Zivilisierter Meinungsstreit geht anders: Der Kopf sollte über den Kehlkopf triumphieren

von KLAUS KELLE

Endlich, endlich zeigen sie es „der Merkel“ mal so richtig. Gellende Pfeifkonzerte in den Ost-Bundesländern, „Hau Ab!“-Sprechchöre auf dem Münchner Marienplatz. Da klopft sich so mancher auf den Schenkel – auch diejenigen, die selbst Opfer von massiven Beeinträchtigungen und sogar im Fall der AfD von körperlichen Angriffen geworden sind.

Ein sehr guter Freund von mir, verriet mir vor einigen Wochen, er werde dieses Mal AfD wählen. Und als ich ihn fragte, warum, antwortete er entwaffnend: „Weil ich die Schnauze voll habe.“ Das konnte ich nachvollziehen, denn auch ich habe solche Momente, wo ich „die Schnauze“ vom politischen Einheitsbrei in Deutschland, von Political Correctness und einer desaströsen Flüchtlingspolitik voll habe. In dieser Woche telefonierten mein Freund und ich wieder einmal. Er erzählte mir, er habe es sich überlegt, als er die Bilder von Störungen und Beleidigungen auf einer Merkel-Kundgebung in Ostdeutschland gesehen habe. Er sei nicht zufrieden mit ihr, aber es gehöre sich nicht, so mit unserer vom Volk gewählten Regierungschefin umzugehen. Und weil offenkundig erkennbar viele AfDler unter den Störern waren, werde er halt mit der Faust in der Tasche wieder CDU wählen.

Es geht hier nicht um CDU oder AfD, diese Diskussion hängt mir zum Halse raus. Soll jeder wählen, was er oder sie Lust oder Frust hat. Mir egal! Demokratie ist mein Thema, zivilisierten Meinungsstreit will ich. Hitzige Diskussionen, geistreich, polemisch, auch laut – aber einer freiheitlichen Gesellschaft würdig. Zuhören können, andere Meinungen tolerieren und notfalls aus Verachtung für diese Meinungen weggehen oder gar nicht hingehen – das zeichnet eine demokratische Gesellschaft aus. Ich fand es beschämend, dass keiner der führenden Köpfe von CDU und SPD von Grünen und FDP die Angriffe auf AfD-Politiker öffentlich kritisiert haben. Als Infostände und Großplakate zerschlagen , Plakatkleber mit körperlicher Gewalt angegangen und Autos von Kandidaten abgefackelt wurden. Wo war da der Aufstand der Anständigen? Wo waren Lichterketten und Stellungnahmen von Merkel, Schulz, Lindner und Özdemir? Gegen „Rechtspopulisten“ ist scheinbar alles erlaubt im bunten Deutschland, die Rollen sind klar verteilt.

Aber dass sich dieselben Leute, die jedes beschmierte Wahlplakat der AfD beweinen nun feixend hinstellen und sich über die Störungen bei Merkel diebisch freuen, hat mehr als ein Geschmäckle.

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.