Häppchen essen in der russischen Botschaft

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!

Der Ärger im politischen Berlin über den Besuch von Politikern der AfD und der Linke ist auch am Tag danach groß. Gestern hatte Russlands Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, wieder zu einem Empfang anlässlich des Jahrestages des Sieges über Nazi-Deutschland geladen. Und klar, dass kann man feiern als ehemalige Siegermacht. Aber dieses Mal stehen die Vorzeichen anders. Denn seit über einem Jahr ist Russland der Aggressor, der ein Nachbarland überfallen hat und bis heute zerstören, morden und vergewaltigen lässt in der Ukraine.

Wer da zeitgleich einer Einladung zu Blini mit Lachs und Pelmeni in die Botschaft Unter den Linden folgt, dem muss man mehr als Instinktlosigkeit oder Geschäftsinteressen vorwerfen.

Der Auftritt des AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla mit Krawatte in den Farben der russischen Flagge war dabei an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Er überreichte ein Geschenk und dankte für „die Befreiung von der Naziherrschaft“. Hat nur gefehlt, dass er noch ein Gedicht aufsagt, das dem Genossen Putin huldigt.

Auf Twitter meldete sich der frühere Berliner AfD-Chef Georg Pazderski zu Wort, ein ehemaliger Offizier der Bundeswehr. Er schreibt:

„Für was bedankt sich der AfD-Sprecher eigentlich? Für 44 Jahre brutale Unterdrückung Osteuropas, die blutige Niederschlagung der Volksaufstände in Ostdeutschland (1953), Ungarn (1956) Tschechoslowakei (1968), 40 Jahre Diktatur in der DDR…?“

Und liegt mit seinen Fragen genau richtig

Natürlich hat Russland im Zweiten Weltkrieg den höchsten Blutzoll gezahlt, mehr als 20 Millionen Tote durch den deutschen Angriffskrieg. Da gibt es nichts zu relativieren. Und Russland hat Seite an Seite mit den Westalliierten gekämpft, Hitlers Barbarei und Herrschaft zu beenden. Es waren Soldaten der Roten Armee, die die letzten Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz befreiten. Das soll, das darf niemals vergessen werden. Und – der Vollständigkeit halber – es war die russische Politik unter Gorbatschow, die den friedlichen Untergang der Sowjetunion letztlich herbeiführte. Auch dafür gebührt Russland Dank.

Aber Putin ist nicht Gorbatschow. Putin ist ein Kriegstreiber, auf dessen „Konto“ allein in der Ukraine inzwischen 200.000 Tote zu verbuchen sind. Von Tschetschenien will ich hier gar nicht anfangen. Die Verletzten, die Verkrüppelten, die Gefolterten, die Vergewaltigten im Süden und Osten der Ukraine zählt schon keiner mehr. Mit diesem Russland treibt man keinen Handel, diesem Kreml-Herrscher reicht man nicht die Hand. Und man isst keine Häppchen in seiner Botschaft. Eine Schande, dass sich Chrupalla und Gauland gestern für dieses Schmierentheater hergegeben haben.

Ich habe heute Morgen mit zwei Bundestagsabgeordneten der AfD telefoniert. Sie erzählten mir, dass in der Fraktion großer Unmut über Chrupallas Unterwerfungsgeste herrsche. Aber wie bei den Lageberichten aus der Ukraine, kann ich das natürlich nicht selbst verifizieren. Ich erzähle Ihnen einfach mal, was mir da erzählt wird.

Einen sonnigen Tag wünscht

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.