von KLAUS KELLE
BERLIN – Der amerikanische Sicherheitsexperte Michael J. Williams vertritt in einem aktuellen Interview mit dem Portal t-online die schneidige These, dass das Zögern der NATO, auf russische Luftraumverletzungen robust zu reagieren, ein schwerer Fehler ist, der Russlands Kriegs-Präsidenten Wladimir Putin nur ermuntere, unsere Grenzen immer weiter auszutesten.
Das, was Putin jetzt „veranstalte“, habe eine neue Qualität. Er teste, wie entschlossen die NATO reagiert und wo sich Schwachstellen auftun. Williams: „Ich halte das für eine gefährliche Eskalation.“
Und Williams hat recht mit seiner Einschätzung
Russland hat die Schlagzahl in den vergangenen Monaten deutlich erhöht, auch gegen Deutschland, wo fast täglich Spionage- und Sabotageaktionen russischer Geheimdienst und ihrer willfährigen „Wegwerfagenten“ stattfinden.
Dass russische Dienste Agenten in Deutschland beschäftigen, die Einfluss in Politik und Wirtschaft gewinnen und persönliche Bindungen zu einflussreichen Personen aufbauen sollen, ist nicht neu. Dass russische Dienste direkten Einfluss auf große Konzerne in Europa und damit auch in Deutschland ausüben, wissen wir spätestens durch die Fälle Haub/Tengelmann und Wirecard/Marsalek. Dabei geht es nicht nur Informationsgewinnung, sondern um aktiven Einfluss, um große Geldflüsse bewirken zu können, und es geht um den Einstieg in das europäische Banken- und Geldsystem.
Aber nach Hackerangriffen auf Institutionen und Bundesregierung, nach Sabotageaktionen auf Schiffen der Bundesmarine und Brandbomben in DHL-Frachtflugzeugen am Flughafen Leipzig, muss man schon sehr naiv oder ignorant sein, um die Gefahr zu ignorieren, die Deutschland von Russland aus heute droht.
„Die Bundesregierung ist noch immer nicht in der Lage, den extremen Bedrohungen, die von hybriden Angriffen für unsere Demokratie, unsere Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger ausgehen, angemessen zu begegnen“, sagte jetzt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. Der Mann ist ein erfahrener Bundestagsabgeordneter und seit März 2022 Vorsitzender des geheimen Parlamentarischen Kontrollgremiums /PKG) zur Kontrolle der drei deutschen Geheimdienste, das zurecht nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Mitglieder der Linken und der AfD verzichtet. Die Ohren Moskau hören sowieso schon viel zu viel in der Bundeshauptstadt.
Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden mehr als 530 Drohnen-Sichtungen über Deutschland registriert
Schwerpunkte dieser Sichtungen sind dabei Bundeswehrstandorte wie der Marinestützpunkt Wilhelmshaven, aber auch die neuen LNG-Terminals und Bahnstrecken, die wichtig für deutsche Waffenlieferungen sind. Besonders über Ostdeutschland lassen Russen und ihre Helfershelfer Überwachungsdrohnen aufsteigen, um zum Beispiel zu erfahren, wann und wo Munitionstransporte in der Ukraine eintreffen.
Die Bundeswehr hat diese Aktivitäten im Blick, darf Drohnen aber nicht abschießen, weil – sehr deutsche Betrachtungsweise – man Angst hat, dass unbeteiligte Bürger durch Trümmerteile einer abgeschossenen Drohne verletzt werden könnten. So, als würden Familien mit Kindern und Hund am Sonntag auf dem Kasernengelände Spaziergänge machen. Und wer fragt sich, was eigentlich ist, wenn da mal Drohnen nicht mit Kameras, sondern mit Sprengladungen angeflogen kommen?
Alles, was die Bundeswehr darf ist, registrieren und wenn sie den ganz großen Hammer rausholen, technische Störmaßnahmen einzuleiten, um die Funkverbindung der Drohnen zu stören oder sie zum Absturz zu bringen, was nur sehr selten gelingt. Zwar gibt es einen Gesetzentwurf, der regeln soll, unter welchen Bedingungen man die Dinger schnell und effektiv vom Himmel holt. Aber es ist eben erstmal ein Entwurf. Ist ja noch nichts passiert, keine Eile.
So wie jahrelang die Bundeswehr von der Politik heruntergewirtschaftet wurde, so wie man unseren Geheimdiensten enge Fesseln angelegt hat, über die deren Kollegen in verbündeten Staaten nur den Kopf schütteln, so sind wir insgesamt nicht vorbereitet auf solche vergleichsweise kleineren Ernstfälle.
Doch auch in der NATO sieht es nicht besser aus
Während die osteuropäischen Partner, die das wahre Russland noch aus Zeiten der sowjetischen Unterdrückung kennen, auf mehr demonstrative Entschlossenheit drängen, sind manche Westeuropäer immer noch im gemütlichen Modus vergangener Zeiten, je weiter sie von Russland entfernt sind. Und die Regeln, die seit vielen Jahren gelten, sind einfach nicht mehr zeitgemäß.
Der frühere US-General Ben Hodges, einst Oberbefehlshaber aller amerikanischen Streitkräfte in Europa, erzählte mir mal von den logistischen Problemen. „Wenn Putin will, das Fahrzugkolonnen Richtung Westen rollen, dann befiehlt er das, und dann rollen die.“ Doch wenn Fahrzeuge und Panzer von Deutschland aus zu – sagen wir – einem NATO-Partner im Baltikum verlegt werden sollen, dann muss jedes einzelne Fahrzeug an jeder Grenze abgestempelte Papiere vorweisen können. Zugegeben, das Gespräch mit Hodges war vor sieben Jahren, ich hoffe, die NATO kann die Abläufe inzwischen effektiver gestalten, da jeder heute erkennen kann, dass Russland nicht unser Freund und auch nicht unser Partner ist.
Oder nehmen Sie das Air Policing der NATO, mit dem sich europäisch NATO-Partner mit starker Luftwaffe abwechseln, um das schwache Baltikum zu schützen! Wenn dann zum Beispiel italienische Kampfjets eine russische Maschine im estnischen Luftraum abschießen müssten, weil diese eine Bedrohung darstellt, entscheidet das nicht die NATO oder Estland, sondern Italien muss am Ende auch zustimmen. Das ist so eine irre Regelungswut, als habe sie ein deutscher Beamter erfunden. Völlig untauglich für den Ernstfall.
Unser neuer NATO-Partner Schweden zeigt uns jetzt, dass es auch anders geht und hat sich entschieden, den Partnern im Bündnis zu zeigen, wie Entschlossenheit funktioniert. Sie haben angekündigt, russische Luftraumverletzungen auch mit Abschuss der feindlichen Flugzeuge zu begegnen. „Kein Land hat das Recht, schwedischen Luftraum zu verletzen“, sagte Verteidigungsminister Pål Jonson dazu.
Und kein Land hat das Recht, estnischen, polnischen, rumänischen oder deutschen Luftraum zu verletzen. Zeit, aufzuwachen und konsequent zu handeln.
Bildquelle:
- Russischer Spionagflieger: bundesluftwaffe