von MARTIN D. WIND
ROM – Manchmal überdeckt die Aktualität die Erinnerung an wichtige, historische Momente. So war das auch gestern: Der abstoßende Judenhass auf deutschen Straßen hat ein Geschehen überdeckt, dessen Ausgang den Lauf der Geschichte in jedem Fall stark beeinflusst hätte bzw. hat. Am 13. Mai 1981 fielen während der Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom Schüsse. Vor laufenden Kameras sackte Papst Johannes Paul II. getroffen zusammen. Ein Schweizer Gardist beugte sich über das geistliche Oberhaupt von 1,1 Milliarden Katholiken und schützte ihn. Sein Kammerdiner Angelo Gugel und sein Sekretär Stanislaw Dziwisz fingen den zusammensinkenden Papst auf und hielten ihn während der rasenden Fahrt zur Gemelli-Klinik fest.
Dort wird der Papst notoperiert, um eine unmittelbare Lebensgefahr abzuwenden. Insgesamt war er von drei Pistolenschüssen getroffen worden: Eine Kugel streifte den Ellenbogen, eine den Zeigefinger der linken Hand, eine drang in den Unterleib ein und durchschlug den Rücken nahe der Wirbelsäule. Als Attentäter wurde noch auf dem Petersplatz Mehmet Ali Agca, türkischer Staatsangehöriger mit bewegter Vergangenheit, von einer Ordensfrau, Schwester Letizia, festgehalten, bis italienische Polizei und ein Schweizer Gardist ihn endgültig überwältigen und festnehmen konnten. Im ersten Verhör bekennt er sich bereits zur Täterschaft und erzählt unumwunden aus seinem bisherigen, gewalttätigen Leben. Je mehr und je länger er erzählt, umso verworrener und absurder werden seine Geschichten.
Doch hier soll es um Johannes Paul II. und seinen Umgang mit dem Attentat gehen. Immerhin war dieser Papst, der 1920 als Karol Józef Wojtyła in Polen geboren wurde, als standfester Katholik, als geheim geweihter Priester, als Weihbischof und Bischof, als Denker und Gelehrter und als Kämpfer für die Religionsfreiheit bereits bekannt und gefürchtet: Bekannt und geachtet bei den Katholiken in Polen, den Anrainerstaaten und in Rom sowie gefürchtet und unter Beobachtung der kommunistischen Machthaber. Der Mann war mit seinen Ideen gefährlich für die Regime des Ostblocks. Doch bisher hatte man ein offenes Vorgehen gegen ihn als nicht notwendig erachtet oder sich nicht getraut. Nun war dieser Mann am 16. Oktober 1978 zum Papst der Kirche gewählt worden!
Schlagartig rückte der Umgang der Kirche mit dem Ostblock und seinen diktatorischen Gewaltregimen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Hier gab es jetzt eine sehr deutlich erkennbare Bruchlinie. „Habt keine Angst“ rief er Hunderttausenden Menschen nach seiner Wahl vom Balkon des Petersdoms aus zu. Schon im Juni 1979 besuchte er sein Heimatland und sprach auch dort den unterdrückten Menschen Mut zu. Je mehr dieser Verbreiter der Frohen Botschaft Begeisterung bei den Menschen auslöste, je mehr er den Menschen klar machte, dass sie auch ohne Regime einen Wert und als Persönlichkeiten Freiheitsrechte besitzen, die ihnen keine Regierung wegnehmen darf, umso gefährlicher wurde er den kommunistischen Diktatoren, umso nervöser wurden sie. Das wusste auch Johannes Paul II.
Es wundert nun kaum, dass man auch heute in Rom noch recht sicher davon überzeugt ist, dass der Befehl zu diesem Anschlag auf Leib und Leben eines Papstes aus Moskau kam. Im Gegensatz zu heute, wo man im Kreml offenbar inzwischen Wert darauf zu legen scheint, dass sehr deutlich wird, aus welchen Kreisen ein Attentat in Auftrag gegeben wird, scheute man damals allerdings das helle Licht. Bis zu seiner Abschiebung in die Türkei wartete allein der Attentäter mit mehr als 20 vollkommen abstrusen Geschichten über die Hintergründe seiner Tat auf. Die Spuren, die faktenfest recherchiert werden konnten, deuten auf eine lang vorbereitete und sehr breit durchgeführte Verschleierungsaktion rund um Ali Agca hin. Aber diese Hinweise auf Moskau, die Türkei, die Grauen Wölfe oder auch gezielt falsch gelegt Fährten nach Bulgarien, hielten Johannes Paul II. nicht von seinem eingeschlagenen Weg auf.
Er war überzeugt, dass sein Überleben nur einem Wunder zu verdanken sei. Das Attentat geschah am 64. Jahrestag der Erscheinung der Gottesmutter von Fatima. Etwa um die gleiche Zeit mit den Schüssen auf den Papst soll damals den drei Hirtenkindern die Gottesmutter Maria erschienen sein. Johannes Paul II., ein frommer Marienverehrer, behauptete von Anfang an, dass Maria bei seiner Rettung die Hand im Spiel gehabt haben muss: Sie habe die dritte Kugel so geleitet, dass sie auf ihrem Weg durch seinen Körper keinerlei lebenswichtiges Organ oder gar die Wirbelsäule verletzte. Diese Kugel wurde später in die Krone der Marienstatue des Heiligtums in Fatima eingearbeitet. Auch so wollte Johannes Paul der Gottesmutter seinen Dank für seine wundersame Rettung ausdrücken.
An ein Wunder grenzt für viele Menschen außerhalb der Kirche der Umgang des Papstes mit dem Mann, der ihm nach dem Leben trachtete. Schon vier Tage nach der lebensgefährlichen Attacke sandte der Papst eine Tonbandbotschaft an die betenden Pilger auf dem Petersplatz: „Ich bete für den Bruder, der mich verwundet hat und dem ich aufrichtig verzeihe.“ Das ist gelebte Feindesliebe. Noch besser erkennbar wurde diese Haltung, als 1983 Fotos veröffentlicht wurden, die Johannes Paul bei einem Besuch in der Zelle es Ali Agca zeigen, beide beieinandersitzend und ins Gespräch vertieft.
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- Papst_Attentat: dw