GASTBEITRAG von DR. KARIN BROSZAT
Landesvorsitzende Realschullehrerverband Baden-Württemberg
STUTTGART – Stabilität braucht Mitte wie umgekehrt – das ist Naturgesetz. Verliert etwas sein Gleichgewicht, verliert es Stabilität, stürzt, bricht, geht kaputt! Ob Seiltänzer, Baustatiker oder Psychologe, man weiß um den unerlässlichen Wert von Mitte.
Und nun, eingedenk des editorischen Rahmens, sei ein gedanklicher Galopp gestattet. Er führt vorbei an Städten ohne Stadtmitte und Pressetönen‚ ohne mittige Frequenzanteile. Vorbei an zunehmend durch Minderheiten oktroyiertem Wertewandel im Schnellverfahren, was weder geschichtlich, organisch gewachsen noch getragen ist von einer breiten Mitte der Bevölkerung. Und er führt bis hin zu einer Gesellschaft ohne Mittelstand und hin zu dem hier eigentlich avisierten Thema. Nämlich, wie eine historisch immer wieder gescheiterte Ideologie dennoch auf den Wogen medial fataler Omnipräsenz bis zur Stunde eine missratene Bildungspolitik politisch reiten kann.
Eine Politik, die einer Gesellschaft auf schulischem Wege ihre Mitte, ihr Gleichgewicht, ihre Stabilität nimmt.
Exemplarisch Baden-Württemberg: Hier war es seit den 70er Jahren gelungen, mit Einführung der Mittelschule, die bald den Namen Realschule tragen sollte, eine Schulart auf den Weg zu bringen, die realitätsorientiert der Vielfalt an Kindern gerecht wird. „Fleißigen Kindern vom Land“ (so ehedem die Formulierung) und Migrantenkindern (damals als Gastarbeiterkinder bezeichnet), die oft nicht aus akademischen Familien stammten. Ihnen wie selbstredend jedem sollte ein differenzierender, stets durchlässiger Weg zwischen damals gesellschaftlich noch hochgeschätzter Hauptschule und Gymnasium offen sein. Die drei wesentlichen Schularten Hauptschule, Realschule, Gymnasium und daneben die Förderschule waren konzeptionell sehr gut aufeinander abgestimmt. Sie ergänzten sich, orientierten sich an der Leistungsfähigkeit der Kinder und hatten erhebliche Schnittmengen. Auch deshalb waren sie durchlässig in alle Richtungen.
Das Zusammenspiel von Abstraktion und hoher Praxisorientierung öffnete Realschülern bald ein weites berufliches Feld. Ebenso bewährte sich die Zusammenarbeit der Realschulen mit den beruflichen Schulen und deren gymnasialen Zügen, sodass sich die Realschule zur Aufsteigerschule schlechthin entwickelte. Mit einem eigenständigen, unverwechselbaren pädagogischen Profil, dessen Kernstück Methodenvielfalt wie auch hohe Fachlichkeit beinhaltet, wurde die Realschule unverzichtbarer Teil einer mannigfaltigen, differenzierten Schullandschaft. Sie trug Kindern in all ihrer Unterschiedlichkeit genau damit Rechnung, indem sie pädagogisch unterschiedliche Wege bzw. Schularten bereitstellte.
Viele „Cleverle“ begannen ihre Karriere in den Realschulen
So kamen dann die bundesweit bekannten ‚Cleverle‘ Baden-Württembergs eben nicht nur vom Gymnasium, sondern auf verschiedensten Wegen daher und machten das Bundesland zu dem stabilen Wirtschaftsstandort, der es heute leider nur noch bedingt ist. In keinem Bundesland gab es einen so ausgeprägten Mittelstand, der sowohl Wohlstand brachte als auch garantierte. Äußerst erfolgreich und verlässlich, weil innovativ, weil stets am pädagogischen Puls der Zeit, kam die Realschule durch Jahrzehnte ohne größere Reformen bis zur Landtagswahl 2011. Danach wurde die bislang hauptsächlich aus CDU und FDP gebildete Landesregierung von einer aus Grünen und SPD gebildeten Koalition abgelöst. Es würde den Rahmen sprengen, alle Verwerfungen und tektonischen Verschiebungen in der Bildungslandschaft, die Grün-Rot ohne Not unverzüglich anrichtete, zu beschreiben und deren Kreuzzug unter der Monstranz ‚Gemeinschaftsschule/Einheitsschule‘ gegen ein vielgliedriges Schulsystem, insbesondere gegen die Realschule.
‚Krieg und Frieden‘ wäre eine Kurzgeschichte dagegen und Stephen King ein Romancier des Idylls. Zeugnis der ursächlich in einer grün-roten Landesregierung durch ein SPD geführtes Kultusministerium angerichteten Bildungsmisere ist Baden-Württembergs Absturz in Ländervergleichen von einstigen Spitzenpositionen ins hintere Mittelfeld, wo es jetzt vor sich hindümpelt.
