von MARTIN EBERTS
BERLIN – Der Himmel meinte es gut gestern mit den Pro-Lifern in Berlin, beim 21. „Marsch für das Leben“. Unter strahlendem Spätsommerhimmel hatten sich mehr als 3000 Menschen in der Hauptstadt der Berliner Republik versammelt, um ein Zeichen zu setzen – für das Leben und gegen eine schleichende Tendenz in unserer Gesellschaft, die Johannes Paul II. so treffend wie erschreckend als „Kultur des Todes“ bezeichnet hatte.
Alles nicht so schlimm?
Die meisten kultivierten Zeitgenossen hierzulande werden diesen Ausdruck vielleicht übertrieben finden. Ist es nicht so, dass wir in Deutschland sehr viel weniger Abtreibungen pro Jahr und Kopf der Bevölkerung haben, als vergleichbare Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Spanien? Das stimmt schon; auch klingen uns ja die Worte unsere Politiker – der kultivierten und wohlwollenden – in den Ohren, dass wir in Deutschland einen akzeptablen Kompromiss gefunden haben, eine Lösung für ein sehr heikles Problem, wodurch Frieden in die gesellschaftliche Diskussion eingekehrt sei.
Die Beschreibung der gesellschaftspolitischen Situation ist durchaus treffend, auch wenn alle Parteien links der früheren Mitte inzwischen energisch bis fanatisch einen Bruch mit diesem Kompromiss fordern, im Interesse einer letztlich völligen Freigabe der Abtreibung. Aber noch hält der Friede, bis auf weiteres. Betrachtet man aber die (bei fleißiger Suche) offiziellen Statistiken, dann stellt man fest, dass dieser die Deutschen befriedende Kompromiss bedeutet, dass an jedem Arbeitstag in Deutschland fast 400 Kinder abgetrieben werden, und zwar zu ca. 97 Prozent aus (im weiteren Sinne) finanziellen Gründen. In anderem Zusammenhang spräche man wohl von Friedhofsruhe.
Keine Spur von Pessimismus
Aber zurück nach Berlin, auf den Washingtonplatz, direkt vor dem Hauptbahnhof, wo ab 13 Uhr die Reden gehalten wurden und der Umzug seinen Ausgangs- und Endpunkt hatte. Man konnte sich schon vor Beginn der Kundgebung an verschiedenen Ständen informieren und dabei schnell die Antwort auf die Frage finden, warum so ein Treffen eigentlich notwendig sei. Dabei überwogen eindeutig die positiven Botschaften all jene düsteren Fakten. Da gab es Hinweise auf Hilfsangebote für schwangere Frauen in Notlagen, Beratung auch für Frauen, die abgetrieben haben und danach traumatisiert sind. Aber auch Informationen über Hilfe für Menschen, die sich vor Euthanasie am Lebensende fürchten. Es zeigt sich, was eigentlich nicht überraschen kann: Die Lebensrechtler sind vor allem für etwas, für Hilfe, für Schutz der Schwächsten, für Mitmenschlichkeit – eben für das Leben.
Vielfalt – aber echt
Viele junge Familien waren gesterm zu sehen, während eine Band spielte, Mütter mit Kindern, Menschen aus vielen Kulturen. Kleine Gruppen aus Migrantengemeinden waren dabei, wie jedes Jahr, mit Kirchenfahnen und Devotionalien; die meisten Teilnehmer kamen aber ohne äußerliche Merkmale und Paraphernalia. Es waren auch nicht nur Berliner; einige hatten Busse gechartert und waren zum Beispiel aus Hamburg und Bremen angereist. Sie hätten übrigens auch nach Köln fahren können, wo parallel ein „Marsch für das Leben“ mit knapp 1500 Teilnehmern stattfand.
Anders als bei den jedes Jahr üblichen Gegendemonstrantionen, wo wie jedes Jahr vorwigend Hass unf traditionelle Familien und den christlichen Glauben herrscht, war die Stimmung vor dem Berliner Hauptbahnhof entspannt, friedfertig, ja beinahe frohgemut unter den Teilnehmern; und die hielt die ganze Zeit an, bei den Reden, beim Marsch als solchem, sogar bei dem musikalisch untermalten Gedenken an die vielen Opfer der Kultur des Todes: im Mutterleib getötete Kinder, dabei verstorbene Mütter, euthanasierte Kranke und Alte. Und, ja, es wurde auch der Name Charlie Kirk genannt, der Name des Pro-Lifers, der vor zehn Tagen in Amerika wegen seiner Überzeugungen ermordet wurde.
