Berliner Maulhelden: Kritik an manchen „Verbündeten“ ist nicht so einfach

von MARTIN D. WIND

Was ist hier eigentlich los? Am heutigen Samstag wird in Oberhausen der  türkische Ministerpräsident Binali Yildirim zu „seinen Landsleuten“ sprechen. Mehr als 10.000 in Deutschland lebende türkische Gäste werden erwartet. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen Ministerpräsidenten losgeschickt, um die in Deutschland lebenden Türken zur Zustimmung zur faktischen Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in der Türkei zu bewegen. Erdogan nutzt die Gunst der Stunde. Nach einem vermeintlichen Putschversuch im Juli vergangenen Jahres setzt er alles daran, die Türkei vollständig unter seine Kontrolle zu bekommen. Dazu lässt er brutal jegliche Opposition unterdrücken. Wer den großen Präsidenten kritisiert, kann schneller im Gefängnis sein, als er ausatmen kann. Ein Gastwirt, der öffentlich meinte, er würde Erdogan keinen Tee servieren, musste das am eigenen Leibe erfahren: Er wurde wegen Beleidigung eingebuchtet.

Schon jetzt ist die Türkei mehr oder weniger Beute der  Familienclique Erdogans. Religiös verbrämt predigt er einen türkischen Nationalismus und befeuert in seinem Volk Großmachtträume. Unvergessen, wie er 2015 davon schwärmte, Jerusalem erobern zu wollen. Was muss es den Herrscher der Türken gegrämt haben, dass ein anderer sich vor ihm als „Kalif“ bezeichnete und dann auch noch für sich beanspruchte, das „Kalifat“ wieder hergestellt zu haben. Alleine schon solche Beobachtungen sollten in uns demokratisch und tolerant gesinnten Menschen zumindest Unruhe aufkommen lassen.

Schaut man nach Berlin, dann kann man den Eindruck bekommen, die Frühjahrsmüdigkeit habe bereits eingesetzt. Von Seiten der Regierung werden per Sprecher Seibert unlustig ein paar Allgemeinplätze verbreitet, die man auch anlässlich der Eröffnung eines Kindergartens hätte sagen können. Anfang Februar hat Bundeskanzlerin Merkel in Richtung Erdogan einmal „angemahnt“ er solle die Meinungsfreiheit achten. Weiß die Kanzlerin nicht, dass diese in der Türkei faktisch schon abgeschafft ist? Gegenüber dem Verbündeten USA kann diese Regierung ganz anders auftreten. Da freut man sich in der veröffentlichten Meinung schon mal, dass die Verteidigungsministerin bei der Münchner Sicherheitskonferenz dem neuen amerikanischen Verteidigungsminister, James Mattis,  und dessen Präsidenten, Donald Trump, „vors Schienbein getreten“ habe. Da ist man mutig, da bläst man die Backen auf. Es ist ja auch wohlfeil, öffentlichkeitswirksam und kostet nichts oder kaum etwas.

Gegenüber der Türkei und ihrem machtgierigen Präsidenten aber steht viel auf dem Spiel. Wie unberechenbar, skrupellos und brutal er vorgehen kann, zeigt sein Regime im kurdischen Teil der Türkei. Dort hat Erdogan von seiner Armee ganze Dörfer und Städte schleifen lassen, so sich die Kurden nicht seiner Allmacht unterwerfen. Aber auch gegen Christen, Jesiden und Araber tobt er wie ein tollwütiger Hund. Alles, was nicht in sein Weltbild passt, alles was sich ihm in den Weg zu stellen versucht, wird rücksichtslos mit allen Mitteln bekämpft. Und so kann man verstehen, dass Angela Merkel Angst davor hat, den „Irren vom Bosporus“ zu reizen: Er könnte den sogenannten „Flüchtlingsdeal“ platzen lassen. Dann müsste die EU ihre Grenzen zu Türkei selbst sichern, damit nicht noch mehr Menschen sich auf den Weg machen, um in unserem marktwirtschaftlichen Sozialstaat Schutz zu suchen. Und eine weitere Einwanderungswelle würde Merkel politisch nicht mehr überstehen.

Und so müssen wir uns leider schmerzhafte Fragen stellen: Werden jetzt Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit plötzlich obsolet, nur weil Angela Merkel im Herbst diesen Jahres wieder Kanzlerin werden möchte? Kann ein offensichtlich an einer „präsidialen Diktatur“ bastelnder religiöser Fundamentalist sich alles erlauben und opfert die Bundesrepublik Deutschland ihre politische Stärke auf dem Altar des Kanzlerinnendeals zum Umgang mit Flüchtlingen in der Türkei?

Übrigens: Private Grillfeste politisch extremistisch gesinnter Menschen können in der Bundesrepublik Deutschland von jetzt auf sofort aufgelöst werden. Weshalb tut man sich dann mit einer „nicht öffentlichen, privaten Veranstaltung“ (Polizei Oberhausen) einer extremistischen Regierung aus dem Ausland so schwer? Immerhin ist diese Veranstaltung geeignet die öffentliche Ordnung massiv zu stören, denn es gibt Widerstand. Allerdings leider kaum substantiellen aus der Bundespolitik. Beschämend.

Bildquelle:

  • Istanbul: pixabay

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