An welchen Stellschrauben beim Angriff auf ein stabiles Bildungssystem gedreht wurde, ist zwar am Beispiel Baden-Württembergs wegen der Jähheit gut nachzuverfolgen, der Vorgang an sich ist aber in fast allen Bundesländern mit zumindest übergangsweise linksorientierten Regierungen vergleichbar.
‚Eine Schule für alle‘, ‚Chancengleichheit‘, ‚Abitur für alle‘ sind Schlagwörter für einen ideologisch herbeifanatisierten Egalitarismus in der Bildungspolitik, dessen ausgewiesene Feinde ‚Vielfalt‘ und ‚Leistung‘ heißen. Dabei bietet gerade die Aufteilung der Kinder nach Leistung und kognitiven Fähigkeiten und nicht nach leistungsfremden Einflüssen wie soziale Herkunft die gerechtesten Chancen für eine erfolgreiche Bildungsbiografie! Das naive Versprechen einer Wolkenkuckucksheim-Schule für alle ist in allen Bundesländern mittlerweile glorreich gescheitert. Mit dem Versprechen von Schule ohne Anstrengung, Druck und Noten und unterstützt von teuer bezahlten, ideologisierten Gutachten, gehen Parteien auf Wählerfang. Aber an den alltäglichen Frühstückstischen von Eltern mit ihren Kindern ist die Welt mit deren tatsächlichen Kümmernissen, Sorgen und Hoffnungen eine andere.
Allerdings ist es der Politik fast überall gelungen, eine ehedem stabile Mitte zu schwächen oder auszuhöhlen. Realschulen werden, so sie noch nicht Gemeinschafts-/Einheitsschulen weichen mussten, zur Fassade einer zur Unkenntlichkeit vereinheitlichten Schulart neben dem Gymnasium heruntergewirtschaftet. Die gerade für überwiegend praktisch begabte Schüler notwendigen Hauptschulen verschwinden völlig. Gleiches geschieht mit den Förderschulen für Kinder mit Lernschwächen. Man entzieht sich der Verantwortung einer sinnvollen Zuordnung der Kinder nach ihrer Leistungsfähigkeit und überlässt es dem Gutdünken von Eltern zu entscheiden.
Was mit dem hehren Begriff ‚Elternwille‘ besetzt ist, bedeutet in der Realität nur allzu oft deren Überforderung. Eine über die Grundschulzeit fachlich-pädagogisch begründet herbeigeführte verbindliche Grundschulempfehlung findet in grünroten Modellen nicht statt. Sie bedeutete in einem vielgliedrigen, stets durchlässigen System aber noch nie Aussortierung, sondern Chance! Der Schulalltag ist in erschreckendem Ausmaß auch deshalb voll von gebrochenen Bildungsbiografien von Kindern und im Nachhinein hilflosen Eltern. So verschließen sich sukzessive unterschiedliche, vielfältige Wege, die den Kindern und Jugendlichen offenstehen würden. Faktisch entsteht eine Monokultur in Bildungsangelegenheiten.
Unterschiedliche Kinder brauchen jedoch unterschiedliche Schularten für ihre vielfältigen Zukunftsentwürfe! Jedes Kind hat das Recht in seiner Schulart begabungsgerecht gefördert zu werden und das mit allen didaktischen und methodischen Mitteln, die uns dafür zur Verfügung stehen. Das beginnt mit einer qualitativ hohen Lehrerausbildung, die schulartspezifisch qualifizierte Lehrkräfte ausbildet. Es geht weiter über einen differenzierten Unterricht, der den unterschiedlichen Kindern jeweils entsprechende Leistungsanreize setzen kann, um sie auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Und es endet in unterschiedlichen, qualitativ hochwertigen und aussagekräftigen Abschlüssen.
Denn was passiert, wenn die Mitte eines Bildungssystems ausgehöhlt wird oder fehlt, erleben wir im Moment drastisch. Der Akademisierungswahn verschafft uns einen noch nie dagewesenen Fachkräftemangel. Groß ist das Gejammer über Jugendliche, die sich nicht für eine Ausbildung interessieren oder den Leistungsansprüchen der Arbeitswelt nicht gerecht werden können. Das Abitur verliert aufgrund ständiger Nivellierung nach unten seinen Wert. Der Mittelstand und das Handwerk vermissen die qualifizierten Realschulabsolventen. Fakt ist, dass internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen vor allem auf ihrem Personal und zwar dem Fachpersonal auf allen Qualifikationsstufen beruht. Es ist allerhöchste Zeit Zusammenhänge zu erkennen, Bildung wieder an gesellschaftlicher Realität auszurichten und ein differenziertes Schulsystem mit einer starken Mitte zu schaffen.
Unabhängige Medien gewähren der Gesellschaft einen anderen Blick auf die Dinge. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit durch ein Abonnement oder eine Spende auf PayPal @TheGermanZ oder per Überweisung auf das Konto DE03 6849 2200 0002 1947 75 Herzlichen Dank!
Bildquelle:
- Realschule: pixabay