Mit fast 5000 Mitgliedern sind die Christdemokraten für das Leben (CDL) seit vielen Jahren eine große Lobbygruppe für den Lebensschutz in CDU und CSU. Mit der neuen Regierungskoalition aus Union und SPD wird auch wieder eine Familienministerin aus den Reihen der CDU nach der Grünen Paus die Amtsgeschäfte bei diesen Themen leiten. Große Hoffnungen, aber auch erste Enttäuschungen bei der Bundesvorsitzenden der CDL, Susanne Wenzel. Schauen wir mal in den Koalitionsvertrag,
Frau Wenzel, Anfang Mai wird Friedrich Merz von der CDU zum neuen Bundeskanzler gewählt. Freuen Sie sich darauf?
Ich bin erleichtert, dass die Ampel Geschichte ist und gespannt auf den Kanzler Merz. Alles in allem hoffe ich, dass mit der neuen Regierung die Erwachsenen zurück sind in der Politik. Unser Land ist so großartig, es hat besseres verdient als das, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben.
Aber, lassen Sie uns über den Lebensschutz sprechen. Die Ampel-Reste wollten erst vor wenigen Wochen noch schnell den Abtreibungsparagrafen 218 abschaffen – keine Beratung mehr, einfach entscheiden und weg. CDU/CSU, AfD und konnten das verhindern. Wie wird es in dieser Frage mit einem Koalitionspartner SPD weitergehen, die das damals einhellig unterstützt haben?
Die SPD hat auch bei den Koalitionsverhandlungen versucht, die Abtreibung zu legalisieren. Das konkrete Vorhaben zur Streichung des § 218 ist zwar letztlich nicht in mehr den Vertrag gekommen, da haben sich CDU/CSU durchgesetzt. Das scheint aber beim Lebensschutz und Hilfen für Schwangere in Konfliktlagen zu Nachverhandlungen geführt zu haben.
Und das sieht nun doch beunruhigend aus. Es beginnt mit dem wirklich guten Satz, man wolle Frauen in Schwangerschaftskonfliktlagen umfassend unterstützen, um so das „ungeborene Leben bestmöglich zu schützen“. Das hört sich ja erst einmal gut und richtig an. Allerdings steht es unter der Überschrift „Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen“ und auch die dann genannten Maßnahmen konterkarieren das Ziel des Lebensschutzes.
Sie bedeuten letztlich, dass die Abtreibung ausgeweitet und von den Krankenkassen – und damit von den Versicherten – offenbar voll finanziert werden soll, und mehr Ärzte sollen sie durchführen und das flächendeckend.
Tatsächlich wurden hier also reine SPD- und Grünen-Forderungen in den Koalitionsvertrag übernommen, die, wenn sie so durchgesetzt würden, die derzeitige Regelung aus meiner Sicht so massiv aushöhlen, dass sie irgendwann obsolet würde.
Betrachten wir das Thema nicht nur im Licht des Strafrechts. Was plant die neue Bundesregierung, um den Schutz des menschlichen Lebens vom natürlichen Anfang bis zum natürlichen Ende sicherzustellen oder zu verbessern?
Die gerade von mir geschilderten Maßnahmen haben mit dem Schutz des Lebens am Anfang nichts zu tun. Im Gegenteil, sollte das so umgesetzt werden, wäre das tatsächlich eine Förderung von Abtreibungen.
Beim Lebensende sieht es besser aus, da hat sich die Koalition zum Ziel gesetzt, endlich das längst überfällige Suizidpräventionsgesetz umzusetzen. Das ist dringend notwendig, denn wir haben mit steigenden Suizidzahlen und schlechter psychologischer Versorgung zu tun.
Mich erschreckt immer wieder, dass vor allem heranwachsende Jugendliche besonders gefährdet sind, Suizide sind die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen. Im aktuellen repräsentativen INSA-Familienmonitor haben 39 Prozent der 18- bis 29-Jährigen angegeben, sich einsam zu fühlen und gar 32 Prozent hatten schon einmal eine Depression. Ich finde das ganz dramatisch und schlimm.
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, 106.218 Schwangerschaftsabbrüche offiziell registriert, es dürfte darüber hinaus auch noch eine Dunkelziffer geben. Plant die neue Regierung irgendetwas, das jungen Frauen in Konfliktsituationen ermöglicht, sich für die Geburt ihres Kindes zu entscheiden?
Politik sollte Rahmenbedingungen setzen, die es Frauen und Männern ermöglichen, sich für Kinder zu entscheiden. Und das kann sie mit einer guten und diese Bezeichnung verdienenden Familienpolitik. Die Union hat vor Jahren schon unter Angela Merkel das Familienministerium an die SPD abgegeben, deren Minister eine reine Frauenerwerbsförderungspolitik gemacht haben. Und als krönenden Abschluss des Desasters hatte dann Lisa Paus in den vergangenen drei Jahren die Verantwortung dort und betrieb eine noch drastischere ideologiegetriebene Politik, die mit der Förderung von Familien nichts zu tun hatte.
Die neue Regierung plant Verbesserungen für Familien, wie die Beibehaltung und letztlich auch Erhöhung des Elterngeldes. Die Mütterrente bleibt Gott sei Dank bestehen und soll auf die Geburtsjahrgänge vor 1992 ausgedehnt werden. Und es ist eine Erhöhung der „Frühen Hilfen“ ab der Schwangerschaft geplant.
Das ist die materielle Seite. Aber es geht nicht nur um Geld. Eine wissenschaftliche Studie hat gerade nachgewiesen, dass es oftmals der Druck aus dem Umfeld. Vor allem durch die Kindsväter, ist, der schwangere Frauen in Konflikte führt. Da wird dann überhaupt nicht selbstbestimmt entschieden, wie SPD und Grüne das immer darstellen.
