Das blaue Chamäleon: Wie die AfD bei Bundeswehr und Wehrpflicht herumeiert

Verteidigungsminister Boris Pistorius mit Soldaten bei seinem Antrittsbesuch bei der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow. Foto: Kay Nietfeld/dpa Pool/dpa
Anzeige

von KLAUS KELLE

BERLIN – Wer es mit dem Schutz Deutschlands ernst meint, der steht zur Wehrpflicht. Davon ist Oberst a. D. Rüdiger Lucassen überzeugt. Und der Mann weiß, von was er redet. Zu seiner militärischen Karriere gehört zum Beispiel, dass er von 1989 bis 1993 Chef einer selbständigen Heeresfliegerstaffel 5 mit 15 Hubschraubern in Mendig war und von 1993 bis 1996 Kommandeur der fliegenden Abteilung beim Kampfhubschrauberregiment 36 in Fritzlar. Irgendwann schied er auf eigenen Wunsch aus der Truppe aus, wurde Unternehmer und dann Politiker. Heute ist er Bundestagsabgeordneter der AfD und einer von mehreren profilierten Verteidigungspolitikern dort.

Lucassen und seine Mitstreiter stehen dabei auf dem festen Boden des Parteiprogramms der AfD, wo es heißt:

„Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen.“

Eigentlich alles klar, sollte man meinen, aber die AfD wäre nicht die AfD, wenn nicht wieder alles in Frage gestellt würde.

Seit Russlands Präsident Wladimir Putin beschlossen hat, im vergangenen Jahr die Ukraine mit seinen Soldaten, Panzern und Raketen anzugreifen, scheint in einem Teil der AfD die Begeisterung für ein starkes und wehrhaftes Deutschland irgendwie nachgelassen zu haben.

Was haben wir in den vergangenen Jahren gelästert über den Zustand unserer Bundeswehr

Kampfflugzeuge, die nicht einsatzfähig sind, Marine-Hubschrauber, die nicht über großen Wasserflächen fliegen können, Schnellfeuergewehre, die nicht zielgenau treffen. Dafür aber Kampfanzüge für Schwangere, Seminare in sexueller Vielfalt und GenderGaga für die Soldaten. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man schallend lachen über die unterirdische Performance der Damen von der Leyen, Kramp-Karrenbauer und Lambrecht. Ich will nicht frauenfeindlich daherreden, weil Sie mich dann bei Ihrer örtlichen Gleichstellungsbeauftragten melden müssten, aber: Was bin ich froh, wenn ich den aktuellen deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius sehe auf Truppenbesuch im olivgrünen Parka. Eine Mann, der gedient hat. Endlich.

Also: Die AfD, in deren Reihen viele Zeit- und Berufssoldaten aktiv sind, war von Anfang an eine Partei, die für ein starkes, selbstbewusstes Deutschland stand. Für Sicherheit innen und außen. Für einsatzbereite und moderne Streitkräfte. Und dann plötzlich diese erstaunliche Transformation…

Als nach Russlands Angriff auf die Ukraine die Regierung Scholz beschloss, ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Modernisierung unserer Armee aufzulegen, stimmte ausgerechnet die AfD mit Nein. Völlig irre, selbst wenn wir mal außen vorlassen, dass dieses Sondervermögen an sich ein dubioses Verschleierungsinstrument ist und dass 100 Milliarden nach der jahrzehntelangen Schlamperei definitiv nicht ausreichen werden.

Aber die AfD als Partei, die gegen frisches Geld für die Modernisierung unserer Streitkräfte stimmt?

Das ist atemberaubend. Doch es wird noch besser.

Denn eigentlich wollte die AfD-Bundestagsfraktion gestern im Parlament ihren Antrag „Reaktivierung der Wehrpflicht“ diskutieren lassen, zog den dann aber überraschend zurück. Martin Schmidt aus dem ARD-Hauptstadtstudio vermutet, die Fraktionsspitze wolle bei ihren Anhängern den Eindruck vermeiden, man brauche Wehrpflichtige, um die dann quasi direkt in die Ukraine schicken, was natürlich ein vollkommener Blödsinn ist, weil weder Deutschland noch die NATO noch die USA einen direkten Krieg mit Russland beginnen wollen und werden. Ein lächerliches russisches Narrativ, was allerdings besonders in ostdeutschen AfD-Milieus gern erzählt wird, wo man nach 28 Jahren DDR bis heute Amerika für das Böse schlechthin hält.

Doch seit Partei- und Fraktionschef Chrupalla zum Peacenik mutierte, der Friedenstauben postet, ist alles anders:

„Ich denke, es ist jetzt nicht der Zeitpunkt über eine Wehrpflicht zu diskutieren, wo die Bürger aktuell Angst haben, dass Deutschland mit in diesen Krieg hineingezogen wird“, sagte er auf einer Pressekonferenz, der natürlich wie Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer dagegen ist, Waffen an die angegriffene Ukraine zu liefern, damit die sich weiter gegen die russischen Invasoren verteidigen kann.

Deutschland zuerst?

Viele in der AfD würden gern ein selbstbewusstes Deutschland haben, das wie die USA unter Trump klar erstmal die eigenen Interessen in den Vordergrund stellt. Doch bei einem Teil der Partei scheint diese Haltung, die ursprünglich zur DNA der Partei gehörte, zu bröckeln. Im Osten jedenfalls, wo Politiker der AfD auch mal am Rednerpult mit einem T-Shirt der russischen Söldnerbande Wagner auftreten, wo man sich zum Fototermin auf die Krim fliegen lässt, beim Abendessen Sergej Lawrow huldigt oder – wie im Herbst 2022 – mit Fachkräften auf Russland-Reise geht.

Als im September 2022 die Landtagsabgeordneten Christian Blex (Nordrhein-Westfalen), Hans-Thomas Tillschneider (Sachsen) und Daniel Wald (Sachsen) zum großen Bruder im Osten reisten, waren auch zwei „Dolmetscherinnen“ dabei. Swetlana R. ist Bürokauffrau und arbeitet bei einer Kfz-Werkstatt. Natalie V. betreibt ein Tantra-Massagestudio, in dem „sexuelle Dienstleistungen“ angeboten werden. Solche Unterstützung brauchen Politiker in der Fremde, und da rücken deutsche Verteidigungsinteressen vielleicht auch mal etwas in den Hintergrund.

Bildquelle:

  • Verteidigungsminister Pistorius: dpa
Anzeige

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.