Väter feiern heute ihre Kinder – und die sind kein Hobby nach der Erwerbsarbeit mehr

von KIRSTINE FRATZ

Ich hab Dich lieb… Was so schön klingt und so große Wirkung hat, ist für viele Jahre, und noch länger, schwer über die Lippen von Vätern gekommen. Zu weich, zu lieb, zu weiblich und als nicht genug männlich, wurde diese gesprochene Zuneigung eingestuft. Der Vater eine Autoritätsperson, der Platzhalter für Respekt und Ordnung, so jedenfalls das gesellschaftliche Ideal vergangener Tage.

Wie viele Väter aus früheren Zeiten ihren Kindern wohl Liebesvolles gesagt haben, wird in der historischen Rückschau ja meist verschwiegen. Da ist von kindlichen, harten Ausbildungen für antike Kämpfer, von drangsalierten Thronfolgern in europäischen Königshäusern und leistungsgetrimmten Hoffnungsträgern für Unternehmer-Dynastien die Rede. Alles für Vaterland und Ansehen der Familie.

Wann eigentlich in der Geschichte begann solch pseudo-väterliches Verhalten, das sich als Alleinherrscher über die Außenwahrnehmung eines Kindes verstand, ohne auf dessen Seele zu achten? Wie waren eigentlich Väter zu Zeiten, als Krieg und Gehorsam noch nicht das Maß aller Dinge waren? Als noch nicht die punischen Kriege die Geschichtsbücher dominierten und man große, dicke Frauen als Göttinnen verehrt hat? Nun ideal aus heutiger Sicht war es wahrscheinlich auch nicht, aber bestimmt anders. Väter lieben ihre Kinder, aber wie sie diese Liebe ausdrücken, ist auch immer eine Frage vom Geist der Zeit.

Heute ist es kaum vorstellbar, dass väterliche Härte allein aus Kindern gute Menschen macht, dass gerade diese verordnete Lieblosigkeit ihnen ein gelungenes Leben bescheren soll. Schläge galten als Liebesbeweis: „Ich meine es nur gut mit Dir.“ „Warte wenn Dein Vater nach Hause kommt, dann…“ Wie sehr hat man von Vätern erwartet, sich emotional von ihren Lieben getrennt zu fühlen, damit sie deren Gefühle – ebenso wie ihre eigenen! – für die herrschende Ordnung opfern konnten? Doch wer alles bestimmen und beherrschen will, ist am Ende derjenige, der am wenigsten verstanden hat. Heute wird jedem Versagen vorgeworfen, der Kinder nicht richtig versteht, egal ob Eltern, Lehrer oder sonst wer. Wer den Kleinsten nicht die nötige Empathie für Ihr persönliches Sein entgegenbringen kann, darf nicht mehr auf Zuwachs von Autorität und Ansehen hoffen – im Gegenteil.

Nun kann man gleich wieder ausrufen, dass auch das nicht gut ist und wiederum Probleme mit sich bringt. Ja, mag sein, aber um die wird sich sicherlich die nächste Generation kümmern und Ideen haben, wie es von da aus weitergehen könnte.

Heute werden Väter dafür gefeiert, wenn sie rosa Kinderwagen schieben, auf Spielplätzen mit Coffee to Go ausharren und ihre Babys mit ins Meeting nehmen. Väter sind auf eine Art und Weise präsent geworden, wie es noch vor kurzer Zeit unvorstellbar war. Sie haben ihre Kinder ganz öffentlich lieb, mit allen Brotdosen und Tütü. Der liebevolle, sich kümmernde Vater hat an Status gewonnen. Er backt, wickelt und stresst sich mit dem schreienden Kind sogar vor dem Computer in der Werbe- und Marketingwelt. Der „Ich hab Dich lieb“-Papa ist der neue Star der Elternschaft.

