Warum machen Sie jetzt beim Zentrum mit, Professor Meuthen?

Prof. Jörg Meuthen, Mitglied des Europaparlaments.

BERLIN – Der frühere AfD-Bundessprecher und heute noch EU-Parlamentarier Prof. Dr. Jörg Meuthen hat sich der traditionsreichen aber kleinen Deutschen Zentrumspartei angeschlossen. Viele seiner früheren Anhänger und Wähler fragen sich: Warum? Also haben wir mit ihm darüber gesprochen…

Jörg Meuthen, Sind Sie katholisch?
Ja.

Das Zentrum war ja einst die bedeutende politische Vertretung der deutschen Katholiken, viele Mitglieder und Politiker wechselten nach 1945 zu CDU und CSU als überkonfessionelle Sammlungsbewegung. Warum braucht es heute noch das Zentrum?

Das hat heute schon sehr lange keine religiösen oder konfessionell geprägten Gründe mehr. Es braucht in Deutschland mehr denn je eine freiheitlich-konservative, bürgerliche Kraft, mit klarem Kompass, Maß und Mitte. Die CDU/CSU hatte diese Rolle tatsächlich in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland inne. Die Zeiten sind aber unübersehbar vorbei.

Die heutige Union dient sich überall dem links-grün geprägten Zeitgeist an, regiert inzwischen in Baden-Württemberg, Hessen, NRW und Schleswig-Holstein in einer Koalitionsregierung mit den sozialistischen Grünen. Wer geglaubt hatte, Friedrich Merz werde als neuer Parteivorsitzender daran irgendetwas ändern, sieht sich längst getäuscht. Erkennbar strebt auch er diese Konstellation im Bund an und biedert sich den Grünen an. Das Zentrum ist nach Lage der Dinge heute die einzige Partei eines modernen Konservatismus. Deshalb braucht es uns.

Als Sie als Bundessprecher aus der AfD ausgetreten sind, war niemand mehr wirklich überrascht, weil die Zerrüttung mit ihrer früheren Partei unübersehbar war. Aber dass Sie sich der Kleinpartei Zentrum angeschlossen haben, das war wirklich überraschend. Warum haben Sie dort den Anmeldezettel unterschrieben?

Ich habe mir nach meinem Austritt aus der AfD Ende Januar ganz bewusst einige Monate Zeit genommen, um sehr genau hinzuschauen, mit wem ich meine politische Arbeit künftig fortsetzen möchte. Im Kennenlernen und in ungezählten Gesprächen kristallisierte sich in dieser Zeit ganz deutlich heraus, dass diese – wenn auch kleine – Partei diejenige ist, die ganz ausgezeichnet zu mir und meinen politischen Vorstellungen passt. Und so ist es nun auch.

Das Zentrum hat einen klangvollen Namen in der deutschen Geschichte, war aber in den vergangenen Jahrzehnten bedeutungslos. Außer ein paar Kommunalmandaten sprang nichts heraus. Warum soll das jetzt mit Ihnen anders werden?
Erfolg geschieht nicht von selbst. Er stellt sich auch nicht durch ein einziges neues Mitglied ein, habe das auch einen prominenten Namen. Erfolg ist nahezu immer das Ergebnis harter und beharrlicher Arbeit vieler. Genau das gehen wir im Zentrum gemeinsam an, konsequent, geduldig und beharrlich. Das geht nicht von jetzt auf gleich, so etwas muss kontinuierlich wachsen. Da entsteht gerade gutes Neues, und die Mitgliederentwicklung gestaltet sich tatsächlich derzeit, vermutlich hat das auch mit meinem Parteibeitritt ein wenig zu tun, sehr erfreulich.

In Deutschland sind mehrere Gruppen gerade unterwegs, die eine neue Partei im Bereich der politisch Heimatlosen zwischen der linksgewendeten Union und der nach rechts abrutschenden AfD auf die Beine stellen wollen. Ich denke, Sie wissen davon. Wäre es nicht sinnvoll, sich da irgendwo einzubringen?

Natürlich weiß ich davon, ich kenne viele der Akteure persönlich und schätze sie. Man spricht miteinander, und das ist gut so. Da ist auch gar keine Gegnerschaft, eher sogar das Gegenteil dessen. Aber ich habe für mich selbst nach sorgsamer Abwägung eben die Entscheidung getroffen, die Gründung einer neuen Partei als mögliche Option nicht zu verfolgen, auch weil ich sie nicht für sehr aussichtsreich hielte. Und ich habe mit dem Zentrum eine bereits bestehende Partei gefunden, die für die Ziele und Ideale steht, die auch meine sind. Das muss jeder für sich selbst wissen. Für mich war diese Entscheidung die richtige, und sie fühlt sich auch Monate später ausgesprochen gut an. Ich arbeite im Zentrum mit prima Leuten zusammen.

