RAMMSTEIN-VORWÜRFE… Herr Schneider, was lief da nach den Konzerten, als Sie ein Teenie-Star waren?

Radio-Macher und früheres Teeny-Idol: Uwe Schneider.

BERLIN – Was läuft da mit unseren Kindern, wenn die als Teenager zu Rockkonzerten gehen und dann auch noch zur Aftershow-Party mit ihren Superstars eingeladen werden? Das fragen sich viele Eltern in diesen Tagen, da schwere Vorwürfe gegen die Band Rammstein und ihren Frontmann Til Lindemann laut geworden sind. Der Berliner Uwe Schneider stand als Teenager selbst auf der Bühne, als Gründer und Gitarrist der mega erfolgreichen Band „The Teens“. Schneider, heute einer der bekanntesten Radiomacher in Deutschland, kennt das Geschäft und die Wirklichkeit auf und hinter der großen Bühne. Ein guter Grund, mit ihm zu sprechen…


Uwe Schneider, Sie waren schon als Teenager in Deutschland ein Popstar – damals als Gitarrist der erster Boyband hierzulande: Die Teens. Sie verkauften damals Millionen Schallplatten und spielten vor ausverkauften Hallen. Und auch damals gab es kreischende Groupies. Haben Sie die auch zu Aftershow-Parties einladen lassen?


Es ist faszinierend, welche Mythen sich um Aftershow Parties ranken, insbesondere im Tournee-Betrieb. Es ist nämlich deutlich anstrengender auf Tournee zu sein, als man das von außen so annehmen würde. Ab und zu feiern ist ok, aber irgendwann fängt es auch im jungen Alter an, an einem zu zehren. Es gab immer mal spontane Feierlichkeiten nach den Shows, meist in irgendwelchen Discotheken oder Clubs und in Restaurants.

Am allermeisten – so erinnere ich mich – waren wir an Hotelbars. Hotelbars haben immer eine besondere Stimmung, da wird aus einem Absacker auch schnell mal ein komplettes Versacken. Insbesondere wenn die übrigen Gäste passen. Und klar, haben wir Leute eingeladen, aber nie einladen lassen! Wir mussten ja schließlich auch vor unseren „Aufpassern“ aufpassen, weil wir noch minderjährig waren, hatten wir immer mindestens einen Erziehungsberechtigten und unserer Management um uns herum.

Aber junge Menschen, einst und heute, die die Bluthunde der Fleischeslust gerade für sich entdeckt und zur ungefähren Zähmung gebracht haben, finden immer ihre Wege.

Im Moment wird viel über Rammstein, Tim Lindemann und die sogenannte „Row Zero“ gestritten. Die Feminismus-Industrie hyperventiliert. Aber ist dieses Phänomen im Pop- und Rockgeschäft nicht seit Jahrzehnten Alltag?

Ja, deshalb wundert mich dieser hysterische Aufschrei, der sich vermutlich auch wieder vor allem viel aus dem Reich von Vermutungen, Unterstellungen und pauschaler Empörung rekrutiert.

Rammstein steht doch für martialisches Gehabe und die ganzen sexuellen Anspielungen in den Songs, Videos und Shows sind doch kein versteckter „Sexismus-Wink mit dem Zaunpfahl“, da werden doch ganze Zäune geworfen. Und bislang hat sich die Fangemeinde, die sowohl männlich als auch weiblich ist, davon doch eher angezogen als abgestoßen gefühlt.

Wir kennen alle die Geschichten der Stones, Bowie, Elton John oder anderen großen Stars, die sich gern auch nach den Shows feiern ließen und bei vielen dann nicht mal mehr mal das Geschlecht eine Rolle spielte. „Hauptsache warm und willig“ hieß es damals. Aber auch in den scheinbar weniger auffälligen Musikkategorien ging und geht es ordentlich zur Sache.

