von KLAUS KELLE
BERLIN – Während die baltischen Staaten, die Skandinavier und Polen massiv in die Modernisierung ihrer Armeen investieren und ihre Bevölkerungen über die drohende große Gefahr informieren, in der der alte Kontinent nach den immer aggressiveren russischen Drohungen und Handlungn steckt, wirkt Deutschland wie ein Land, das im Wartezimmer der Geschichte sitzt und hofft, dass der Kelch der harten Realität doch noch einmal an ihm vorüberzieht.
Die vom früheren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) 2022 proklamierte „Zeitenwende“ ist materiell durch das Sondervermögen der Bundeswehr inzwischen auf dem Weg, die deutlich gestiegene Sichtbarkeit von Soldaten und Fahrzeugen der Bundeswehr im öffentlichen Raum regt sicher einige Bürger zum Nachdenken darüber an, was auf uns alle zukommen könnte, doch in den Köpfen vieler Menschen ist leider noch nicht angekommen, was gerade schon passiert und noch passieren kann.
Es klafft eine gefährliche Lücke zwischen der objektiven Bedrohungslage und der subjektiven Verteidigungsbereitschaft
Fast 70 Prozent der Deutschen glauben Ende 2025 nicht daran, dass ihr Land im Ernstfall verteidigungsfähig wäre.
Diese „defensive Skepsis“ ist jedoch kein bloßes Eingeständnis militärischer Mängel – sie ist eine gefährliche Form des deutschen Defätismus. Wer davon überzeugt ist, ohnehin zu verlieren, wird gar nicht erst versuchen zu kämpfen.
Während in Finnland oder Schweden die Verteidigung des Landes als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Stolz begriffen wird, herrscht in Deutschland eine Mischung aus Ohnmacht und des „Prinzips Hoffnung“.
Die Ursachen für diesen gravierenden Mangel sitzen tief in der DNA der Bundesrepublik. Über acht Jahrzehnte hat man uns Deutschen beigebracht, dass militärische Stärke keine Lösung, sondern immer nur das Problem sei. Dieser „zivile Geist“ war der Grundstein für das Wirtschaftswunder und die Aussöhnung mit Europa. Doch heute, in einer Welt, in der Revisionismus und imperiale Fieberträume zurückgekehrt sind, wird diese einstige Tugend zur strategischen Schwachstelle.
Hinzu kommt, dass Deutschland geografisch immer noch recht komfortabel eingebettet zwischen verbündeten Staaten im Herzen Europas liegt. Das Baltikum und Polen spüren den Atem Russlands im Nacken; für einen Bürger in Frankfurt oder Köln hingegen bleibt der Krieg ein Fernsehbild, wo man ins Kneipenfenster ein Schild mit der Aufschrift „Kriegsfreie Zone“ hängt und glaubt, damit sei es getan.
„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“
Mit diesem fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeschrieben Zitat zogen in den 80er Jahren Moskaus Hilfstruppen der sogenannten „Friedensbewegung“ gegen den NATO-Doppelbeschluss zu Felde, der dann später zum Zusammenbruch des kommunistischen Machtbereichs in Osteuropa führte. Tatsächlich stammt der Satz aber vom amerikanischen Dichter Carl Sandburg, der den in seiner 1936 veröffentlichten Gedichtsammlung „The People, Yes“ verwendete. Im Original lautet die Passage: „Sometime they’ll give a war and nobody will come“.
Die deutsche Zuschreibung auf Brecht und der von Moskaus Influencer-Marionetten angehangene „… dann kommt der Krieg zu euch“ ist eine freie Erfindung ohne klaren Urheber und stammt definitiv nicht von Brecht. Die irrtümliche Zuschreibung an ihn hält sich jedoch hartnäckig in der öffentlichen Wahrnehmung. Das liegt vermutlich daher, dass der Satz in den 1970er Jahren oft mit Zeilen aus Brechts Koloman Wallisch Kantate („Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt…“) kombiniert wurde. In dieser Kantate thematisiert Brecht, dass Unbeteiligte am Ende dennoch die Niederlage teilen müssen.
Doch zurück zum erschreckend verbreiteten Schweigen der Zivilgesellschaft heute
Ein anderes Problem ist das Fehlen einer breiten, staatsunabhängigen Debatte in Deutschland. Während Think-Tanks wie die DGAP oder Persönlichkeiten wie David Matei (Träger des Karl-Carstens-Preises 2025) versuchen, die Sprache der Sicherheitspolitik zu modernisieren, bleibt das Thema in weiten Teilen der deutschen Zivilgesellschaft tabuisiert.
Verteidigungsbereitschaft aber ist alles andere als Militarismus oder Verherrlichung von Krieg, sondern die Lebensversicherung für eine Demokratie.
In anderen europäischen Ländern ist das Bewusstsein für die Verteidigung der Freiheit parteiübergreifend und umfasst große Teile der Bevölkerung. In Deutschland hingegen wird die Sicherheitsdebatte oft durch ideologische Grabenkämpfe gelähmt. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) oder Teile der AfD nutzen die weit verbreitete Angst vor einer militärischen Eskalation, um die notwendige Wehrhaftigkeit als „Kriegstreiberei“ zu diskreditieren.
Was ich sagen will: Wir können es uns nicht mehr leisten, Verteidigung als reine Aufgabe der Bundeswehr anzusehen oder als eine x-beliebige Debatte von Politikern und Parteien. Denn heute wissen wir, dass dies von Russland geschickt für Zwecke der hybriden Kriegsführung, für Cyberangriffe und Desinformation als Waffe benutzt wird, um genau die oben beschriebene Angst der Bürger und ihr Vertrauen in unseren Staat gegen uns eínzusetzen.
Wenn die Bevölkerung den Widerstand für zwecklos hält, hat der Gegner bereits gewonnen
Er muss dann nicht einmal ein einziger Schuss abgefeuert werden, wenn er es geschickt anstellt.
Wir Deutschen müssen wieder lernen, dass Freiheit einen Preis hat, der über Steuerzahlungen hinausgeht. Und das verdammt schnell lernen.
Wir müssen aufhören zu fragen, ob wir uns verteidigen können, sondern fragen: „Was müssen wir tun, damit wir es können?“
Sicherheit beginnt nicht am Panzergraben, sondern an der Widerstandsfähigkeit jeder einzelnen Gemeinde, jedes Unternehmens und jedes Bürgers gegen Erpressung und Angst.
International traut man Deutschland weit mehr zu, als wir uns selbst. Das muss aufhören!
Natürlich: unsere Streitkräfte müssen moderner aufgestellt werden, da sind wir auf einem guten Weg inzwischen. Aber wir brauchen neben mehr Soldaten auch eine Gesellschaft, die sich daran erinnert, dass Überleben ein tief verwurzelter, instinktiver Drang eines jeden Lebwesens ist, sein Dasein auch unter extremen, lebensbedrohlichen Bedingungen fortzusetzen. In der Psychologie und Anthropologie gilt er als einer der stärksten menschlichen Impulse überhaupt.
Dies ist das archaische Programm in unserem Gehirn. In Momenten höchster Not schaltet der Körper auf „Überlebensmodus“ (Kampf oder Flucht). Dabei werden enorme Kräfte freigesetzt, Schmerz wird unterdrückt und die Wahrnehmung schärft sich extrem, um eine Gefahr abzuwenden. Das sollten wir nicht nur als Individuum verinnerlichen, sondern auch als Gesellschaft und als Staat.
Halten Sie diese Gedanken für nachvollziehbar und unterstützenswert?
Dann schreiben Sie mir Ihre Meinung dazu an k.kelle@the-germanz.de.
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