von KLAUS KELLE
WASHINGTON/KIEW/BRÜSSEL/BERLIN – Wenn die Welt zusammenwächst, ist klar, dass das nur funktionieren kann mit einer „regelbasierten Ordnung“. Das hat übrigens mehrere Jahrzehnte gut funktioniert, bis zum 24. Februar 2022, morgens um 3:40 Uhr Ortszeit, als russische Panzer nahe Milovein in die Oblast Luhansk vordrangen. Putins über Jahre vorbereiteter Krieg mit dem Ziel, „russische Erde“ einzusammeln, so viel wie möglich von der früheren sowjetischen Größe wiederherzustellen und den Westen, allen voran die USA, zurückzudrängen, hatte begonnen
Frechheit siegt? Dieses Mal nicht!
Ganz offenbar hat sich der Kreml-Chef verrechnet. Gleich in den ersten Tagen rollte eine mehr als 60 Kilometer lange Fahrzugkolonne – ungeschützt und ohne Luftunterstützung – auf die ukrainische Hauptstadt Kiew zu. Viele der russischen Soldaten waren Wehrpflichtige, denen man nicht einmal gesagt hatte, wohin sie transportiert werden und denen man in Aussicht stellte, in zwei Wochen wieder zu Haus zu sein. Viele von ihnen kamen in Holzkisten zurück zu ihren Müttern.
Durch geschönte Berichte der russischen Geheimdienste war Putin offenbar sicher, einen schnellen unkomplizierten Sieg einfahren zu können. Tolle Fernsehbilder, mit Tausenden fröhlichen Ukrainern an den Straßenrändern, russische Fahnen schwenkend. Doch daraus wurde nichts.
Denn die Ukraine hat nicht vor, sich dem Psychopathen in Moskau zu unterwerfen
Nachdem die Russen 2014 die Krim im Handstreich und ohne Gegenwehr annektieren konnten, ohne dass Amerika und Europa ernsthaft etwas dagegensetzten, verfestigte sich der Eindruck im Kreml, dass die Ukrainer und der Westen mental und militärisch schwach seien. Und, seien wir ehrlich, in der Tendenz war das zumindest in Deutschland so. Verteidigungsminister_*Innen in Pumps, die die Truppen inspizierten, Marine-Hubschrauber, die nicht über große Wasserflächen fliegen können, Schnellfeuergewehre, die nicht mehr treffen, wenn zu viel geschossen wird, dafür aber Schminktische in Kasernen und Seminare über sexuelle Vielfalt für die Truppe, sogar Kampfanzüge für Schwangere – wer nahm da noch die wachsende Bedrohung aus dem Osten wahr?
Nach Putins Krim-Coup reisten Briten und Amerikaner nach Kiew und boten Präsident Wolodymyr Selenskyj ihre Hilfe an. Die Russen würden sich mit der Krim nicht zufrieden geben, so ihre Botschaft. Und Kiew nahm die Hilfe an. Die ukrainische Armee wurde modernisiert, die Verteidigung von Kiew wurde meisterhaft vorbereitet, Waffen und Ausrüstung wurden geliefert. Deutschland spielte dabei leider eine klägliche Rolle.
Doch, dank Putin, ist der Westen wieder zurück in der Spur
Die große Mehrheit der europäischen Staaten ist nicht bereit, vor dem russischen Möchtegern-Hegemon zurückzuweichen. So wie die große Mehrheit der Ukrainer nicht wollen, dass ihr Kinder und Enkel in einem russischen Reservat ihr Dasein fristen müssen. Niemand will freiwillig unter der Herrschaft dieses Verbrecherstaates leben, zu dem Russland unter Putin geworden ist.
Die EU und die europäischen Staaten der NATO sind einig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Es ist bedauerlich, dass Ungarn und die Slowakei das Spiel Moskaus spielen, aber so wichtig sind diese beiden Länder nicht. Und, meine Meinung, wer in einer so angespannten und gefährlichen Situation die Seiten wechselt, von dem sollte man sich konsequent trennen. Geld vom Westen aber Romantik mit dem Osten – das ist widerwärtig.
Die neuen NATO-Mitglieder Schweden und Finnland sind ein echter Gewinn für Europa und die NATO. Nicht nur, aber auch, militärisch. Aber Führungspersönlichkeiten wie der finnische Präsident „Alex“ Stubb sind als europäische Anführer heute unersetzbar. Auch NATO Generalsekretär Mark Rutte aus den Niederlanden ist der richtige Mann am richtigen Ort in dieser Zeit. Hey, und sogar Deutschland ist aufgewacht. Die Bundeswehr hat plötzlich Geld, und kauft die modernsten Waffen auf der Welt ein, viele aber produzieren wir in Deutschland selbst. Unsere Streitkräfte wachsen – noch zu langsam – aber wenn ich die jungen Männer und Frauen in Uniform freitags auf deutschen Bahnhöfen sehe, dann habe ich doch wieder ein gutes Gefühl, dass dieses Land eine Zukunft haben wird.
Der Faktor Trump
Und damit kommen wir zu der Schwachstelle, zum traurigen Kapitel der ganzen Geschichte. Ist er unser Mann oder ist er Putins Mann? Die Frage stellt sich, seit Donald Trump im Januar die Amtsgeschäfte als US-Präsident im Weißen Haus erneut übernommen hat. In amerikanischen und europäischen Medien kursieren Dokumentationen und podcasts, die sich nur mit dem Thema befassen, was Putin gegen Trump in der Hand haben könnte. Richtige Beweise kann jedoch niemand vorweisen.
