Analysten-Gespräch in Budapest: Kann Friedrich Merz auch Themen wie Familie und Lebensschutz?

Liebe Leserinnen und Leser,

was folgt aus dem großen Wahlerfolg Viktor Orbans in Ungarn für die Zukunft der konservativen Idee, für die EU Brüsseler Prägung und für die deutschen Unionsparteien? Das war Gegenstand eines spannenden Gepräches politischer Analysten am Nachmittag in einem Büro in Budapest, bei dem ich dabei sein durfte. Die Teilnehmer kann und will ich hier nicht nennen, ich bitte um Ihr Verständnis!

Einig waren sich aber alle in der Bewertung, dass der vierte Wahlsieg Orbans hintereinander mit 53 Prozent der Wählerstimmen und einer verfassungsändernden Mehrheit im Parlament für seine Fidesz nicht einfach als ein regionales Ereignis durchgewunken werden kann. Die Ungarn mögen ihren kantigen Ministerpräsidenten und dessen konservative Politik ganz augenscheinlich. Und die Demoskopen hatten zwar einen Fidesz-Wahlsieg erwartet, aber auch ein knappes Rennen. Deutsche Mainstreammedien träumten gar vom Kopf-an-Kopf-Rennen, doch davon kann nach einem 53:30-Ergebnis nun beim schlechtesten Willen nicht die Rede sein.

Und die Konservativen und Christdemokraten in Europa schauen sich das Erdbeben von Ungarn natürlich ganz genau an. Ist Konservativismus plötzlich wieder ein Siegermodell? Kann man mit Werten, mit Familie, Innerer Sicherheit und Lebensschutz Wahlen gewinnen? Und mit Atomstrom?

Wird sich Friedrich Merz mit dem Wahlergebnis in Ungarn beschäftigen, fragte einer in unserer Runde vorhin und liefert die Antwort gleich mit: Natürlich wird er das, er wird es sogar müssen, wenn er die Unionsfamilie wieder zu alten Wahlergebnissen führen will. Und kann Merz, der Wirtschaftsmann, der Transatlantiker, der begnadete Redner auch die weichen Themen, die in unseren Milieus relevant sind – Familie und Lebensschutz? Zugegeben, das war eine Frage, die ich selbst gestern so ähnlich in der Runde aufgebracht habe. Die Antwort konnte natürlich niemand geben, das wird die Zeit zeigen. Aber will er überhaupt einen Kurs einschlagen, der wenigstens auch nur ansatzweise mit dem Orbans vergleichbar ist? Kaum einer hält das für möglich.

Jedenfalls haben Ergebnisse in anderen Ländern in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, das Klartext gut ankommt beim Wahlvolk. Denken Sie an Donald Trump, Jair Bolsonaro oder jetzt zum wiederholten Mal Viktor Orban! Klare Kante, ein funktionierendes politisches Koordinatensystem, das dem Bürgern eine echte Auswahlmöglichkeit bietet. Und nicht Asymmetrische Demobilisierung wie in den Merkel-Jahren oft üblich. Zu Deutsch: Im Schafwagen an die Macht rollen oder die bestehende Macht verteidigen. Keine klaren Aussagen, keine ruckartigen Veränderungen, die die Anhänger des Gegners zu mobilisieren drohen. Einfach langweilig den Eindruck erwecken, man werde ja nicht alles anderes machen. Und damit dann gewinnen. Einige Male hat das tatsächlich funktioniert.

Aber Angela Merkel ist trostlose CDU-Geschichte, die Totengräberin einer Union, die immer noch atmet, aber schwer. Die Runde in Budapest war sich immerhin einig, dass die Geschichte, wie eine Sozialistin aus der Uckermark in der rheinisch-katholischen CDU ganz nach oben kommen konnte, noch lange nicht auserzählt worden ist.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.