Vor 50 Jahren starb die Frau, die die wahre Miss Marple wurde: Margaret Rutherford

Miss Marple und Mister Stringer - unvergessen.

von THILO SCHNEIDER

LONDON – Ich war etwa 20 und besuchte meine Großmutter. Kaum hatte meine Mutter die Wohnung meiner Oma verlassen, ging diese an ihr Buffett und zog sich ein Päckchen Zigaretten heraus. „Ich rauche schon immer – aber sag’s nicht Deiner Mutter“, zwinkerte sie mir mit ihren 72 Jahren zu und machte sich leicht humpelnd auf den Weg auf ihren Balkon, das alte Frankfurter Luder. Und nie hat sie mich dabei mehr an die Dame erinnert, die fast exakt heute vor 50 Jahren verstarb.

„Mylady, wo habt Ihr gelernt, so zu fechten“, fragt der Bösewicht die Seniorin, die ihm soeben die Waffe aus der Hand geschlagen hat. „Britische Fechtmeisterin, 1926“, so oder so ähnlich antwortet die Dame und dieser Satz und diese Szene sind mir aus einem ihrer vier berühmtesten Filme eindringlich im Gedächtnis geblieben. Weil er mit so viel Stolz und so viel Würde vorgetragen wurde. Mit diesen kurzen Worten hat „Miss Marple“ klar gemacht: Auch, wenn sie heute alt ist, sie war einst jung und da war sie ein As und verlernt hat sie nichts.

Die Rede ist natürlich von Margaret Rutherford, die der doch etwas drögen und bedächtigen Romanfigur der Meisterdetektivin von Agatha Christi mit ihrer humorvollen und spritzigen Art einen völlig anderen Charakter verpasste, der bis heute das Bild von „Miss Marple“ prägt. Keine andere „Miss Marple“ kam je wieder an Rutherfords Interpretation heran. Agatha Christie konnte das anfangs gar nicht leiden.

Margaret Rutherford zieht in ihrer berühmtesten Rolle immer noch Zuschauer vor die Fernseher, wenn sie – ganz in schwarz-weiß – mit ihrem Partner (heute würde man „Sidekick“ sagen) „Mister Stringer“ Agatha Christies knifflige Kriminalfälle im Großbritannien der 60er Jahre löst. Die beinharten Fans wissen es natürlich: „Mister Stringer“ kommt in den Romanvorlagen gar nicht vor, aber Margaret Rutherford wäre nicht sie selbst gewesen, wenn sie nicht darauf bestanden hätte, dass ihr sieben Jahre jüngerer Ehemann in den Filmen auch mitspielt. Und so wurde er eben in die Filme hineingeschrieben. Agatha Christie lernte Rutherford schließlich bei Dreharbeiten kennen und schätzen und widmete ihr später den Roman „Mord im Spiegel“.

Erstaunlicherweise wurde das Leben von Margaret Rutherford bisher nie verfilmt, obwohl es aus der Rücksicht spannender als jeder Kriminalroman war, den Christie je geschrieben hat: Geboren wurde sie 1892 in London, ihre Kindheit wurde vom Suizid ihrer Mutter überschattet, die sich, schwanger mit dem zweiten Kind, das Leben nahm. Ihr Vater William Rutherford Benn wanderte wie durch eine Drehtüre in verschiedenen psychologischen Anstalten ein und aus und übergab sie, unfähig, sie zu erziehen oder zu versorgen, der Obhut seiner Schwägerin. Zehn Jahre vor ihrer Geburt hatte er mutmaßlich ihren schlafenden Großvater mit einem schweren Nachttopf im Schlaf erschlagen. Gott segne die Klosettspülung.

Während sich ihr Vater in Indien als Kaufmann durchschlug, erzählte die Pflegefamilie der jungen Margarete, dass sie Vollwaise und ihr Vater in Indien verstorben sei, bis eines Tages in ihrem zwölften Lebensjahr ein fremder Mann vor der Haustüre stand und ihr „schöne Grüße“ von ihrem Vater ausrichtete, der sich einmal mehr in einer psychiatrischen Klinik (damals wertschätzend und respektvoll als „Irrenhaus“ bezeichnet) befand. Ein Schock für das Mädchen, dem seine Tante jetzt nolens volens die etwas herausfordernde Familiengeschichte beichtete. Danach fehlte sie ein halbes Jahr in der Schule, immer in Angst, ihr Vater könne ausbrechen und sie „besuchen“. Ein Plot für einen psychologischen Horrorfilm…

Im „Plottwist“ besuchte Rutherford dann ein Mädchenpensionat, in dem sie Sprech- und Klavierunterricht bekam. Sechs Jahre später kehrte die junge Frau zu ihrer Tante zurück, die mittlerweile Pflegefall war, ihren Vater hat sie nie mehr gesehen. Sie schlug sich als Klavier- und Sprechlehrerin durch und hatte erst mit 33 Jahren ihre erste Rolle in einem Theaterstück.

1936 erhielt Rutherford dann ihre erste Filmrolle, ihr nationaler Durchbruch gelang 1939 in der Rolle der „Mrs Prim“ mit dem Film „Die Wichtigkeit, ernst zu sein“, eine Rolle, die sie auch in der Zweitverfilmung 1952 spielte. Rutherford war prädestiniert für schrullige Rollen, und ich glaube, so, wie sie in ihren Filmen war, war sie auch privat. Ihre Biographin wurde Dawn Langley Simmons, was umso bemerkenswerter ist, weil Rutherford die Dame noch unter dem Namen Gordon Langley Hall kannte und als Mann bei sich aufnahm. Gordon Hall war einer der ersten Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzog. Ein Zeichen für die nicht nur in Filmen gelebte Toleranz Rutherfords, der bei all der Tragik des eigenen Lebens wohl nie der Humor abhanden kam.

Selbst ihr Tod 1972, ausgelöst durch einen zahnärztlichen Eingriff (Bemerkungen über das englische Gesundheitssystem spare ich mir an dieser Stelle), löste einen Kriminalfall aus. Nachdem auch „Mr. Stringer“ ein Jahr später gestorben war, brachte sich, oh süße Ironie des Klischees, ihre Haushälterin mit Hilfe eines gefälschten Testaments in den Besitz ihres Eigentums und verkaufte ihre Wertgegenstände inklusive des Rutherfords 1964 verliehenen Oscars. Anders allerdings als in Kriminalromanen wurde die Täterin nie angeklagt und der Oscar bleibt bis heute verschwunden. Ich vermute, irgendjemand wird in gekauft haben und wenn er nicht eingeschmolzen wurde, landete er entweder irgendwann auf dem Müll oder auf dem Flohmarkt oder ziert heute eine Hausbar in irgendeinem englischen Landhaus. Ich glaube, jede Möglichkeit würde Rutherford, dieser klugen und humorvollen „alten Schachtel“ und Musterbild des englischen Humors, gefallen. Wenn ich es mir aussuchen könnte – ich würde gerne den Pokal der „Fechtmeisterin von 1926“ erstehen. Danke, Frau Rutherford.

(Weitere „Züge ab 16.50 nach Assmonkeycastle“ des Autors gibt´s unter www.politticker.de)  

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Bildquelle:

  • Margaret_Rutherford: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.