Im Vorhof zur Hölle

Liebe Leserinnen und Leser,

auf allen möglichen Wegen gelangen in diesen Tagen verstörende Kurzvideos auf mein Smartphone, sicher auch auf Smartphones vieler von Ihnen. Es sind Filmsequenzen aus dem Krieg in der Ukraine, gerade besonders viel aus dem inzwischen weltweit bekannten Stahlwerk Azowstal in der Hafenstadt Mariupol am Schwaren Meer. Mariupol ist – das kann man sicher sagen – seit Tagen unter Kontrolle der russischen Armee. Das ist verwerflich, denn Mariupol ist eine ukrainische Stadt. Kein russischer Soldat hat da irgendwas zu zerstören und zu töten, insofern sind die Rollen Gut und Böse eindeutig verteilt.

Was mich seit Tagen aber wirklich verstört, ist, dass da in einer düsteren Trümmerwüste, wie man sie aus „Mad Max“-Sequenzen kennt, offenbar immer noch gekämpft wird. Warum?

Hunderten Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, die dort lange ausharrten, konnten inzwischen durch einen Fluchtkorridor unter Begleitung des Internationalen Roten Kreuzes und der UN evakuiert worden. Filmaufnahmen davon gibt es, dass diese Menschen wenigstens lebend herausgekommen sind. Aber sie durften nicht irgendwohin weiterfahren, sie wurden von Soldaten der russischen Armee übernommen und würden von denen „betreut“, was definitiv nie eine gute Nachricht für Menschen war, die russische „Gastfreundschaft“ in einem Krieg erleben durften. Hoffen wir, dass UN und IRK noch irgendwie im „Spiel“ sind dort.

Aber was ist mit den angeblich noch 1500 Soldaten des Azov-Regiments? Die sind noch drin. Die haben nichts mehr zu essen und zu trinken, keine Medikamente mehr und haben eindringliche Appelle geschickt, ihre Leben zu retten. 500 von ihnen sollen verletzt sein. Ohne Medikamente. Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, wie es da unten in den Bunkern unter dem Stalwerk jetzt gerade aussieht. Russische Militärführer sagen: Die Männer sollten rauskommen, sich ergeben und alles werde gut, jedenfalls würden ihre Leben verschont. Nicht ein einziger hat das „Angebot“ bisher angenommen. Ganz offenkundig sind sie bereit, zu sterben, bevor sie freiwillig in die Gefangenschaft der russischen „Befreier“ müssen.

Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.