BERLIN – „Aus militärischer Sicht ist es entscheidend, dass jeweils der gesamte Jahrgang gemustert wird!“ Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr redet nicht drum herum. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) stellte er klar: „Nur so wissen wir, wer zur Verfügung steht und auf wen wir im Verteidigungsfall, den wir verhindern wollen, zugreifen könnten. Das verschafft uns die personellen Reserven und die Flexibilität, die wir brauchen.“
Breuer ist in seiner Funktion der ranghöchste deutsche Soldat und militärische Berater der Bundesregierung. Sein Job ist die Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung, die Planung und Weiterentwicklung der Streitkräfte sowie die Führung der Streitkräfte. Und da gibt es jede Menge zu tun, denn die Sicherheitslage in Europa und der Welt hat sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dramatisch verändert. Jetzt ist nicht die Zeit für lange Debatten über Losverfahren und Freiwilligkeit. Wenn es Krieg gibt, kann niemand einfach so weitermachen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Und dann mit Musterungen erst beginnen, wenn die Bedrohung evident wird, das ist zu spät.
Da niemand vorhersagen könne, wie sich die Bedrohungslage weiter entwickle, sei „ein verlässliches Aufwuchspotenzial“ unerlässlich, „also die Möglichkeit, unsere Truppen bei Bedarf schnell zu verstärken“, so Breuer. Und weiter: „Wir sollten uns in unseren Handlungsmöglichkeiten nicht selbst einschränken.“
Die Bundeswehr braucht nach eigenen Angaben 260.000 statt der bisherigen 180.000 aktiven Soldaten, außerdem 200.000 Reservisten, um den Anforderungen der NATO angesichts der russischen Bedrohung gerecht werden zu können.
Schon jetzt hat die Zunahme hybrider Angriffe auf Deutschland einen Höchststand erreicht. Das umfasst Hackerangriffe, Sabotageakte auf Flughäfen und Marinestützpunkten bis hin zu Brandbomben in Frachtflugzeugen. Besonders stark haben Drohnenüberflüge an Orten kritischer Infrastruktur zugenommen.
Dass diese Flugobjekte nicht einfach abgeschossen werden dürfen, sorgt für zunehmende Kritik, denn die Bundeswehr wäre dazu in der Lage. Der Generalinspekteur schließt diese Option für die deutschen Streitkräfte nicht aus, hat aber Sorgen bezüglich möglicher Kollateralschäden: „Die getroffene Drohne stürzt ab, und auch die verschossene Munition fällt irgendwo zu Boden.“ In bewohnten Gebieten könnten dadurch große Schäden entstehen. Deshalb setzt die Armee auf technische Mittel wie das elektronische Abbringen der Drohnen vom Kurs oder die Übernahme der Spionageflieger.
„Das ist nicht mehr ganz Frieden. Aber es ist auch kein offener Krieg“, beschreibt Carsten Breuer die aktuelle Situation Deutschlands. Russland begreife Krieg als Kontinuum und denke nicht in den Kategorien von Frieden, Krise und Krieg, wie man das hier begreife. Er habe in seinen 40 Jahren als Soldat „noch keine Lage erlebt, die so gefährlich war wie die aktuelle Bedrohung durch Russland“, sagte der Generalinspekteur.
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