Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!
Am Wochenende war ich viel allein zu Haus und hatte Zeit, mich mal ausführlich berieseln zu lassen – mit arte- und anderen YouTube-Dokumentationen und mit dem Podcast von Paul Ronzheimer, den ich in den vergangenen Wochen tatsächlich immer regelmäßiger anhöre, weil er intelligente Gesprächspartner und deren Ansichten präsentiert – und zwar nicht geifernd und belehrend, sondern wie ein Journalist das macht.
Und Paul Ronzheimer ist ein guter Journalist, einer, der weiß, wie man solche Gespräche führt, egal, ob es Präsident Wolodymyr Selenskyj ist oder…ja, oder Tucker Carlson.
Feinschmecker werden den Mann noch aus seiner Zeit bei Fox News kennen als wortgewaltigen Talkshow-Host bei Tucker Carlson Tonight. Konservative wie ich lieben es ja besonders, wenn einer von uns eine große Welle für die richtige Sache macht, und vorher links war. Tucker war nämlich in jungen Jahren einer von den „liberals“, wie man in den USA Linke nennt. Hey, er stammt aus San Francisco, war dann bei den linken landesweiten TV-Netzwerken CNN und MSNBC, bevor er rüber machte nach rechts ins Trump-Lager.
Wie übrigens Joe Rogan, auch einer der weltweit bekanntesten und weit verbreitetsten konservativen Podcaster, der ebenfalls auf der falschen Seite des Tisches seine große Karriere begann.
Aber zurück zu Carlson, der mit seiner Mischung aus Politik, Studiogästen und Unterhaltung Rekordeinschaltquoten zur besten Sendezeit in den Vereinigten Staaten überhaupt erzielte.
Trotzdem erwischte es den brillanten TV-Polemiker im April 2023, nachdem er sich wohl an der Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten aktiv beteiligt hatte. Fox News musste nach einem aufsehenerregenden Prozess 787 Millionen US-Dollar Schadenersatz an den Wahlmaschinenhersteller Dominion Voting Systems zahlen. Und das ist eine Menge Geld auch für wirtschaftlich erfolgreichen Sender.
Tucker Carlson schaffte es scheinbar mühelos im globalen Mediengeschäft zu bleiben.
Auf Twitter – heute X – erreichte er mit selbst produzierten Videos schnell Zugriffszahlen von über zehn Millionen Menschen. In einer seiner Shows behauptete er dann, das amerikanische Militär habe ein außerirdisches Raumschiff und seine tote Besatzung bergen können – und damit war Carlson endgültig wieder in aller Munde.
Im Februar 2024 dann der nächste Coup, als Carlson die Gelegenheit bekam, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zwei Stunden lang zu interviewen – als erster westlicher Journalist überhaupt, nachdm Putin im Februar 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine befohlen hatte.
Außer in der internationalen Fan-Gemeinde Putins war das global verbreitete Interview eine einzige Enttäuschung. Carlson ließ von seiner hartnäckig-bissigen Seite nichts aufblitzen und erwies sich als ein handzahmer Stichwortgeber für Putin, der in gemütlichem Rahmen seine Narrative zum Krieg abspulen konnte.
Der Podcast des Kollegen Ronzheimer über seine Begegnung mit Carlson ist trotzdem hörenswert hier . Zum einen durch die Exegese des Treffen und die persönlichen Eindrücke von seinem Gesprächspartner, der – so gab der BILD-Kollege Ronzheimer zu, ihn mehrfach beim Gespräch aus der Ballance geworfen habe.
Die Art, in der Carlson all das beharrlich ignoriert, was nicht in seine Erzählung zum Beispiel zum Ukraine-Krieg passt, um dann sofort zum Gegenangriff überzugehen, hat Ronzheimer ganz offensichtlich fasziniert.
Der rechte US-Influencer springt zwischen den Themen hin und her, dass es nur eine Freude ist. Als es um die Frage geht, ob Russland auch das Baltikum angreifen werde, sagt Carlson dem Sinne nach, die einen hätten halt große Waffen, die anderen nicht – also können die mit den großen Waffen tun, was sie wollen. Ja, aber Lettland ist doch in der NATO, wendete Ronzheimer ein und die haben auch große Waffen…Ja, da müsse man sehen, wie es ausgeht. Im schlechtesten Fall werde dann halt die ganze Menschheit ausgelöscht.
