Warum Erdogan in einer freien Gesellschaft nicht würde reden können … und warum doch

von FELIX HONEKAMP

Darf er nun kommen, der, den ich selbst ab und zu den „Irren vom Bosporus“ nenne? Darf Recep Tayyip Erdogan in Deutschland Werbung machen für eine Entwicklung in der Türkei hin zu mehr Totalitarismus? Juristisch wird es dazu sicher irgendwann eine Aussage geben, aber die wird eben genau das sein: eine juristische, um nicht zu sagen „rechtspositivistische“ Antwort auf diese Fragen hinsichtlich rechtlich möglicher Einschränkungen und der verfassungsmäßigen Rechte eines fremden Staatsoberhaupts in diesem Land.

Die viel spannendere Frage ist aber eine andere: Sollten Erdogan oder seine treuen Vasallen hier in diesem Land reden dürfen? Und bevor man zu schnell antwortet („Soll er doch zu Hause reden, ‚Wir‘ machen doch auch keinen Wahlkampf in der Türkei …“) vielleicht auch noch über das nachdenken, was ich den „Primat der Freiheit“ oder wahlweise eine „Verbotsallergie“ nennen möchte: Erst mal sollte ein freier Mensch alles tun dürfen, was niemand anderem schadet. Ob nun ein Schaden entsteht, das kann man durchaus in Gesetzen regeln, die aber von dieser Prämisse des „eigentlich alles dürfen“ ausgehend mit möglichst wenig Verboten auskommen können sollte.

Von da aus nämlich lässt sich auch die Meinungsfreiheit argumentieren. Ein englisches Sprichwort sagt: „Sticks and stones may break my bones, but words will never break me.“ (In Deutschland etwas frei übersetzt: „Stock und Stein brechen mein Gebein, doch Worte bringen keine Pein.“) Wenn Erdogan – oder irgendjemand anderes – also der Meinung ist, dass die Türkei mit  einem ihm vorschwebenden Präsidialsystem besser regiert würde – warum sollte er das nicht sagen dürfen? Und wenn jemand der Meinung ist, dass die Todesstrafe eine ganz passable Konsequenz für einige Verbrechen sein könnte – warum sollte er das nicht sagen dürfen? Hart an den Rand dieser Meinungsfreiheit ginge ein Aufruf zur Gewalt gegen jemand anderen, aber das steht hier wohl derzeit kaum zur Diskussion.

Es gibt deshalb schlicht keinen Grund, warum Erdogan nicht auch in Deutschland sprechen dürfen sollte, solange er nicht Gewalt ausübt oder dazu aufruft. Trotzdem mag den einen oder anderen Unbehagen befallen, wenn man sich große Hallen mit der türkischen Flagge geschmückt, in der Menschenmassen ihrem „Führer“ zujubeln, vorstellt. Gibt es also keine Möglichkeit, das zu verhindern? Klar gibt es die, in einer wirklich freien Gesellschaft. In der stellt sich nämlich nicht in erster Linie die Frage, „ob“ Erdogan reden darf – wie gesagt, das darf er natürlich – sondern „wo“. Und da es in einer wirklich freien Gesellschaft keinen staatlichen oder halbstaatlichen Eigentümer von Kongresshallen und Stadien gibt, entscheidet allein der Eigentümer, ob er Erdogan rein lassen und sprechen lassen will oder nicht. Dieser Eigentümer wiederum wird sich überlegen, welche Konsequenzen eine Zusage (oder Absage) haben könnte. Wenn also die Vermietung einer Halle an einen türkischen Präsidenten dazu führen würde, dass anschließend Aufträge ausbleiben, wird der Eigner das – neben seiner persönlichen politischen Überzeugung – einkalkulieren.

Der Baudezernent des badischen Gaggenau, Michael Pfeiffer, hat streng genommen eigentlich nichts anderes gemacht, als sein Hausrecht auszuüben, als er eine Werbeveranstaltung mit dem türkischen Justizministers Bekir Bozdag in einer örtlichen Festhalle untersagte. Dass er das als Staatsvertreter getan hat, macht jedem Liberalen ein bisschen Bauschmerzen, aber in einer freien Gesellschaft darf das ein jeder Eigentümer: Auftritte für einen Irren mit Führerallüren lassen sich so ebenso durch die Eigner von Veranstaltungsorten unterbinden wie solche von vermeintlich ganz normalen Parteien. Über all dem schwebt dann der soziale Druck, für manche Parteien lieber keinen Platz einzuräumen, was mehr über das Freiheitsverständnis derjenigen aussagt, die Druck ausüben, als derjenigen, die in ihren Ländern Freiheit einschränken wollen. In einer freien Gesellschaft multiplizieren sich aber dann die Möglichkeiten und die Entscheidung, ob ein Saal an jemanden vermietet wird, orientiert sich nicht mehr am staatspolitischen sondern am wirtschaftlichen Kalkül des Eigners und dessen eigener Einstellung. Mehr Freiheit als heute bedeutet das allemal.

Bildquelle:

  • Gaggenau_leere Stühle: dpa

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