Interview mit Jan Mainka, Budapester Zeitung: „Fidesz ist momentan leicht im Vorteil“

Kundgebung von Anhängern der Regierung am 15. März, dem Nationalfeiertag Ungarns, vor dem Parlament.

BUDAPEST – Am kommenden Sonntag wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Aus diesem Anlass unterhielten wir uns mit dem Deutschen Jan Mainka, der seit 1988 in Budapest lebt und dort die Budapester Zeitung herausgibt.

Herr Mainka, wer wird nach Ihrer Einschätzung das Rennen machen?

Während es noch im Herbst, kurz nachdem die geeinte Opposition ihren Spitzenkandidaten nominiert hatte, ganz nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aussah, hat die Regierungsparty Fidesz inzwischen wieder deutlich bessere Chancen und könnte am Sonntag zum vierten Mal in Folge das Rennen machen. Dass sie erneut eine Zweidrittelmehrheit erringt, ist derzeit jedoch weniger wahrscheinlich.


Wodurch konnte sich der Fidesz wieder an die Spitze setzen?

Durch eine solide Regierungspolitik verbunden mit einigen, deutlich als solche erkennbare Wahlkampfgeschenken. Der Regierungspartei werden sicher aber auch die recht heterogenen und teils verwirrenden Botschaften des Oppositionsblockes und ihres Spitzenkandidaten in die Hände gespielt haben. Die „Krönung“ war, als dieser Mitte Februar allen Ernstes behauptete, sein Bündnis würde auch „Faschisten“ und „Kommunisten“ vertreten. Und natürlich kommt der Regierungspartei auch die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste große Unsicherheit zugute. In einer solchen Situation sind die Wähler viel weniger bereit, sich auf Experimente einzulassen. Bei Orbán und dem Fidesz wissen sie nach zwölf Regierungsjahren immerhin, woran sie sind.

Von seinen Kritikern wird dem Fidesz-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Viktor Orbán immer wieder EU-Feindlichkeit vorgeworfen…

Das beruht auf einer bewussten Fehlinterpretation. Immer wieder wird Orbáns Kritik an einigen Aspekten der EU, etwa an ihrer Unfähigkeit, ihre Grenzen gegen illegale Migration zu schützen, in EU-Feindlichkeit umgedeutet. Davon kann bei Orbán jedoch keine Rede sein. Immer wieder betont er seine Verbundenheit mit der EU. Ein Austritt Ungarns, ein sogenannter Huxit ist bei uns kein Thema. Kein Wunder, schließlich besitzt die EU in Ungarn noch immer eine der höchsten Zustimmungsraten innerhalb der EU.

Orbán will also nur eine funktionstüchtigere EU?

Ganz genau! Im Vorfeld des EU-Beitritts 2004 glänzte Ungarn immer wieder als Musterschüler bei der kritiklosen, prompten Erfüllung sämtlicher EU-Forderungen. Jetzt als bereits reifes Mitglied äußert Ungarn auch mal Kritik. Möglicherweise ist es für West-EU-Mitglieder noch immer etwas ungewohnt, jetzt – natürlich nicht nur von Ungarn – auch mal Kritik zu hören.

Könnte es noch andere Gründe geben?

Zunehmend werden ideologische Unterschiede zwischen West- und Ost-EU-Mitgliedern deutlich. Besonders deutlich treten diese zwischen Deutschland und Ungarn zutage. Beide Länder entwickeln sich immer mehr zu Antipoden innerhalb der EU. Während die tonangebenden Kreise in Deutschland lieber heute als morgen ihre deutsche Identität gegen eine europäische eintauschen würden, wollen Ungarn und auch die anderen Länder Mittelosteuropas eher ein Europa der Vaterländer verwirklichen. Nach der Wiedererlangung ihrer Freiheit und Souveränität haben sie keine Ambitionen, diese gleich wieder an ein anderes Machtzentrum abzugeben.

Welche Unterschiede gibt es noch?

In vielen gesellschaftlichen Fragen vertreten die meisten Ungarn eine, im Vergleich zum Westen eher klassisch konservative Einstellung. Bei uns in Ungarn sind Nation, Tradition und die Familie mit Mann, Frau und Kindern klar positiv besetzt und werden keinesfalls als Auslaufmodelle betrachtet. Daraus ergibt sich beispielsweise, dass die Ungarn mehrheitlich stolz auf ihr Land und seine Geschichte sind, und nicht im Traum daran denken, es beispielsweise durch eine unkontrollierte Einwanderung aus anderen Kulturen zu zerstören. Ebenso ist es bei uns nicht mehrheitsfähig, die klassische Familie und ihre privilegierte Stellung durch die Überbetonung anderer Modelle zu unterminieren.