Und überhaupt: Die Menschen in Amerika und Europa interessierten sich gar nicht für den Krieg in der Ukraine, behauptet Carlson. Denen gehe es eher um die Frage, wie viel Geld sie verdienen oder wie nett die Nachbarn so sind. Und ob der Park voller Müll oder Migranten sei – das hat er wirklich so formuliert.
Und dann – wie immer wieder im Interview – kommt er auf Deutschland zu sprechen. Angela Merkel sei der Grund, warum sich alles bei uns so zum Schlechten gewendet habe, und Merz mache genau so weiter. Sie seien diejenigen, die das Leben der Menschen in Deutschland schlechter machten.
Ronzheimer und Carlson – nehmen Sie sich die Zeit!
Es lohnt sich wirklich.
Tatsächlich habe ich mir am Samstagabend auch die Zeit genommen, zwei Aufzeichnungen von Vorträgen des Schweizer Historikers Daniele Ganser anzuhören. Den kannte ich schon, weil er 2005 einen echten Scoop gelandet hat, als er in seiner Dissertation die Existenz von NATO-Geheimarmeen in Europa aufdeckte.
Dabei ging es – Codename Gladio – um vom westlichen Bündnis organisierte Stay-Behind-Kräfte, die sich im Falle eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa hätten überrollen lassen sollen, um dann im Hinterland den Feind mit Guerilla-Aktionen zu bekämpfen. Eine im Grunde sinnvolle Sache, wie ich im Rahmen meines Wehrdienstes beim Jägerbataillon 451 gelernt habe. Nur bei Gladio gab es offenbar Verbindungen zu Neonazi-Gruppen, und das ist natürlich schlecht.
Aber durch diese Enthüllungen wurde Ganser international bekannt, sein Buch dazu wurde ein Bestseller international. Und seitdem ist er Handlungsreisender in Sachen Verschwörung.
Und immer natürlich gegen den bösen Westen, die imperialistische USA mit all ihren Putschen weltweit, weil mit solchen Geschichten füllen sie auch große Säle und verkaufen eine Menge Verschwörungsbücher.
Die islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001 waren natürlich eine Verschwörung, die Mitschnitte von Telefonaten aus den entführten Flugzeugen waren gefälscht, das Gebäude WTC 7 gesprengt und, und, und, all der gruselige Müll, der bereits seit Jahren eindeutig widerlegt worden ist.
Ich muss zugeben, dass mir die Art, wie Ganser auf der Bühne umherspaziert und Ungeheuerliches im charmanten Plauderton erzählt, gefällt.
Man möchte da zuhören, weil es witzig ist, und weil er anscheinend seinem Publikum genau erzählen kann, wie es wirklich gewesen ist. Zum Beispiel die Maidan-Revolution in Kiew, die zum Sturz des russlandfreundlichen und europafeindlichen Präsidenten Janukowitsch führte, in Gansers Augen ganz klar ein Putsch. Die CIA steckt natürlich dahinter, was sonst? Und der Krieg, das Massaker russischer Soldaten an Zivilisten in Butscha – natürlich alles Desinformation. Und, na klar, die Ostseepipeline Nord Stream 2 wurde natürlich von der CIA im Auftrag des US-Präsidenten Joe Biden gesprengt. Wenn man das so zwei Stunden geballt anhört, fragt man sich unwillkürlich, wieso Menschen so etwas wirklich für wahr halten können.
Herr Ganser, das ist klar, pflegt einen ausgeprägten Antiamerikanismus, der manchmal ins Lächerliche abgleitet. Ob es seinen Neigungen entspricht, ob es einfach ein Geschäftsmodell ist, um ordentlich Kasse zu machen, oder ob er von Russland für all den Quatsch bezahlt wird – wir alle werden es wohl niemals erfahren.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Klaus Kelle