von FELIX HONEKAMP
Wer Rock’n’Roll hört und unter anderem James Dean vor Augen hat, der weiß, was diese Stilrichtung einmal war: Der musikgewordene Aufstand gegen das Establishment. Frisuren, Kleidung und Musik, alles zusammen ein Mix, der den Eltern wahlweise die Scham oder die Zornesröte ins Gesicht treiben sollte. Seither ist nichts mehr im Musikgeschäft wie es mal war: Jede Generation erfand sich durch Musik neu und legte es darauf an, mit Konventionen zu brechen.
Man soll sich nichts vormachen, dahinter standen immer auch wirtschaftliche Interessen, an denen gerade auch junge erfolgreiche Musiker seit Ende der 60er Jahre gescheitert sind: Von Jimi Hendrix bis Amy Winehouse – mit Erfolg umzugehen war vielen in diesem sogenannten Club 27 (benannt nach dem Alter, in dem viele dieser Musiker durch eigene Hand oder Drogeneinfluss gestorben sind) nicht möglich; die Rebellion auf der einen Seite und das „Business“ auf der anderen kann zerreißen. Das ist kein Vorbild, dem man nacheifern sollte, dennoch gibt es Aufschluss über die Seele des „Rock’n’Roll“ als innere Überzeugung, die Gesellschaft verändern, verbessern zu wollen – auch dann, wenn die Richtungen einem heute abstrus vorkommen.
Zu ihrer Zeit waren die Helden der Rock- und Popmusik damit durchaus mutig: Rebellion gegen das Establishment fordert dieses heraus. Die bekannten Namen stehen für Erfolg, dafür, Aufmerksamkeit erregt zu haben. Wer aber mag schon all die Musiker- und Bandnamen zu benennen, die in ihrer Auflehnung gegen festgefahrene Strukturen und – nicht zuletzt auch – den Staat erfolglos und unbekannt blieben? Diesen Helden bleiben Preise und Ruhm versagt, und doch stehen sie vielleicht in noch größerem Maße für den Aufstand gegen die von ihnen als fehlerhaft eingeschätzten Verhältnisse. Das ganz besonders ist mutig, setzt den Willen und die Bereitschaft voraus, sich gegen Mehrheiten zu stellen und diese auch durch eigenes Handeln zu verändern. So verstanden kann Rock’n’Roll – auch wenn die entsprechenden Musikrichtungen nicht mehr so heißen – heute noch mutig sein, egal ob kommerziell erfolgreich oder nicht.
Doch mit dem Marsch der politischen Linken und Grünen durch die Institutionen hat sich das Bild gewandelt. Was früher bekämpft wurde ist heute weithin in Vergessenheit geraten, was heute vom Establishment gefordert und umgesetzt wird, entspricht recht exakt den Vorstellungen der bekannteren Rock- und Popmusiker. Wer sich heute für den Erhalt des Regenwalds einsetzt, hat damit zwar möglicherweise noch einige Konzerne als Gegner, gesellschaftlich strittig ist das aber kaum noch. Wer heute mehr soziale Gerechtigkeit und höhere Besteuerung der „Reichen“ fordert, kann damit die Wahlprogramme der meisten etablierten Parteien unterschreiben. Und wer zum „Kampf gegen Rechts“ aufruft, verscherzt es sich zwar mit ein paar Ewiggestrigen, hat aber die Mehrheit in Gesellschaft, Medien und Politik hinter sich versammelt. Ist das mutig? Ist das Rock’n’Roll? Kann man dafür Respekt aufbringen? Sollte es dafür Musikpreise geben?
Aber ab und zu blitzt dann noch mal so etwas wie eine Ahnung auf, was heute noch ein Kampf gegen das Establishment sein könnte. Das Symptom eines solchen mutigen Kampfes – wohlgemerkt auch dann, wenn man die politische Richtung selbst nicht teilt – ist der mediale und politische Widerstand, der den Betreffenden heute entgegenschlägt. Aktuelles Beispiel sind die „Söhne Mannheims“ um ihren bekanntesten Vertreter Xavier Naidoo. Deren Lied „Marionetten“ aus dem neuen Album „MannHeim“ löckt wider den Stachel des Einheitsmeinungsbreis. Man konstruiert eine Nähe zum Sprachgebrauch von Pegida und Reichsbürgern, nicht ohne zu erwähnen zu vergessen, dass ein Vertreter dieser abstrusen Gruppierung im Oktober vergangenen Jahres einen Polizisten getötet hat. So ist der Bogen schnell geschlagen: Man wirft Band und Musiker rechtes Gedankengut, Xenophobie, und Verschwörungstheorien vor. Gipfel des Zynismus ist die Einschätzung der Stadtoberen Mannheims, die sich und die Stadt von der Band nicht vertreten sehen wollen, es handle sich um „mindestens antistaatliche Texte“. Kein Zweifel, nicht wenige Texte der „Söhne“ und Naidoos sind staatskritisch oder staatsablehnend. Aber wer sich erinnern mag: Das sind exakt die Attribute, mit denen der „Rock’n’Roll“ mal angetreten ist. Antistaatlich zu sein verlangt in einer Zeit, in der selbst ein nur leicht durchschimmernder Liberalismus in Deutschland keine Vertretung mehr im Bundestag hat, tatsächlich Mut.
Man muss die politischen Einstellungen Naidoos und der Söhne Mannheims nicht teilen. Ich selbst bin bei einigen Passagen mindestens hinsichtlich der Wortwahl, oft auch bezüglich des Inhalts, eher skeptisch, beim Thema Antistaatlichkeit genießt man bei mir dagegen immer einen Bonus. Aber wenn Medien und Politik sich einerseits mit Musikern im gratismutigen „Kampf gegen Rechts“ schmücken, und andererseits einen Furor gegen Musiker entfachen, die tatsächlich mutig gegen das Establishment ansingen, dann läuft etwas schief; nicht nur in der Politik sondern noch mehr im Musikgeschäft. Und es bestätigt eine Formulierung im Refrain von „Marionetten“, die sich auch etablierte Musiker hinter die Ohren schreiben dürfen: „Wie lange noch wollt Ihr Marionetten sein / Seht Ihr nicht, Ihr seid nur Steigbügelhalter / Merkt Ihr nicht, Ihr steht bald ganz allein / Für Eure Puppenspieler seid Ihr nur Sachverwalter.“
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