Diese und weitere unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten gesellschaftlichen Fragen sollten innerhalb der Staatengemeinschaft eigentlich kein Problem sein. Kritisch wird es nur dann, wenn ein Land sich moralisch über ein anderes erhebt und ihm seine Lebensart aufzwingen möchte. Wenn es nicht zu weiteren Spannungen unter den EU-Mitgliedern kommen soll, dann sollte mit dieser Praxis schleunigst gebrochen werden! So wie die Ungarn – wenn auch nur kopfschüttelnd – akzeptieren, dass die Deutschen der Islamisierung ihres Landes nichts entgegensetzen und die Frühsexualisieung ihrer Kinder für etwas Erstrebenswertes halten, sollte wiederum die Deutschen akzeptieren, dass wir hier in Ungarn zu gewissen gesellschaftlichen Fragen eine andere Meinung haben.

Die Beziehungen des Fidesz zur CDU aber auch zur EVP haben sich deutlich abgekühlt…

Da geht es dem Fidesz nicht anders als vielen konservativen CDU-Mitgliedern: sie sind ihren Idealen und Wertevorstellungen von einst zwar treu geblieben, aber ihre Partei hat sich von ihnen im Zuge einer als Modernisierung verbrämten Linkswende ideologisch entfernt. Würde die Kohl-CDU noch heute existieren, wären die Beziehungen zum Fidesz unverändert hervorragend und herzlich. Durch die Anbiederung der CDU beziehungsweise der EVP an den linken Mainstream ist die ideologische Schnittmenge zwischen ihnen und dem Fidesz inzwischen jedoch weitgehend verschwunden.

Und gibt es immer häufiger Spannungen. Wie etwa beim Spiel der ungarischen Nationalelf bei der EM im letzten Sommer in München…

Das war der vorläufige Tiefpunkt der deutsch-ungarischen Beziehungen! Unglaublich, wie unser durch die 1989er Grenzöffnung und andere erfreuliche Ereignisse geprägtes freundschaftliches Verhältnis derart tief sinken konnte!

Wenn an all den Vorwürfen wenigstens etwas dran gewesen wäre! Aber wie so häufig wurde eine reale ungarische Gegebenheit – in diesem Fall das modifizierte Kinderschutzgesetz – durch linke Interpreten völlig umgedeutet. Die so kreierte neue Wirklichkeit wurde dann als Grundlage für Angriffe gegen Ungarn herangezogen. Dabei steigerten sich die Kritiker in den Glauben hinein, in Ungarn würden sexuelle Minderheiten diskriminiert, was natürlich nicht der Fall ist.

Und was ist mit dem demonstrativ guten Verhältnis zwischen Putin und Orbán?

Auch das ist eine eher Mär. Die Beziehungen zwischen Ungarn und Russland sind rein geschäftlicher Natur. Sie sind so pragmatisch wie beispielsweise die zwischen Deutschland und China. Nach einer Wertschätzung für das russische Regierungsmodell sucht man in Orbáns Äußerungen vergeblich. Eher findet man immer wieder eine gewisse Vorsicht gegenüber Russland. Selbst, wenn ich nach Bildern suche, die die angebliche Freundschaft und Herzlichkeit zwischen Putin und Orbán belegen könnten, finde ich nichts. Sehr wohl aber kommen mir einige Aufnahmen in den Sinn, die den früheren sozialistischen Premier Gyurcsány in freundschaftlicher Verbundenheit mit Putin zeigen…

Wie sieht es bezüglich der ukrainischen Flüchtlinge aus?

Weit über 600.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge haben inzwischen die etwa 135 Kilometer lange ukrainisch-ungarische Grenze überschritten und werden bei uns in Ungarn mit allem Notwendigen versorgt. Warum auch nicht, schließlich handelt es sich in ihrem Fall unstrittig um echte Flüchtlinge!

Obwohl es sich um die größte humanitäre Hilfsaktion in der jüngeren ungarischen Geschichte handelt, sucht man übrigens in deutschen Medien nahezu vergeblich nach entsprechenden Berichten. Kein Wunder, schließlich passen die Bilder von helfenden Ungarn absolut nicht in das jahrelang künstlich erzeugte Klischee von den angeblich so homophoben und fremdenfeindlichen Ungarn.

Bildquelle:

  • Fidesz_Wahlkundgebung_Budapest_2022: jan mainka

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.