von DIETRICH KANTEL
BERLIN – „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.“ Bevor wir in Deutschland auch nur einen Begriff davon hatten, was heute neudeutsch „Quickservice-Systemgastronomie“ heißt und lange, bevor die heute hier den Markt beherrschenden Fastfood-Ketten McDonald, Burger King oder KFC auch nur dem Namen nach bekannt waren, da gab es längst den „Wienerwald“: Die Schnellrestaurantkette der Gastro-Legende des österreichisch-schweizerisch-deutschen Friedrich Jahn. 1955 gegründet und dreimal durch die Pleite gegangen erwarben die Töchter des 1998 verstorbenen Gründers heute vor 14 Jahren am 1. Juni 2007 die Markenrechte aus der Insolvenzmasse und belebten mit weiteren Familienangehörigen den „Wienerwald“ neu. Nach dem wiederholten Niedergang werden aktuell im Franchising („Gegrillte Leidenschaft“) wieder rund 40 Restaurants betrieben in Deutschland, Österreich, Ungarn, Ägypten und Dubai und seit 2015 auch „Hendlwagen“, mit denen wechselnde Standorte bedient werden.
Ein Kapitel deutsche Nachkriegsgeschichte
Der Wienerwald und dessen Schöpfer, der Selfmade-Mann Friedrich Jahn sind aus der deutschen Nachkriegsgeschichte und der Wirtschaftswunderzeit nicht wegzudenken. In den ab 1955 eröffneten Jahn’schen Restaurants konnte man vorzugsweise bei Hähnchen- und Schnitzelgerichten sehr ordentlich außer Haus essen gehen. Das wurde so auch für eine typische deutsche Mittelstandsfamilie damals erschwinglich. So habe ich (Jahrgang 1954) es selber in meiner elterlichen Familie erlebt. Sieben-Personen-Haushalt: Vater, Mutter, vier Kinder und die Oma dabei, ein Verdiener. Da war dann in den 1960er Jahren außer dem sonntäglichen Festtagsgockel (der zu teilen war!) schon mal außer der Reihe ein Besuch der ganzen Familie im Wienerwald drin mit ¼ oder gar ½ Hähnchen pro Nase oder Schnitzelchen. Und für die Ehefrau, Hausfrau und Mutter von vier Kindern: Es blieb wirklich mal die Küche kalt.
Dann später noch, als Pennäler kurz vor dem Abitur Anfang/Mitte der 1970er – da war in unserer Stadt am Bahnhofs der Wienerwald bis morgens um drei Uhr geöffnet. Wenn nach der Disco noch Geld übrig war, schmissen wir zusammen, teilten uns dort zu fünft oder sechst ein oder zwei Hähnchen mit Salat und Kartoffeln, und das Bier dazu war auch noch günstig …
Aufstieg und Fall: Friedrich Jahn – vom Kellner zum Multi-Unternehmer
Friedrich Jahn, geboren 1923 im österreichischen Linz, war ein Macher und durchaus typisch für die Wirtschaftswunderzeit. Vom Kellner arbeitete er sich hoch zum Eigentümer der Wienerwald-Kette. 1955 eröffnete er sein erstes eigenes Restaurant in München; eher eine Garküche, in der es anfangs nur eine deftige Hühnersuppe gab. Aber die lief so gut, dass er bald auf gegrilltes Hendl, Schnitzel und Co. Aufstockte. Eine Restaurantneueröffnung nach der anderen folgte. Auf dem Höhepunkt seiner Unternehmerkarriere etwa 1978 war er der größte System-Gastronom Europas mit 700 Restaurants in Deutschland, 1.600 Restaurants weltweit mit rund 30.000 Beschäftigten. Damit nicht genug. Neben den Restaurants baute er Hotels („Tourotels“, „Wienerwaldhotels“), unterhielt eigene Mastbetriebe, gründete den Gastronomiegeräte-Hersteller „WIWA“ und das Reiseunternehmen „Jahn Reisen“. Alles überwiegend auf Pump.
Ein Waffennarr war Jahn, der gerne seine Jagdwaffen mit sich führte, auch wenn er nicht gerade als Waidmann unterwegs war. Und ein Spezi von Franz-Josef Strauß war er auch. Das führte beide z.B. 1971 nach New York. Strauß „privat“ und Jahn im Rahmen seiner USA-Expansion. In der Nacht vom 21. März 1971 wurde Strauß laut NYPD-Polizeibericht gegen 2:45 Uhr im Central Park überfallen und ausgeraubt. „Frische Luft“ habe er schnappen wollen, so die Erklärung von Strauß. Polizei und DER SPIEGEL wussten jedoch zu berichten, dass das ganze geschah, als FJS dort Prostituierte „aktiv angesprochen“ habe.
Nach der Wende wurde bekannt, dass über FJS eine Stasi-Akte existierte. Der Bayerische Verfassungsschutz soll, laut FOCUS-Bericht aus dem Jahr 2000, diese Akte „aufgekauft“ und ein FJS-Vertrauter soll die Akte dann vernichtet haben. Aus der Akte soll anderen Informanten zufolge auch hervorgegangen sein, dass Friedrich Jahn 1971 der nächtliche Begleiter von Strauß im Central Park gewesen sein soll.
Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte 1982 einen Beitrag, in welchem die Kreditwürdigkeit von Jahns „Wienerwald Holding AG“ in Zweifel gezogen wurde. Die Banken bekamen kalte Füße, kündigten alle Engagements mit Jahn und forderten die Darlehen zurück. Jahn musste daher in der Schweiz für die Holding Insolvenz anmelden. Es folgten Zwischenlösungen mit Teilverkäufen (Jahn Reisen ging an die LTU), wiederholten Neustrukturierungen des Kerngeschäftes, Schließungen und Wiedereröffnungen von Restaurants. Friedrich Jahn erkrankte an Krebs und starb im Dezember 1998 in einer Krebsklinik in Bad Wiessee. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof in der Gemeinde Grünwald, wo auch seine Ehefrau beigesetzt ist.
Bildquelle:
- Wienerwald_Werbung: wienerwald archiv