96,2 Prozent für den Kanzlerkandidaten Scholz – aber wie machen mit seiner 15-Prozent-SPD?

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz findet: «Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze.» Foto: Wolfgang Kumm/dpa

von THERESA MÜNCH &. BASIL WEGENER

BERLIN – Ist er das jetzt, der Startschuss für die große Aufholjagd der SPD? Vizekanzler Olaf Scholz steht auf einer Parteitagsbühne, «Kanzler für Deutschland» steht dahinter, mit einem Herzchen.

Der Kanzlerkandidat spricht mit Nachdruck von seiner Erfahrung, seiner Kraft, seinen Ideen für die Zukunft des Landes. Scholz will für Tatkraft stehen, an der Seite der «normalen Leute». «Ich will den ganz konkreten Lebensalltag verbessern», verspricht er. Aufregend ist das nicht, aber unaufgeregt – und da sieht der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten seine Stärke. Reicht das für den großen Schub, das große Mitreißen vor der Bundestagswahl?

Mit ihrem digitalen Parteitag wollte die SPD am Sonntag so richtig zum Angriff blasen. Eine Aufholjagd hat die Partei dringend nötig, wenn sie im September wirklich eine Chance aufs Kanzleramt haben will. Denn bisher zeichnet sich vor allem ein Duell zwischen Grünen und Union ab. Zwar gerieten die Umfragen nach der perfekt inszenierten Kür seiner Konkurrentin Annalena Baerbock bei den Grünen und der Chaos-Kür von Armin Laschet bei der Union in Bewegung. Doch nicht für die SPD: Die verharrt abgeschlagen bei 14 bis 16 Prozent.

Trotzdem gehen die Sozialdemokraten zweckoptimistisch und geschlossen in den Wahlkampf, zumindest da kann man ihnen diesmal keinen Vorwurf machen. Im Programm dreht sich alles um Respekt für unterschiedliche Lebensentwürfe und einen sozial orientierten Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität – es wird mit 99 Prozent der Delegiertenstimmen angenommen. Scholz selbst wird mit 96,2 Prozent als Kanzlerkandidat bestätigt, was ihm ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht treibt. Parteichefin Saskia Esken spricht vom «Wind unter den Flügeln», den man dem Kandidaten nun gegeben habe.

Der 62-Jährige bläst zum Angriff auf die Union und für einen Regierungswechsel. «Ich bin es leid, dass wir immer wieder mit unserer Professionalität und Regierungserfahrung anderen das Handwerk erklären und die Kohlen aus dem Feuer holen müssen», sagt er. Er wolle eine Regierung anführen, «die unser Land nach vorne bringt», die Pläne habe und umsetze statt zu zaudern. «Wir müssen uns wieder etwas vornehmen! Wir müssen in Gang kommen!», fordert Scholz. Keine Partei wisse das so gut wie die SPD.

Die Union – «die Konservativen», wie der 62-Jährige sagt – stehe nicht mehr für «Maß und Mitte», sondern «für Maaßen und Maskenschmu». Noch schlimmer aber sei, dass die Union nicht von der Zukunft her denke. «Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze – ein Standortrisiko für unser Land», sagt Scholz.

Die Grünen greift Scholz weniger hart an – kein Wunder, sind sie doch einerseits Gegner, andererseits aber auch potenzielle Koalitionspartner und wahrscheinlich der einzige Weg der SPD in eine Regierung. Manchen fehle «der Wille zum praktischen Fortschritt», sagt Scholz, ohne die Grünen zu nennen. Nötig seien handfeste Lösungen «mit den Menschen» und nicht gegen sie.

Für die SPD gehört zu diesen Lösungen ein Zusammenspiel von zukunftszugewandtem Klimaschutz und sozialem Denken. «Wer meint, das Eine dem Anderen opfern zu können, der wird auf ganzer Linie scheitern», sagt Parteichef Norbert Walter-Borjans. Zu guter Klimapolitik gehöre auch gute Arbeit – mit Tarifbindung und Mitbestimmung in den grünen Industrien, betont Umweltministerin Svenja Schulze. «Das zusammenzubringen, das kann nur die SPD.»

In ihrem Programm versprechen die Sozialdemokraten außerdem ein hohes Niveau öffentlicher Investitionen für eine Stärkung des Gesundheitssystems, der Schulen und des öffentlichen Verkehrs. Klimaneutralität soll bis spätestens 2045 erreicht sein, schon 2040 soll der Strom komplett aus erneuerbaren Energien kommen. Respekt für die Menschen soll sich unter anderem in zwölf Euro Mindestlohn, Tariflohn für Pflegekräfte und dem Zurückdrängen von Minijobs und von Beschäftigung ohne Tarifverträge ausdrücken.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die gerade eine Wahl gewonnen und davor genau die fulminante Aufholjagd hingelegt hat, die sich die Bundes-SPD wünscht, stimmt auf einen «wirklich harten Kampf» ein. Scholz stehe «für viel, viel Zukunft für unser Land», sagt sie. Er sei begeistert von Technologie. «Aber immer nur für die Menschen, nie allein um der Technologie willen. Es geht immer um die Menschen». Jetzt gehe es los, in die Hände gespuckt, und wir müssen kämpfen, jeden Tag.»

Dreyer trifft genau den herzlichen und mitreißenden Tonfall, den manche in der Partei bei ihrem Kanzlerkandidaten vermissen. Einige fordern bereits, die Ministerpräsidentin enger in den Wahlkampf einzubinden.

Bildquelle:

  • Parteitag der SPD: dpa

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