Was uns das Foto von dem hungernden Kind im Jemen lehrt

von KLAUS KELLE

Dieses Foto von dem ausgemergelten Kleinkind im Jemen, das vom Hungertod bedroht ist, kann ein Mensch, der ein Herz hat, kaum ertragen. 20 Millionen Menschen im Südsudan, Somalia, Nigeria und dem Jemen sind akut bedroht, viele werden dieses Jahr nicht überleben. Der UN-Nothilfekoordinator sagt, ein «kritischer Punkt in der Geschichte der Vereinten Nationen» sei erreicht, es stehe die größte humanitäre Katastrophe seit Gründung der Organisation bevor.

Afrika? Das interessiert nur wenige Fernsehzuschauer am Abend, wenn die ARD-Tagesschau läuft. Und wenn uns der schwarze Kontinent interessiert, dann in Zusammenhang mit Flüchtlingen und „Nafris“, die als Bedrohung für uns gesehen werden. Im Frühjahr 1994 töteten in Ruanda Angehörige der Hutu–Mehrheit etwa 75 Prozent der im Land lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligen wollten. Und kaum einen hat es bei uns interessiert. 1.000.000 Tote in 100 Tagen!

Quoten bringt das nicht im deutschen Fernsehen, Afrika ist vergleichweise weit entfernt und man schaut lieber „Dschungelcamp“ als unterernährte weinende Kinder an.

Ich kann so nicht einmal denken. Natürlich sind bei der Entwicklungshilfe durch die reichen Länder über Jahrzehnte schlimme Fehler gemacht worden. Natürlich ist viel Geld und Nahrungsmittelhilfe in dunkle Kanäle abgeflossen, wo korrupte Herrscher sich bis heute die Taschen vollmachen und sich einen Dreck darum kümmern, ob die eigene Bevölkerung verreckt. Das ist alles nicht zu bestreiten. Aber kann die Konsequenz aus all dem sein, dass wir wieder wegschauen? Dass wir uns solchen Fotos wie dem von dem Kind aus Jemen verweigern?

Manche Leute sagen: Das ist nicht unsere Sache, die müssen sich erstmal selbst helfen. Andere sagen, wir müssen dort etwas tun, damit sich nicht weitere Millionen zu Fuß auf den Weg nach Europa und damit Deutschland machen. Ich denke anders: Das sind Menschen, und ob wir aus christlicher Motivation oder aus einem wie auch immer gearteten „Humanismus“ handeln, wir müssen diesen Leuten helfen. Schnell! Das Kind aus Jemen auf diesem mitleiderregenden Foto ist kein Wirtschaftsflüchtling, das an unserem Wohlstand teilhaben will. Und es ist kein IS-Terrorist, der uns umbringen will. Es ist ein kleiner Mensch in akuter Lebensgefahr.

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.