Mein rechter Fuß, Kartoffelsalat, Kroatien und das deutsche Gesundheitssystem

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

jeder von uns hat Termine und Verpflichtungen, die unseren Tagen eine Struktur geben. Wecker klingelt, Kinder für die Schule wecken, Frühstück, ab ins Büro. Oder Veranstaltungen, geschäftliche Termine, private Verabredungen, Frisör oder der lange geplante Sommerurlaub. Endlich nach Corona mal wieder irgendwo hinfahren, ohne Verpflichtungen und ohne Struktur. Sonne, Sand oder Berge, chillen, wie unsere Kinder das nennen. Alle Corona-Bescheinigungen sind digitalisiert und zur Sicherheit auch noch ausgedruckt.

Und dann verletzen Sie sich, werden unerwartet krank, haben starken Schmerzen. Und alles ist Ihnen egal, weil erstmal müssen die Schmerzen weg, die alles andere plötzlich nebensächlich erscheinen lassen. Haben Sie mal über den Schmerz an sich nachgedacht? Wenn Sie eine ernste Krankheit haben, dann gehen Sie zum Hausarzt, der schickt sie zu einem spezialisierten Fachkollegen, der weist Sie schlimmstenfalls in eine Klinik ein – alles zu verstehen, alles beherrschbar.

Aber plötzlich Schmerzen, starke Schmerzen, manchmal aus dem Nichts, das stellt alles andere sofort in Frage.

Jetzt werden manche von Ihnen sagen: Nimm doch ein Ibu, dann ist das weg…. ja, manchmal. Es betäubt den Schmerz, aber es löst das Problem nicht. Hat jetzt in der Sommerzeit der Hausarzt überhaupt geöffnet? Oder müssen Sie in Krankenhaus in die Notaufnahme, da erstmal zwei Stunden sitzen, bis sich jemand um sie kümmert? Ich lese immer, was für ein tolles Gesundheitssystem wir Deutschen haben, wahrscheinlich ist das im internationalen Vergleich tatsächlich so. Aber geht es wirklich in erster Linie um unsere Gesundheit? Oder geht es eigentlich zunächst um Gewinnmaximierung? Oder Raffgier der Ärzte, der Götter in Weiß?

Ich denke nicht, dass die Ärzte das Problem sind. Die meisten sind das vorletzte Glied am Ende der kassenärztlichen Nahrungskette. Und das letzte Glied sind Sie und ich.

In einem Beitrag für die Rheinische Post habe ich Anfang November 2013 einen viel beachteten Beitrag mit der Überschrift „Auf dem Fließband zum Herrn Doktor“ geschrieben und mich mit diesem Thema beschäftigt. Den ganzen Text können Sie hier lesen, wenn Sie mögen. Hier ein Auszug:

„In dieser Woche war ich mit meiner Mutter beim Augenarzt. Sie hatte um einen Termin gebeten und nun, zwei Monate später, war es so weit. Als sie pünktlich zur vereinbarten Zeit um 9.30 Uhr die Praxisräume betrat, saßen und standen dort sage und schreibe 35 weitere Patienten, die noch vor ihr dran waren. Während ich im Flur der Praxis mangels Sitzplätzen an der Wand lehnte, habe ich sie gezählt. Der Unmut im Wartezimmer wuchs indes von Minute zu Minute.

Eine andere Dame hatte uns bereits mit dem Satz „Sie haben sich hoffentlich ein Butterbrot mitgebracht. Das dauert hier immer lange“ begrüßt. Und nach und nach schalteten sich andere Patienten in das Gespräch ein. Manche erzählten von stundenlangem Warten auch in anderen Praxen. Das Wort „Fließband“ fiel, eine ältere Frau sagte, ihr habe mal ein Doktor gesagt, sie solle über den Friedhof spazieren gehen und schauen, wie viele Leute in ihrem Alter da bereits lägen. Heißt: Stellen Sie sich mal nicht so an wegen der paar Schmerzen. Nach einer Stunde und 15 Minuten wurde meine Mutter vorgelassen. Untersuchung und Gespräch beim Arzt dauerten rund vier Minuten.“

Nie habe ich so viele Reaktionen auf einen Beitrag von Ärzten bekommen, die mir in meiner Betrachtung des Problems wirklich zu 100 Prozent rechtgaben. Ein Verband von niedergelassenen Orthopäden engagierte mich danach für zwei Jahre als Berater, um ihre Pressearbeit zu optimieren – ein schöner Nebeneffekt.

Aber der hilft mir heute Morgen nicht, denn mein rechter Fuß ist geschwollen und tut – entschuldigen Sie – saumäßig weh. Morgen früh wollen wir Kelles in einen kurzen Urlaub aufbrechen, nach Kroatien. Soll schön sein da, alle freuen sich darauf wie Bolle. Neue Badelatschen, Sonnencreme in verschiedenen Dosierungen, unsere älteste Tochter hat Berge von Sandwich-Toast, Salami, Käse und – böse, böse – Thunfischcreme besorgt, damit wir auf der 15-Stunden-Reise mit unserem Kleinbus nicht verhungern. Wasserflaschen, Ginger Ale, Pepsi light….das ganze Programm. Sollte jemand vorschlagen, dass wir noch Frikadellen braten, Kartoffelsalat anrühren und hartgekochte Eier mitnehmen, dann schreie ich.

Apropos schreien. Mein rechter Fuß tut sauweh (wer hat eigentlich diesen Begriff erfunden?). Um 7.45 Uhr öffnet der erste Orthopäde hier in unserer Stadt – wenn er nicht gerade im Urlaub ist in Kroatien… Und wie krank ich im Grunde selbst bin, sehen Sie daran, dass ich mich vor dem ersten Gespräch mit dem Anrufbeantworter meines Arztes um 5.30 Uhr noch schnell hinsetze und Ihnen erzähle, wie ich gedenke, unseren gemeinsamen Urlaub zu retten. Den ersten seit 2017.

Passen Sie gut auf sich auf!

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.