Und obwohl dieses Bild schon eine Weile promotet wird, staune ich immer noch, wenn es mir in der Wirklichkeit begegnet. Kürzlich wurde ich für ein spontanes Telefoninterview per SMS angefragt, mit der dringenden Bitte, dieses doch in den nächsten 30 Minuten stattfinden zu lassen. Ich sagte zu und dachte mir automatisch, der Zeitdruck sei wegen Terminstress. Da rief mich der Redakteur an und erklärte mir mit gedämpfter Stimme, dass leider alles sehr schnell gehen müsse, und schon hörte ich ein leises Quengeln im Hintergrund. Sofort wurde er nervös und bat mich, das Interview auf später zu verschieben. Seine kleine Gebieterin hatte beschlossen, ihren Mittagsschlaf früher zu beenden, und duldete keinen Aufschub der Aufmerksamkeit. Das Interview wurde vertagt, und er entschuldige sich für die „Störung“. Welche Störung? Ist es nicht längst an der Zeit, Kinder nicht nur als Hobby nach getaner Erwerbsarbeit zu betrachten? Seit Corona und Homeoffice hat man sich doch endlich daran gewöhnt, dass Kinder die Arbeitsabläufe „stören“ – was für eine Entspannung! Hoffentlich sind bald die Zeiten ganz vorbei, wo so getan wird, als sei man am Hauptbahnhof, wenn man einen Business Anruf auf dem Spielplatz erhält, um einen Kompetenzverlust zu vermeiden.

Ein neuer Zeitgeist ist auch immer eine Erlaubnis, mit Kultur zu experimentieren, um sich von den herrschenden Verhältnissen zu erholen. Schaut man sich die Väter heute an, so meint man einem kollektiven Kuraufenthalt zuzusehen. Sie sind heute „emotionally available“, emotional erreichbar für ihre Kinder, und sind damit einen weiten Weg in der kulturellen Evolution gegangen. Die öffentliche Meinung gesteht ihnen diese Liebe zu. Ihnen droht kein Stärkeverlust mehr, und auch die Angst, aus den Kindern würden verweichlichte Nichtsnutze werden, wenn sie väterliches Liebhaben erfahren, ist verflogen. Der aktuelle Coaching Hype und der Trend zum spirituellen Erwachen haben den emotional nicht erreichbaren Vater schon längst als
Problemquelle der später erwachsenen Kinder ausgemacht und damit zur gesamt gesellschaftlichen Schwierigkeit erklärt. Das einstige väterliche „Privileg“, Erziehung mit Härte anzugehen, ist nicht mehr die Basis für ein erfolgreiches Leben sondern wird als Beschädigung der Kinderseele angesehen, welche in ein misslingendes Leben münden könnte. Das ist eine 360 Grad Wandlung in Sachen Vaterschaft.

Ganz ohne Dominanz-Anspruch sehen wir durchtrainierte Männer mit Vollbart und Tätowierung ihre Kinder bepuscheln, und schon das Hinsehen tut gut. Da entsteht Sog – auch für die Damen!

„Ich hab Dich lieb“-Väter sind sexy und der Traum jeder Frau mit Ambitionen und/oder psychologischer Belesenheit. Hier entsteht ein neues Versprechen von gelingendem Familienleben, was sich verheißungsvoll mehr an Talentmanagement orientiert, als an „Du musst“ und „Du sollst“. Und später darf man dann alles wieder aufräumen, weil zu viel von „Ich bin aber doch auch…“ auf der Strecke geblieben ist. Väter bleiben männlich, selbst wenn sie feminine Eigenschaften zeigen, und ich kann nur darüber staunen, dass man so lange dachte, das gehe gar nicht. Die Väter haben es geschafft ihr „Ich hab Dich lieb“-Potenzial in der öffentlichen Wahrnehmung ausleben zu dürfen, und ich bin gespannt, was das wohl für die nächste Generation bedeuten wird.

Was wird aus solchen kollektiven Gewissheiten wie „Frauen stehen immer auf A*löcher“? Werden die jungen Frauen in Zukunft weiterhin bei emotional unerreichbaren Männern anhaften? Oder sind die von ihren Vätern gefeierten kleinen Mädchen nun anderes gewöhnt? Wie werden sich Männer und auch Frauen in Zukunft emotional aufstellen, um für das Abenteuer Familie jeweils erwählt zu werden? Mit welchen Versprechen werden sie in das Familienfeld ziehen, um den neuen, gemeinsamen Fokus auf mentale und emotionale Gesundheit aller Beteiligten zu fördern? Wer hier mal wieder den Untergang in Sachen Gender sieht, ist blind für eine Entwicklungsgroßzügigkeit in der Zeitgeist-Betrachtung, die an dieser Stelle angebracht wäre. Hier streben Väter und Kinder, und im Zuge dessen auch Männer und Frauen, in einer Art und Weise wieder zueinander, wo viel zu lange schmerzliche Getrenntheit geherrscht hat. Ein großes Stück kulturelle Evolution ist geschafft, wenn die „Ich hab Dich lieb“-Väter zum neuen Konservativ erklärt werden.

Bildquelle:

  • Vater_Baby: pixabay

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