von KLAUS KELLE
BERLIN – Wirecard und kein Ende. Was als Wirtschaftskrimi begonnen hat, bei dem ein DAX-Konzern implodierte und 1,9 Milliarden Euro plötzlich nicht mehr aufzufinden waren, bekommt in diesen Tagen eine ganz neue Dimension. Denn der ehemalige Wirecard-Manager Jan Marsalek ist laut britischen Ermittlern Kontaktmann für ein russisches Spionagenetzwerk in Großbritannien gewesen. Das hatte die Aufgabe, Zielpersonen im Auftrag des russischen Geheimdienstes zu beschatten und – falls notwendig – zu entführen.
Dass Marsalek, der sich rechtzeitig vor den deutschen Ermittlern nach Moskau absetzen konnte, über beste Verbindungen zu mehreren Geheimdiensten unterhielt, ist kein Geheimnis. Darüber gab es im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Bank zahlreiche Veröffentlichungen. Auch darüber, dass u. a. der russische KGB-Nachfolger FSB damit gemeint ist.
Bereits im Sommer 2020, kurz nach seiner Flucht, habe Marsalek zwischen Moskau und einer Gruppe Bulgaren vermittelt, die für das russische Spionagenetz arbeitete. Zwei Frauen und drei Männer – bulgarische Staatsbürger – müssen sich deshalb derzeit in London wegen Spionage für Russland vor Gericht verantworten. Eine erste Anhörung fand heute am Westminster Crown Court in London statt.
Jan Marsalek ist natürlich nicht dort, aber die britischen Ermittler haben gute Arbeit geleistet und akribisch nachverfolgen können, welche Rolle der ehemalige Bankmanager in diesem Spionagefall gespielt hat.
Marsalek gilt als Hauptverdächtiger im Wirecard-Skandal – dem größten Betrugsfall in der Geschichte der Bundesrepublik. Gemeinsam mit einem Komplizen – Orlin R. – habe der frühere Wirecard-Mitarbeiter Aufträge für seine russischen Führungsoffiziere erledigt, etwa militärische Ausrüstung beschafft, die Ausstattung mit Spionagewerkzeugen und digitalen Geräten, Software und Hacker-Handbüchern, und die Kommunikation und Beschattung von für Moskau unliebsamen Personen zu organisieren.
Auskundschaft für Russland relevanter Orte
Ein großer Teil der Spionageaktivitäten von Marsalek habe dabei außerhalb Großbritanniens stattgefunden. So kundschafteten seine Leute auch einen NATO-Stützpunkt in Deutschland für die Russen aus.
Sicherheitsexperten haben keinen Zweifel, dass Wirecard und die Marsalek-Spur nur das Kratzen an der Oberfläche einer noch deutlich größeren Bedrohung ist. Darin spielt auch ein bekannter deutscher Handelskonzern eine entscheidende Rolle, ein Bankengeflecht, aus dem Hunderte Millionen Euro russisches Geld in den deutschen Wirtschaftskreislauf eingeflossen sind. Die Investigativ-Journalistin Liv von Boetticher (RTL) hat herausgefunden, dass es in den Staaten der Europäischen Union heute etwa 31.000 Unternehmen mit russischer Kapitalbeteiligung gibt.
31.000 Unternehmen, die im Falle eines großen Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der europäischen Staatengemeinschaft als Waffe gegen den – blauäugigen – Westen eingesetzt werden könnten.
Die einzig logische Folge daraus muss für die Staaten Westeuropas sein, jegliche Geschäftsbeziehungen mit Russland konsequent zu beschneiden, am besten vollkommen abzubrechen.
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- London_Nacht: pixabay