von KLAUS KELLE
BERLIN/BRÜSSEL/WASHINGTON DC – Der Ton zwischen den USA und Europa wird jeden Tag schärfer, oder sagen wir, zwischen Donald Trump, seiner Administration und der EU in Brüssel.
Die EU-Behörden hatten X (Twitter) in der vergangenen Woche wegen Verstößen gegen die Vorschriften für Online-Inhalte zu einer Geldstrafe von 120 Millionen Euro verurteilt. Der Eigentümer Elon Musk hatte die Strafe auf seiner Plattform zurückgewiesen und als „Schwachsinn“ bezeichnet. US-Außenminister Marco Rubio sieht in der Strafe einen Angriff auf amerikanische Unternehmen.
Nun legt Präsident Donald Trump selbst nach. Die Strafe sei „nasty“ (fies) und er verstehe nicht, wie die EU diesen Schritt rechtfertigen könne, sagte er vor Reportern im Weißen Haus. Europa bewege sich in die falsche Richtung. „Europa muss sehr vorsichtig sein“, teilte der US-Präsident auf seiner eigenen Verkündigungsplattform mit.
In Zeiten der Zerrüttung, die schon beim Thema Russland/Ukraine für jeden erkennbar geworden ist, muss Europa für sich selbst entscheiden, was es zukünftig sein will und kann.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hat heute ausführlich Stellung zu dem kalten Wind genommen, der aus Westen über den Atlantik zu uns herüberweht. Kiesewetter schreibt:
„Diese Administration betrachtet Europa – und speziell die EU – nicht mehr als Partner, sondern in weiten Teilen als strategischen Ballast, als wirtschaftlichen Gegner und als „zivilisatorisch im Niedergang“ begriffen.“
Und weiter:
„Die EU als Ordnungsfaktor wird als feindseliges Konstrukt gesehen, das US-Interessen im Wege steht. Wir sind im ökonomischen Weltbild dieser Administration kein Verbündeter, sondern ein Wettbewerber, den man zur Kasse bitten muss!“
Das kann man so sehen, und es ist wahrscheinlich, dass das so bleiben wird, so lang die Trump-Administration im Amt ist und wohl auch, sollte JD Vance Trumps Nachfolge antreten in zwei Jahren. Zeit also für eine Analyse, welche Rolle die EU-Staaten in diesem globalen Machtgerangel spielen kann. Oder ob sie das überhaupt will.
In einer Welt, die zunehmend von der Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China dominiert wird, stellt sich für Europa also die entscheidende Frage: Kann die Europäische Union (EU) wirtschaftlich und militärisch ein gleichberechtigtes Gegengewicht zu den beiden Giganten bilden?
Die Antwort ist ein klares Ja – zumindest theoretisch
Denn praktisch stehen dem kontinentalen Block immense Hürden im Weg, die vor allem in der Zersplitterung nationaler Interessen liegen.
Ein Riese auf Augenhöhe
Betrachtet man die reinen Zahlen, ist Europa bereits heute eine globale Wirtschaftsmacht. Mit einem kollektiven Bruttoinlandsprodukt (BIP), das fast an das der USA heranreicht und mit China konkurriert, ist die EU die größte Handelsmacht der Welt. Der Binnenmarkt mit seinen rund 450 Millionen weitgehend eher wohlhabenden Konsumenten ist ein ökonomisches Kraftzentrum, das globale Standards setzt.
Die Stärken Europas liegen in seiner hochentwickelten Industrie, seiner technologischen Basis (Maschinenbau-, Automobil- und Pharmaindustrie) und einem starken sozialen Auffangsystem.
Leider hinkt Europa in entscheidenden Zukunftsfeldern hinterher. China und die USA dominieren die Entwicklung bei künstlicher Intelligenz (KI), Halbleiterproduktion und Big Data. Europas Bürokratie und die oft langsame Skalierung von Innovationen (vom Start-up zum globalen Champion) bremsen das vorhandene gute Potenzial aus. Die Abhängigkeit von US-Technologiegiganten in der Cloud-Infrastruktur oder von chinesischen Lieferketten in der seltenen Erden-Versorgung zeigt strukturelle Schwächen auf.
Das Militärische Dilemma: Viel Geld, wenig Schlagkraft
Im militärischen Bereich ist die Diskrepanz zwischen Potenzial und Realität am größten. Wenn die 27 EU-Staaten ihre Verteidigungsbudgets bündeln würden, entstünde die zweitgrößte Militärmacht der Welt nach den USA.
Doch die Realität sieht ganz anders aus. Denn Europa leidet unter extremer Fragmentierung.
Doppelstrukturen und Ineffizienz: Die EU-Staaten unterhalten Dutzende unterschiedliche Waffensysteme (verschiedene Panzertypen, Flugzeugmodelle), während die USA oder China auf wenige standardisierte Systeme setzen. Dies führt zu enormen Ineffizienzen bei Wartung, Ausbildung und gemeinsamer Logistik.
Abhängigkeit von den USA: Die Sicherheit Europas basiert historisch auf der NATO, deren Rückgrat die militärische Stärke der USA ist. Ohne die nukleare Abschreckung und die logistischen Fähigkeiten Washingtons steht Europa blank da.
Fehlender politischer Wille: Ein gemeinsamer europäischer Verteidigungsfonds und die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) sind erste Schritte, aber nationale Egoismen verhindern bisher eine echte „EU-Armee“ oder eine gemeinsame strategische Autonomie.
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat zwar zu einem deutlichem Umdenken und höheren Rüstungsbudgets geführt, doch die geplante Umsetzung wird noch viele Jahre dauern.
Um als gleichwertiges Gegenwicht zu agieren, benötigt Europa vor allem eine stringente Außenpolitik
Die USA und China agieren auf der Weltbühne jeweils mit einer starken Stimme. Europa spricht oft in 27 verschiedenen Dialekten. Ob es um die Haltung zum Nahen Osten, die Sanktionspolitik gegen Russland oder die Investitionsprüfung bei chinesischen Unternehmen geht – die nationalen Interessen kollidieren häufig.
Die Entscheidung liegt bei Europa selbst
Europa kann ein gleichwertiger globaler Akteur werden. Das Potenzial ist reichlich vorhanden, die Ressourcen sind es auch. Was fehlt, ist die politische Entschlossenheit, nationale Souveränität in Schlüsselbereichen (Verteidigung, Außenpolitik, Technologie) zugunsten eines gemeinsamen, schlagkräftigen europäischen Blocks aufzugeben.
Als lose Konföderation bleibt die EU in entscheidenden Momenten schwach, doch einen europäischen Nationalstaat kann niemand wollen, dem die nationale Identität der Mitgliedsstaaten etwas wert ist.
Dazu muss es den Willen und eine straffe Umsetzung geben. Zweifelhaft, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu solch einem Kraftakt fähig ist. Dann schon eher Italiens Giorgia Meloni oder Finnlands Präsident Alexander Stubb, die außenpolitisch seit Monaten bella figura machen und den Kontinent gut repräsentieren, etwa bei Besuchen im Weißen Haus. Und Staaten wie Ungarn und die Slowakei müssen sich entscheiden, ob sie zum Club dazugehören wollen.
Denn ständige Wackelkandidaten schwächen Europa in nicht mehr tolerierbarer Weise. Auch die Herren Orban und Fico müssen begreifen, dass sie zum Westen gehören. Wenn Sie das nicht mehr wollen – gute Reise!
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