege neue Herausforderungen folgten. Der 18. Salzburg Europe Summit, Österreichs führende europa- und außenpolitische Konferenz, stellte genau deshalb die Frage nach der Lösungskompetenz Europas ins Scheinwerferlicht. In zwei hochkarätigen Panels wurden die EU-Erweiterung und die Krisenlösungskompetenz der EU diskutiert.

Zur Einleitung betonte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, dass die Einigkeit der EU gegenüber Russland weiter bestehen müsse. Der gesamten EU sei klar, dass nie wieder Politik auf europäischen Boden mit kriegerischen Mitteln gemacht werden dürfe, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer. Jetzt sei es die Herausforderung, diese Einheit am Leben zu halten. Die Einheit der Mitgliedstaaten sei ein wichtiges Signal für den, der den Krieg begonnen habe, nämlich die Russische Föderation. Mit Blick auf die EU-Erweiterung betonte der österreichische Bundeskanzler, dass gerade Nordmazedonien Anerkennung dafür verdiene, dass es durch viele Kompromisse alles getan habe, um die Beitrittsverhandlungen möglich zu machen. Österreich sehe sich als „Brückenbauer“ für den Westbalkan und habe sich vehement für den Beitrittsstatus von Bosnien-Herzegowina eingesetzt, der nun auch zuerkannt werde.

Hinsichtlich der Migration kritisierte der Kanzler die Langsamkeit. Es brauche schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und schnelle Rückführungen. Die Europäische Kommission habe Vorschläge auf den Tisch gelegt, diese aber nicht schnell genug umgesetzt, sagte Nehammer.

Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler widersprach den jüngsten Aussagen des ungarischen Premiers Viktor Orban, der gemeint hatte, die Sanktionen würden nicht wirken. „Die Sanktionen wirken dort, wo sie sollen, nämlich in Russland. Es gibt keinen Nachschub westlicher Technologie, das trifft das russische Militär massiv, auch die Luftfahrt und die Industrie“, antwortete sie. Es sei wichtig, jetzt nicht auf russische Narrative hereinzufallen. Die Sanktionen seien alternativlos, denn „der Überfall des Despoten Putin konnte nicht einfach unbeantwortet bleiben“.

Europa wandle sich, etwa durch die Diversifizierung der Energiequellen, aber auch politisch: „Der Brexit hat das bis dahin oft alles dominierende Dreigestirn zwischen Frankreich, UK und Deutschland aufgebrochen. Jetzt bilden sich wechselnde Mehrheiten, denken Sie nur an die frugalen Staaten während der Budgetverhandlungen“. Die Mehrheitsfindung werde somit dynamischer und die Prozesse demokratischer. Zur EU-Erweiterung sagte Edtstadler, es könne auch weiterhin keine Abkürzungen geben. „Die Hausaufgaben sind zu erfüllen“. Österreich werde weiterhin die Staaten des Westbalkan unterstützen.

Die Krisen zeigen, dass wir zu lange unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben, etwa bei der Migration“, kritisierte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Nicola Beer (FDP). Diesen und andere Bereiche hätte man vor zehn Jahren mit mehr Ruhe bearbeiten können, „jetzt ist der Druck groß und wir kommen nicht mehr drum herum“. So sei der Winter eine Herausforderung, die Lösungen erzwinge, etwa die Umstellung der Energieproduktion und eine Diversifizierung der Versorgungspartner. Hinsichtlich Energiefragen sei noch einen weiter Weg zu gehen, etwa bei neueren, sicheren Formen der Kernfusion, die in Europa entwickelt wurden. „Dieser in Europa entwickelte Grips darf sich nicht ins Ausland verlieren“.
Der EU-Beitritt sei nicht nur die beste Option für sein Land, erläuterte der nordmazedonische Vizepremier Bojan Marichikj, man habe gar keine andere. „Wir gehören zu Europa und wollen unseren Beitrag zu Wohlstand und Stabilität leisten. Frieden und Wirtschaftswachstum sind miteinander eng verbunden“, merkte Marichikj, der betonte, wie wichtig es sei, dass die EU am Westbalkan die erste Macht ist, denn sonst würden dies sofort andere anstreben, so Marichikj.

Per Video zugeschalten war die ukrainische Vizepremierministerin, Olga Stefanishyna. Sie berichtete, dass die russischen Angriffe auf die Infrastruktur zu massiven Problemen in der Stromversorgung geführt hätten. Man werde weitermachen und die Infrastruktur wiederaufbauen. Österreich und andere Partner hätten Unterstützung gewährt, dafür sei man dankbar. Mit Blick auf den Kandidatenstatus ihres Landes sagte die für EU-Integration zuständige Spitzenpolitikerin: „Wir bekennen uns demonstrativ zu den europäischen Werten, zur Demokratie, zum Rechtsstaat. Da die Ukraine der russischen Aggression standhalten wird, kämpft sie auch für Europa. Dass Europa immer zu uns stand, hat uns mental geholfen“.

„Die EU beweist gerade, dass sie schnell reagieren kann. Die Erweiterung war bei vielen im Westen in Vergessen geraten, aber jetzt wurde wieder in Erinnerung gerufen, wie dringend sie ist“, analysierte der slowenische Europa-Staatssekretär Marko Štucin. „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie die europäischen Länder auf die derzeitige Krise reagieren würden, wenn es die EU nicht gäbe“. In einer freien und sicheren Gesellschaft zu leben, ergebe sich nicht von selbst, sondern man müsse es erkämpfen. Demokratie, Freiheit und Solidarität zwischen Menschen sollten heilig sein.
Dass Europa nun an einem Scheideweg stehe, betonte die rumänische Sicherheits-Staatssekretärin Simona Cojocaru. „Es handelt sich um einen Angriffskrieg vor der eigenen Haustür“, der eine Zukunftsfrage für die EU sei. „Wir müssen es deutlich sagen, dies ist die größte Sicherheitskrise in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Europa verhält sich solidarisch, das hat Putin überrascht“. Nun gelte es, solidarisch zu bleiben.

Der bekannte christlich-konservative Europaabgeordnete Lukas Mandl betonte, es handle sich um einen Krieg von Putins Russland gegen die freie Welt. „Die bewusst herbeigeführte Hungerkrise dient auch dazu, Europa zu destabilisieren“, warnte Mandl. Mit Blick auf die EU-Erweiterung verwies er darauf, dass die Staaten des Westbalkan nun schon seit gut zwei Jahrzehnten auf konkrete Schritte warten – dies habe unerwünschte, schlimme Folgen, etwa die Einflussnahme Russlands, Chinas und der Türkei in der Region.

Die Historikerin Franziska Davies (LMU München) sprach von einem „Krieg gegen die demokratische Ordnung“, es sei ein neokolonialer, imperialer Krieg. Es offenbare sich immer deutlicher, wie wenig man Russland verstanden habe. „Jahrelang ist zu hören gewesen, dass es nicht gelungen sei, Russland in die europäische Sicherheitsarchitektur einzubauen“, dabei gehe das mit einem Staat gar nicht, der diese Architektur von vornherein ablehnt. Die Behauptung, man habe die Ukraine nach Westen gezogen, sei hanebüchen. Westeuropa sei auf die jahrzehntelange russische Propaganda hereingefallen, dass Ukrainer und Russen ein Volk seien. „Historisch ist das völlig falsch“.

https://www.salzburg-europe-summit.eu/
https://www.ire-institut.eu/

Bildquelle:

  • Olga Stefanishyna_Summit: Julia Hettegger

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.