Klägliche Performance der Antifa
Apropos – die Gegendemonstranten in Berlin waren wirklich nicht der Rede wert. Eine kleine Gruppe, dem Augenschein nach nicht mal 100. Denen war die Mobilisierung in diesem Jahr wohl irgendwie misslungen. Nur an einer einzigen Engstelle gelang es ihnen, den freundlichen Zug der Lebensschützer kurzzeitig aufzuhalten und mit ihrem obszönen Hassgebrüll zu überschütten. Das geschah an einer Engstelle unweit der Charité. Dort war dem kläglichen Häuflein Fanatiker ein kleiner Antifa-Trupp zur Hilfe gekommen, samt Fahne und Vermummung. Die erfahrenen Randalierer hatten sich das gut ausgedacht – wie kann man auch ohne Manpower maximal stören? Aber gelungen ist es dann doch nicht so recht, dank der Professionalität der Polizei, die den Umzug und die ganze Veranstaltung durchgehend perfekt zu schützen verstand. Dafür gab es am Ende des Umzugs spontanen Applaus der Kundgebungsteilnehmer. Ein Polizist bedankte sich seinerseits für die Freundlichkeit und Disziplin der Teilnehmer.
Bewegende Testimonials
Auf dem Podium moderierte mit Eloquenz und Humor die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht, Alexandra Linder. Unter dem Dach des BVL haben sich verschiedene Lebensrechtsinitiativen zusammengeschlossen, mit viel ehrenamtlichem Engagement, auch ohne staatliche Fördermittel oder Zuschüsse.
Ein Kinderarzt brachte eine herzerwärmende Geschichte aus seiner Praxis zu Gehör, von einem Ehepaar, das unerwartet Vierlinge erwartete. Gottlob wiesen diese Eltern das unsittliche Angebot einer Klinik von sich, zwei der vier Kinder töten zu lassen. Nun leben alle vier gesund und munter. Das ist schön; erschreckend war es allerdings, bei dieser Gelegenheit von der gruseligen Praxis der „Mehrlingsreduktion“ zu erfahren. Wer hätte gedacht, dass so etwas in Deutschland möglich ist?
Zu den Höhepunkten auf der Rednertribüne gehörte – wie schon im Vorjahr – der herzerfrischende Auftritt der „Jugend für das Leben“. Wenn man die unbefangene, lebensbejahende Freude dieser jungen Leute sieht, dann verlieren die verbissenen und drohenden Einlassungen der Abtreibungslobbyisten in Politik und Medien ihren Schrecken. Dann sieht man, wer – zumindest moralisch – auf dem aufsteigenden Ast ist und wer nicht.
Ermutigend und beeindruckend war auch das Zeugnis einer jungen Französin, die im Nachbarland als Organisatorin der Marche pour la vie in Paris bekannt ist. In Frankreich sind die Abtreibungszahlen noch um ein vielfaches höher als bei uns; dazu steht jetzt ein „Recht auf Abtreibung“ in der französischen Verfassung, eine Perversion des Rechtes, das die junge Frau treffend als Schande bezeichnete. Ihre positive Botschaft bestand aber nicht etwa darin, dass es „woanders noch viel schlimmer“ ist, sondern vielmehr in der Tatsache, dass gerade in der jungen Generation die Erkenntnis wächst, was für ein barbarisches Unrecht die vorgeburtliche Kindstötung ist.
Weitere ergreifende und auch erschütternde Zeugnisse wurden von einer Lebensrechtlerin aus Indien und von einem Berliner Apotheker vorgetragen. An diesen Stellen war im Publikum eine betroffene Stille zu spüren. Für einen Moment wurde wohl allen klar, wie leicht Pro-Lifer nicht nur von Verleumdungen und Beleidigungen betroffen sind, sondern wie schnell auch staatlicher Zwang und physische Gewalt drohen können.
Ein tröstlicher Schlussakkord
Dessen ungeachtet endete der Berliner Marsch für das Leben mit der gleichen optimistischen und freundlichen Note, mit der er begonnen hatten. Und ganz am Schluss, nach einem ökumenischen Segen für die Teilnehmer, erklang auf dem Washingtonplatz sogar das Tedeum: Großer Gott wir loben Dich… Klar, woher die vielen Menschen ihre Zuversicht nehmen, auch bei einem so düsteren Thema!
Bildquelle:
- Marsch für das Leben_Berlin_2025: martin eberts