Denken Sie an Liberace, den Richard Claydermann oder besser Lang Lang der 70er Jahre in den Staaten. Da waren „Lustknaben“ der besondere Lohn für gute Shows. Wobei bei „Knaben“ eher gut gebaute junge Männer gemeint waren. Es gibt einen sehr guten Film, bei dem ein hervorragender Michael Douglas den Klaviervirtuosen meisterhaft mimt und Matt Damon als heimlicher Geliebter brilliert, sehr zu empfehlen. Und auch hierzulande, in der scheinbar verklemmten Welt der Volksmusik oder Schlagerstars, geht es nicht selten so zu, dass selbste Matrosen rot würden. Schon zu Zeiten der ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck, da wurde die Hotelbar im Hotel Schweizer Hof in Berlin auch „die Todeszelle“ genannt. Da schlugen regelmäßig die sonst so biederen Herren der sonst heilen Schlagerwelt derart über die Strenge, dass es dafür heutzutage Doppelseiten im Stern gäbe und Anträge von Frauen- und Randgruppenbeautragten im Bundestag ganze Sitzungstage damit füllen würden.

Wir leben heute in einer Empörungsgesellschaft und jeder, der sich vermeintlich betroffen fühlt, erwartet, gehört und ernstgenommen zu werden. Anderenfalls wäre die Welt um ihn herum irgendetwas „-phobes“. Und dann gesellen sich weitere einsame, aber nicht minder krakeelende Seelen dazu und eine Kakophonie entsteht, noch ehe eine wirkliche Bestandsaufnahme stattgefunden hat.

Aber wie grenzt man Erlaubtes und Verbotenes ab? Einvernehmlicher Sex ist kein Skandal, K.O.-Tropfen benutzen – das ist eine Straftat…

Eine seltsame Frage, insofern es sich um einen Straftatbestand handelt, gibt es keine Grauzonen. Einvernehmlich heißt die beteiligten Partner, egal ob zwei oder mehrere, sind sich einig. Insofern jemand seiner Wahrnehmung beraubt ist, egal ob durch chemische Substanzen oder oral verklapptem hoch prozentigem Destillat, insbesondere wenn diese ohne eigene Kenntnis eingenommen wurden, ist es menschlich, moralisch und – ganz wichtig – strafrechtlich relevant; quasi unverzeihlich. Aber wissen wir das bestimmt?

Hier sei mal an Jörg Kachelmann erinnert. Der soll seine Freundin vergewaltigt und verlassen haben und nur weil er – oh Wunder – eine andere hatte. Es kam zum Prozess und Alice Schwarzer hatte jeden Tag in der Bild über „das Tier mit dem Sextrieb“ berichtet; ganz unvoreingenommen natürlich. Kachelmann, damals „ARD Wetterkönig“ auf allen Sendern, hatte jahrelang einen medialen meteorologischen Höhenflug, dann kam der Prozess, der sich elendig lang hinzog und immer wieder neue Schmudeligkeiten ans Tageslicht brachte. „Kachelmann hatte mehrere Freundinnen“. Deutschland stand Kopf, die ARD kündigte vorsorglich alle (wirklich guten!) Verträge…. Und gerade als Kachelmann medial am Ende war, kam raus, dass er eben doch kein Vergewaltiger und Sexprotz und die Geschichte seiner Ex frei erfunden ist, um ihm zu schaden und nur, weil er sie für eine andere sitzen ließ.

Ich weiß nicht ob und was Til Lindemann getan hat, nur so lange nichts gerichtsfest ermittelt und abgeurteilt wurde, bleibt er unschuldig. Egal ob man ihn, oder das was er macht, mag oder nicht. Und mal ganz ehrlich, Lindemann hat doch sowieso die freie Auswahl, wenn ich mir seine Hardcore Fans so anschaue. Die einzige Droge die da im Spiel ist, ist vermutlich rautenförmig und blau. Aber was weiß ich schon…

Kennen Sie Til Lindemann persönlich?