Gut möglich, dass Trump tatsächlich seine zweite Amtszeit für seinen Ruhm nutzen und den Friedensnobelpreis als Trophäe für sein Wohnzimmer im Trump-Tower haben will. Das traue ich ihm zu.
Andererseits: Der Präsident der Vereinigten Staaten ist nicht erpressbar. Das ist ausgeschlossen. Er führt die militärisch, technologisch und wirtschaftlich mächtigste Nation auf dem Planeten, er ist der mächtigste Mann der Welt. Und er ist Donald Trump. Mit was sollt man ihn erpressen? Weibergschichten? Ich bitte Sie! Davon sind schon viele bekannt, „grab ‚em by the Pussy“, Schweigegeld für Prostituierte – das hatten wir doch alles schon. Partys mit Epstein, Millionen-Darlehen von russischen Oligarchen, als Trumps Immobilienwelt kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Craig Unger, früherer Chefredakteur des „Boston Magazine“ schrieb 2018 in seinem herausragenden Buch „Trump in Putins Hand“ über den Graubereich von russischen Mafiosi, Oligarchen, Geheimdienstagenten und Staatsdienern, von Bankern und Wirtschaftsmagnaten. Unger hat akribisch Fakten zusammengetragen und kommt zu dem Schluss:
„Präsident Trump stellte seit mehr als 30 Jahren immer wieder für dem Kreml nahestehende Oligarchen und einige der mächtigsten Figuren der russischen Mafia eine Operationsbasis bereit. Der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte ist, im Endeffekt, ein Geheimdienst-‚Asset‘, das dem russischen Präsidenten Putin zuarbeitet.“
Trump arbeitet natürlich nicht für Putin, wird nicht von FSB-Agenten „geführt“. Trump dealt zum eigenen Vorteil mit dem Kreml.
Der amtierende US-Präsident interessiert sich null für die Ukraine. Das denkt auch sein erster Sicherheitsberater von 2017 John Bolton. Er ist heute ein harter Kritiker Trumps geworden, aber er sagt dennoch, dass er in der Zusammenarbeit mit ihm als Präsidenten niemals einen Verdacht hegte, dass Trump korrupt sein könnte, gegen die Ethik seines Amtes oder amerikanische Interessen zu arbeiten oder gar sein Land zu verraten.
Auch Bolton hält die Friedensnobelpreis-These für wahrscheinlich. In einem Interview mit dm deutschen ZDF sagt er im August über Trumps Motiv:
„Schon in seiner ersten Amtszeit hat er oft darüber geklagt, dass Obama den Friedensnobelpreis bekommen, aber eigentlich nicht verdient habe. Trump ging leer aus. Aber das ist typisch Trump – er sieht, dass ein anderer etwas hat und dann will er es auch haben. Und irgendwie ist der Nobelpreis auf seinem Radar erschienen.“
Meinetwegen soll er ihn bekommen – mehr als einst Obama hat er ihn nach Gaza jetzt schon verdient.
Aber nicht zu jedem Preis
Die große Mehrheit der Ukrainer will sich dem Westen annähern. Das Volk hat mit so viel Leid, Zerstörung und Tod in den vergangenen vier Jahren leben und bezahlen müssen, dass wir – der Westen – nicht zulassen dürfen, dass der Massenmörder aus Moskau dafür belohnt wird.
Trumps 28-Punkt-Plan ist ein Dokument der Unterwerfung, ich sage ein Dokument der Schande, eines Anführers der Freien Welt unwürdig.
Die von Russland unter Hunderttausenden Opfern leidlich kontrollierten Gebiete sollen international anerkannt, die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Die Vereinigten Staaten würden umfangreiche wirtschaftliche Kooperation mit Russland aufnehmen und Putin in die G8 zurückkehren. Das ist unzumutbar.
Und die größte Zumutung: Der Kriegsverbrecher im Kreml käme ungestraft davon. Kriegsverbrechen, Deportationen, Zerstörungen würden durch eine umfassende Amnestie für ihn folgenlos bleiben.
Putin wäre der große Gewinner des von ihm angezettelten Krieges. Niemand würde ihn und seine Entourage zur Rechenschaft ziehen, nicht für Hunderttausende Tote und Verkrüppelte, nicht für Zehntausende verschleppte Kinder, nicht für zerstörte Städte, nicht für vergewaltigte Frauen. Einfach für nichts.
Und das Beste: In Trumps „Plan“ spielt Europa keine Rolle. Null. Außer, dass wir die Rechnungen bezahlen für Krieg und Wiederaufbau.
Das wird nicht passieren
Die Ukraine, die seit vier Jahren tapfer und unter größten Opfern ums Überleben kämpft, müsste ein Viertel seines Gebiets abgeben, seine Armee zukünftig halbieren, und verlässliche Sicherheitsgarantin gäbe es nicht, denn Herr Putin will ja keine Stationierung von europäischen Truppen in der Rest-Ukraine haben. Wer soll es denn sonst machen, wenn nicht der Westen? Russland? Nordkorea? Venezuela oder der Kongo?
Wenn Trumps Plan mit Putin Wirklichkeit würde , wäre das Völkerrecht vom Recht des Ruchlosen abgelöst. Der Hitler unserer Tage würde belohnt für seine Aggressivität und völlige Empathielosigkeit auch dem eigenen Volk gegenüber.
Die estnische EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, sie wäre übrigens eine wunderbare Nachfolgerin von Frau von der Leyen, stellte jüngst fest: „Der Druck muss auf dem Aggressor liegen, nicht auf dem Opfer. Wenn man Aggression belohnt, bekommt man nur mehr davon.“
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- Zerstörungen_Butscha_2: privat