Das Zentrum wollte zur Landtagswahl in Niedersachsen antreten, das scheiterte daran, dass sie die 2000 Unterstützungsunterschriften nicht zusammenbekommen haben. Ein kraftvoller Neuaufbruch sieht anders aus…
Das war zwar ein wenig schade, ja, ist aber kein Beinbruch für die Partei. In einem Landesverband mit zum Startzeitpunkt kaum mehr als zwei Dutzend Mitgliedern erwies es sich als letztlich nicht möglich, in der sehr kurzen Frist weniger Wochen mit einsetzenden Ferien und mehreren Covid-bedingten Ausfällen eine solch große Menge an Unterstützungsunterschriften zu sammeln (zum Vergleich: Im deutlich größeren NRW waren kurz zuvor nur 500 Unterschriften gefordert). Das nächste Mal klappt das, Sie werden sehen.

Dann ist dem Zentrum vor wenigen Tagen der einzige Bundestagsabgeordnete, Uwe Witt, verlustig gegangen, der auch von der AfD gekommen ist. Er begründete das mit schweren Differenzen mit Ihnen persönlich. Können Sie das nachvollziehen?

Uwe Witt hat sich in den vergangenen Monaten seit seinem Eintritt in die Zentrumspartei aufgrund seiner nicht einfachen Persönlichkeit mit allen Mitgliedern des Bundesvorstands häufig gestritten und zum Teil überworfen. Darum hat der Bundesvorstand schließlich am vergangenen Wochenende vor seinem Austritt seine Kooptierung in das Gremium annulliert. Ich selbst hatte gar kein Problem mit ihm und habe mich sogar immer wieder vermittelnd bemüht, die stets von ihm ausgehenden Spannungen zwischen ihm und Mitgliedern des Bundesvorstands zu glätten und nicht ausufern zu lassen. Warum er nun seinen Austritt mit Differenzen mit mir begründet und vollkommen unzutreffende Dinge über mich in die Welt posaunt, ist mir wie auch allen anderen Beteiligten ein Rätsel. Rational erklärbar ist das definitiv nicht. Ich denke, es ist sein Problem, nicht meines.

Sie sind noch Europaabgeordneter, in Brüssel auf dem AfD-Ticket eingezogen. Warum tun sie sich jetzt das Zentrum an? Brauchen Alphatiere wie Sie eine Partei, Sitzungen, Visitenkarten oder leiden Sie und andere unter Phantomschmerz, wenn sie aus dem etablierten Politzirkus rausrutschen oder – wie Sie – gehen? Ich meine, Sie könnten doch nach Ihrer Zeit im EU-Parlament einfach Golf spielen und das Leben genießen…
Das ist eine lustige Frage. Ich und Golf spielen? Die Idee hatte ich noch nie, wäre auch nicht mein Ding. Wenn ich in meinem Leben noch einmal viel freie Zeit haben sollte und die Gesundheit es hergibt, würde ich sie eher mit meiner alten Leidenschaft, der Segelfliegerei, verbringen. Und nein, ich verspürte in den Monaten ohne Parteimitgliedschaft keinerlei Phantomschmerz.

Sitzungen nerven oft, weil sie viel zu lang dauern und nicht effizient verlaufen. Visitenkarten habe ich notorisch nicht dabei. Nein, das alles brauche ich ganz sicher nicht. Aber ich möchte aus innerem Antrieb noch weiter politisch arbeiten, weil ich einfach nicht tatenlos zusehen möchte, wie hier die politischen Dinge schieflaufen und die Zukunft meiner Kinder und Enkel immer vehementer gefährden.

Eines noch zur Klarstellung: Ich bin nicht auf einem „AfD-Ticket“ ins EP eingezogen, sondern ich habe ein Wahlprogramm mit entwickelt und vertreten, die EU von Grund auf reformieren zu wollen. Dafür bin ich in das Europäische Parlament gewählt worden. Die AfD, nicht ich, hat auf dem Dresdner Parteitag dieses Programm verworfen und sich stattdessen in ihrer Radikalisierung für die Forderung nach einem – aus meiner Sicht irrwitzigen – Austritt Deutschlands aus der EU („Dexit“) entschieden. Wer also vertritt hier die Positionen, für die er ins Parlament gewählt wurde, und wer tut das nicht mehr?

Das Gespräch mit Prof. Jörg Meuthen führte Klaus Kelle.

Bildquelle:

  • Jörg_Meuthen_Zentrum: zentrumspartei

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.