Denken und Reden darf man nicht einschränken…und kann es auch gar nicht

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Sie schon länger Beiträge von mir lesen hier oder auf meinem Blog oder bei FOCUS Online, Der Tagespost oder der Preussischen Allgemeinen oder Reitschuster, dann wissen Sie, dass das Thema Freiheit neben Deutschland mein Leitmotiv ist. Alleine während der beiden Corona-Jahre habe ich immer wieder in Beiträgen dafür plädiert, dass man das Leben der Leute nur auf Basis gesicherter wissenschaftlicher Kenntnisse einschränken darf, und dass das Grundrecht nach Artikel 5 GG, das Jedermann das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert, auf gar keinen Fall einschränken darf. Querdenker-Demos? Natürlich müssen die erlaubt sein! Putin-Autokoros? Leider auch! Und den Christopher Street Day natürlich auch. Die Freiheit des Anderen muss man hoch- und aushalten, sonst lebt man irgendwann nicht mehr in einer Demokratie. So einfach ist das.

Vorhin habe ich eine einstündige TV-Dokumentation über die „Q-Anon“-Bewegung angeschaut und dann noch etwas nachgelesen im Internet. Auch aus amerikanischen Urquellen. Von den Reptiloiden, die uns alle beherrschen, von einer Politiker-Elite – dem Deep State -, die sich u. a. aus pädophilen Babyfolterern zusammensetzt, die das Blut derselben trinken und die gesteuert werden von Hillary Clinton, die ihr Netzwerk unter dem Deckmantel einer Pizzeria in Washington betreibt…

Man muss sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen, aber das wird wirklich ernstgenommen von einem kleinen Teil der Bevölkerung. Und manche dieser Leute radikalisieren sich mit solchen Erzählungen immer mehr und immer vehementer. Über das Internet ist es leicht, Gleichgesinnte auch international zu finden.

Ich habe vorhin gedacht: Muss unsere Gesellschaft solchen gefährlichen Unfug nicht aktiv bekämpfen? Aber wie würde sich das mit dem hochgeschätzten wichtigen Grundrecht in Artikel 5 in Einklang bringen lassen? Ich bin ratlos. Gedanken und Meinungen darf man nicht verbieten. Wenn sie zu strafbaren Handlungen führen, dann natürlich schon. Anschläge, Terror, Drohungen – ja, klar. Dafür haben wir die Polizei, Geheimdienste, das BKA. Die kümmern sich um Islamismus, Reichsbürger, antifa, wenn diese Gewalt gegen Personen und Sachen ausüben.

Aber denken und reden? Das darf man nicht einschränken, auch den Blödsinn, weil wenn man es einschränken will – auch mit Zustimmung einer großen Mehrheit der Bevölkerung – dann muss es ja irgendjemand machen, praktisch umsetzen. Und wir sehen beim Netzwerkdurchsuchungsgesetz (NetzDG) oder der Stasi-Stiftung von Frau Kahane, welche Gefahren für die Freiheit daraus resultieren, wenn man Leute beauftragt, zu zensieren, was andere reden und denken dürfen.

Vermutlich, wird mir der ein oder andere von Ihnen im Laufe der Nacht noch schreiben, ob das denn auch für die „Holocaustlüge“ gilt mit der freien Meinungsäußerung. Und ganz ehrlich: da werde ich auf dem falschen Fuß erwischt. Natürlich weiß ich, dass dieses schreckliche Verbrechen mit Millionen Toten stattgefunden hat. Und dennoch ist es ein Problem – das ich in diesem einzigen Fall tatsächlich in der Konsequenz für richtig halte – einzuschränken, wenn jemand Historie und Wissenschaft einfach wegdenkt. So, wie ich auch die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck unerträglich finde, uns dennoch finde, dass es rechtswissenschaftlich überhaupt keinen Sinn ergebt, die 93-Jährige immer wieder einzusperren, obwohl sie weder eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt noch jemals einsehen wird, was für einen Schwachsinn sie daherredet.

Ab wann muss der Staat eingreifen? Wohin packen wir die Schwelle, wo Rechts- und Linksextremismus, Rassismus, Islamismus und und und den Bogen überspannt? Wie erhält man die Freiheit, ohne wehrlos zu werden?

Ein bisschen erinnert mich das alles an die aktuelle Debatte um unsere Verteidigungsfähigkeit. Jeder hat gewusst, in was für einem beklagenswerten Zustand unsere Bundeswehr ist. Jeder wusste, dass das große Deutschland im Herzen Europas nicht nur „bedingt verteidigungsfähig“ sein würde im Ernstfall, sondern überhaupt nicht. Und jetzt lernen unsere Vorturner in Berlin in Windeseile, was sie hätten vor 15 Jahren schon tun und anaschaffen sollen. Das Militär und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sind nicht die einzigen Baustellen.

Der Extremismus in Deutschland nimmt zu. Das ist unübersehbar. Und er weicht in Teilen fundamental von den bekannten Mustern des politischen Rechts-Links-Schemas ab. Ich weiß wirklich nicht, was man da tun kann, aber ich weiß, dass sich dieses Land und seine Regierung ernsthaft damit beschäftigen müssen. Weil wir alle sonst irgendwann eine ganz böse Überraschung erleben.

Schlafen Sie gut!

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.