Es heißt ja immer, die Beratung solle ergebnisoffen, also nicht bevormundend sein. Der Gesetzgeber hat allerdings ausdrücklich festgelegt, dass das Gespräch „lebensbejahend“ ausgerichtet sein soll. Angesichts der viel zu hohen und leider auch wieder steigenden Abtreibungszahlen kommen hier doch erhebliche Zweifel auf, dass dem Rechnung getragen wird.
Es hat in früheren Zeiten in CDU und CSU starke Persönlichkeiten gegeben, oft christlich motiviert, die den Lebensschutz als ihr persönliches Schwerpunktthema hatten, wenn ich etwa an Hubert Hüppe denke, der jetzt gerade nach über 30 Jahren aus dem Bundestag ausgeschieden ist. Die CDL ist ja die Lobbygruppe in der Union, die solche Volksvertreter mit Rat und Tag unterstützt. Gibt es im neuen Bundestag Parlamentarier, die nach Ihrer Auffassung explizit pro life, für das Leben, sind?
Der Koalitionsvertrag ist bezogen auf das Lebensrecht höchst problematisch. Er steht sowohl den Grundsatzprogrammen von CDU und CSU als auch ihrem Handeln in den letzten Wochen, um die von SPD und Grünen angestrebte Legalisierung der Abtreibung kurz vor Ende der Legislaturperiode zu verhindern, diametral gegenüber.
Dass SPD und Grüne damit nicht mehr durchgekommen sind, lag im Wesentlichen an CDU und CSU. Die Position für das Leben war auch in der Unionsfraktion von Anfang klar, insbesondere auch bei Merz und Linnemann. Umso unverständlicher ist mir die jetzige Konzession an die SPD im Koalitionsvertrag. Lebensschutz ist doch keine Verhandlungsmasse!
Abtreibung ist ja nur eine „Baustelle“, wie ist es mit der Sterbehilfe?
Dazu gibt es im Vertrag keine Aussage. Hier gibt es aber fraktionsübergreifend sehr engagierte Parlamentarier, denen ein Schutzkonzept sehr am Herzen liegt, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für problematisch halten, da es die Frage nach der Menschenwürde extrem hochgehängt hat. Es braucht aus meiner Sicht dringend eine Regelung, denn momentan können die kommerziellen Sterbehilfevereine überall schalten und walten, was durch eine steigende Zahl assistierter Suizide dokumentiert ist. Es gibt derzeit praktisch keine Kontrolle.
Seit November vergangenen Jahres gibt es in Deutschland das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz, das den Geschlechtswechsel vereinfacht und auch immer wieder möglich macht. Union und SPD wollen das auf den Prüfstand stellen in den kommenden Monaten, die Christdemokraten würden es am liebsten wieder rückgängig machen. Ihre Haltung dazu?
Auch hier ist mir die Kehrtwende der Union unbegreiflich. Ich finde nicht, dass es hier eine Evaluation braucht. Wozu? Während andere Länder diesen gefährlichen Irrweg längst wieder verlassen und den Einsatz von Pubertätsblockern wieder verbieten, fängt Deutschland quasi jetzt damit an. Dieses Gesetz muss gestrichen werden. Sofort und ersatzlos.
Es gibt so viele Themen, im Zusammenhang damit, wie Menschen ihren persönlichen Lebensalltag gestalten wollen, die Politik mischt sich in alles ein. Warum lässt man die Menschen nicht einfach so leben, wie sie es für sich selbst entscheiden?
Ich stelle mir immer wieder die Frage, wie es zu dieser Regelungswut und diesem Drang, den Bürger zu „erziehen, gekommen ist. Wo sind wir falsch abgebogen? Waren es die Bürger, die nach dem Staat gerufen haben oder maßen sich nur einige an, zu glauben, sie seien klüger als die Bevölkerung?
Wir merken doch auch, dass diese Bevormundung in der Regel in eine Richtung läuft, nämlich entgegen dem, was die Mehrheit der Bevölkerung will und sie ist dazu noch moralisch höchst aufgeladen. Ein Staat, der nach dem Motto „Wir wissen besser als Du, was gut für Dich ist“ handelt, läuft Gefahr ins Autoritäre abzudriften. Das läuft schon eine Weile und hat mit Corona nochmal eine Steigerung erhalten, ist offensichtlicher geworden. Dahinter müssen wir zurück. Wir wissen selbst, was wir essen wollen, welche Autos wir fahren. Und wir müssen auch nicht über die Energiepreise dazu „erzogen“ werden, in eine andere Heizungsart zu investieren. Solche Formulierungen finde ich furchtbar. Nachdenklich macht mich, dass ständig diese Angst vor irgendetwas geschürt wird, weil man damit die Bevölkerung gefügig macht. Wir sind der Souverän.
Neue Bundesfamilienministerin soll die CDU-Politikerin Silvia Breher aus Norddeutschland werden. Sie stritt für das Elterngeld, befürwortete aber auch die sogenannte „Homo-Ehe“. Haben Sie eine Meinung zu dieser Personalie im neuen Kabinett?
Ich bin auch hier gespannt. Ich habe Silvia Breher als offen und unvoreingenommen wahrgenommen. Sie war familienpolitische Sprecherin, zeichnete im Grundsatzprogrammprozess für die Arbeitsgruppe zum Thema „Familie, Zusammenhalt“ verantwortlich und bei den Koalitionsverhandlungen war sie eine der Chef-Verhandlerinnen für die Familienpolitik. Ich wünsche mir, dass sie dem Familienministerium wieder seine Bedeutung zurückgibt.
Das Gespräch führte Klaus Kelle.
Bildquelle:
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