Nein, wir sind uns – soweit ich mich erinnere – auch seltsamerweise nie persönlich begegnet. Hatte ihn nie zum Interview am Mikrophon oder auch als Musiker hatte ich es nie mit ihm oder der Band zu tun. Ich war mal zu einer Session irgendeiner Band in einem Probestudio von Rammstein, ich meine irgendwo in Kreuzberg, ist aber schon ewig her. Aber tatsächlich höre ich nur Gutes über Lindemann und die Band aus deren Umfeld, die sollen alle ziemlich geerdet und nicht abgehoben sein.


Manche sehen hinter der aktuellen Kampagne gegen Lindemann politische Motive. Das martialische Auftreten der Rocker, die Zehntausende Amis in großen Hallen dazu bringen, deutsche Texte zu singen… ist das schon zu weit rechts für den deutschen Mainstream?

Ich finde es sehr beeindruckend, dass sich eine kleine Band aus dem Osten in nur ein paar Jahren in den Olymp des Rock gespielt hat. Und das auch noch auf eine ziemlich eigenständige und ungewöhnliche Art und Weise: Als Deutsche mit deutschen Texten und diese dann noch martialisch vorgetragen.

Es ist ja nicht nur der Madison Square Garden in New York, auch in Moskau, Paris, London, Tokio u. s. w., da singen dann Zehntausende bei den Konzerten Texte mit, von denen sie vermutlich nicht mal wissen, was sie bedeuten. Spielt das eine Rolle? Hauptsache das Drumherum stimmt, nur um das geht es doch bei einer Show. Waren Sie und ich früher nicht ganz ähnlich, wenn wir lauthals englische Texte gesungen haben? Korrekterweise sangen wir das, was wir phonetisch für englisch gehalten haben. Botschaft? Sinn? Nee, Spaß und Lebensgefühl.

Ich würde da nicht zu viel hineininterpretieren. Ich bin jetzt mit dem Songmaterial nicht ganz so vertraut, aber ein wenig Wortwitz ist scheinbar auch vorhanden, wenn Lindemann z.B. in einem Lied wiederholt singt „du hast, du hast“ und es dann weiterführt in „du hast mich“ und schließlich mit „du hast mich gefragt und ich hab nichts gesagt“ auflöst. Das klingt für mich sogar intelligent und zeigt nicht Deutschsprachigen etwas über die mögliche Tücken oder gar den Wortwitz in der Deutschen Sprache.


Sollte es feste Regeln für Aftershow-Partys und die Vergabe von Backstage-Pässen geben, damit Musiker gar nicht mehr in solche verfänglichen Situationen kommen können?


Schauen Sie, wir leben in einer Zeit in der jeden Tag neue Verbote und Gebote erdacht und auch noch diskutiert werden. Gleichzeitig sollen schon 13-Jährige selbstständig entscheiden dürfen, ob sie Pupertätsblocker einnehmen oder sich geschlechtlich umorientieren wollen, 14-Jährige dürfen über Tätowierungen entscheiden und 16 jährige sollen künftig Ausgänge von Landtags- oder Bundestagswahlen mitentscheiden. Aber auf der anderen Seite könnten 23-jährige Mädchen und Jungen nicht entscheiden, was auf irgendwelchen Parties irgendwelcher Popstars passieren könnte? Das ist doch lächerlich.

Nochmal: Alles, was gegen den Willen einer Person passiert, ist nicht akzeptabel. Es ist strafbar und auch so zu ahnden. Dessen muss sich jeder bewusst sein, der Teil unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sein will. Alkohol, Drogen oder einfach überbordend Euphorie können zu allem Möglichen, auch Unsinnigem beflügeln, nur jeder Erwachsene muss auch die Konsequenzen tragen.
Interessant ist dabei übrigens, dass in der ganzen Diskussion um die Herabsetzung des Wahlalters, weil junge Menschen ja viel früher reif und erfahrener sind, das Herabsetzen einer Strafmündigkeit nie ein Thema war und ist.

Das Gespräch mit Uwe Schneider führte Klaus Kelle.

Bildquelle:

  • Uwe_Schneider: klaus kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.