von SVEN STEINMANN
BERLIN – Seit vielen Jahren bekämpfen sich Bürgerlich-Liberale und National-Konservative um die politische Ausrichtung der AfD. Wo noch bis 2017 das bürgerlich-liberale-Lager eine klare Mehrheit hatte, haben sie in den vergangenen vier Jahren ordentlich an Boden verloren. Reihenweise kippen Kreisverbände und selbst vor Landesvorständen macht diese Entwicklung nicht mehr halt. Während das national-konservative Lager noch vor wenigen Jahren ein absolutes No Go in den westlichen Bundesländern war, wird heute wie beispielsweise in NRW ganz offen damit kokettiert. Unlängst lud NRW Landessprecher Rüdiger Lucassen noch Björn Höcke zu einer gemeinsamen Veranstaltung nach Höxter ein, und selbst Alice Weidel, die noch vor wenigen Jahren das Flaggschiff der Bürgerlichen war, hat längst die Seiten gewechselt und setzt auf die Stimmen des rechten Lagers.
Eher verzweifelt versucht das bürgerliche Lager um Jörg Meuthen noch zu retten, was zu retten ist. Und doch drängt sich der Eindrfuck auf, dass auch seine Anhänger mit dem Rücken an der Wand stehen und innerparteilichen Niederlagen kassieren. Noch vor wenigen Wochen auf dem Bundesparteitag in Dresden demonstrierte das rechte Lager seine Macht, indem Anträge durchgebracht wurden, die vor wenigen Jahren nicht den Hauch einer Chance gehabt hätten.
Mit Sicht auf die Bundestagswahl im September kommt es nun zum ersten richtigen Showdown innerhalb der AfD. Bis zum 5. Mai um 12 Uhr durften Bewerberduos ihre Kandidatur für das Spitzenteam zur Bundestagswahl einreichen. Während 2017 noch das Duo Weidel-Gauland mit einem klaren Ost-West und Links-Rechts Verhältnis antrat, haben sich die Karten neu gemischt. Es geht nun um alles oder nichts – schwarz oder weiß, ohne jedwede Grauschattierung. Beide Seiten wollen ihre Führungsköpfe auf den wichtigen Posten der Fraktionsführung im Bundestag sehen. Wer hier gewinnt, wird zukünftig auch inhaltlich den Ton angeben.
Die „ausgestreckte Hand“ (Cotar) der Bürgerlichen zum Konsens wurde vom rechten Lager ausgeschlagen, als es darum ging eine Doppelspitze aus Joana Cotar und Tino Chrupalla gemeinsam ins Rennen zu schicken. So einigte man sich letztendlich, dass sich Bewerberduos zur Wahl stellen können, die dann von der Basis der Partei gewählt werden sollen. Nach dem heutigen Fristablauf zur Kandidatur haben sich lediglich zwei Paare gemeldet, die von nun an um die beiden begehrten Plätze kämpfen werden, und ähnlich wie bei Mad Max im Thunderdome wird es heißen -zwei gehen rein – einer kommt raus.
Für die Bürgerlich-Liberalen treten Joana Cotar und Joachim Wundrak an, und für die National-Konservativen Alice Weidel und Tino Chrupalla. Wer sind diese Kandidaten und wofür stehen sie? kurzer Abriss der Lebensläufe:
Joana Cotar MdB, Jahrgang 1973, geboren in Rumänien. Beisitzerin im Bundesvorstand der AfD. Bis zu ihrem ersten Einzug in den Deutschen Bundestag 2017 arbeitete Frau Cotar als Veranstaltungsmanagerin und ist eng verbunden mit ihrem Bruder, der mit seiner Firma Vy Capital Großinvestor im Technologiesektor ist. 2009 organisierte er den Einstieg des russischen Investmentfonds Digital Sky Technologies bei Facebook. Im Bundestag ist Joana Cotar Obfrau im Ausschuss Digitale Agenda. Unlängst wurde ihr aus dem rechten Lager der AfD deshalb vorgeworfen, durch ihre Position Vergünstigungen für die Firma ihres Bruders zu erreichen.
Alice Weidel MdB, Jahrgang 1979, geboren in Gütersloh. Stellvertretende Sprecherin im Bundesvorstand der AfD. Vor Ihrer Wahl zur Fraktionssprecherin im Deutschen Bundestag arbeitete Frau Weidel kurzfristig für Goldman Sachs, während sie danach bei Allianz Global Investors und als selbstständige Unternehmensberaterin tätig war. Von Seiten des rechten Lagers wurde ihr vor ihrem Seitenwechsel oftmals vorgeworfen, dass sie im Namen des undefinierten Großkapitalismus unterwegs sei und von diesem in die AfD eingeschleust wurde. Frau Weidel wird seit längerem verdächtigt, illegale Parteispenden angenommen zu haben, und viele rechne damit, dass da vor der Bundestagswahl „noch was kommt“.
Tino Chrupalla MdB, Jahrgang 1975, geboren in Weißwasser/Sachsen. Bundesprecher neben Jörg Meuthen in der AfD. Vor seinem Einzug in den Bundestag leitete Herr Chrupalla ein Unternehmen im Maler- und Lackiererhandwerk. Politisch steht Tino Chrupalla im rechten Lager und sprach sich im Zuge von Covid-19 gegen die Maskenpflicht aus.
Joachim Wundrak Generalleutnant a. D., Jahrgang 1955, geboren in Kerpen/NRW. Bevor Herr Wundrak 2019 erstmals für die AfD als Oberbürgermeisterkandidat für Hannover kandidierte, war er innerhalb der AfD ein unbeschriebenes Blatt. In seiner Zeit bei der Bundeswehr nahm er an diversen Auslandseinsätzen teil und war zuletzt Kommandeur des Kommandos Operative Führung der Luftstreitkräfte. Politisch ist Herr Wundrak schwer einzuschätzen, gilt aber eher als bürgerlich liberal, weswegen er von diesem Lager ins Rennen um das Spitzenduo geschickt wurde.
Es bleibt abzuwarten, wie die Basis der Partei sich nach der heutigen Bekanntgabe der beiden Spitzenkandidaten-Duos entscheiden wird. Das eingangs erwähnte Übergewicht bei den Delegierten auf dem Bundesparteitag in Dresden mag ein erstes Stimmungsbild abgeben. Auch ein Blick in diverse Facebook-Gruppen heute, lässt auf eine Dominanz für das Team Weidel/Chrupalla ist. Aber wie es so oft bei Wahlen ist – abgerechnet wird zum Schluss.
Festzuhalten ist jedoch für die Bürgerlich-Liberalen, dass wenn sie unterliegen, werden sie medial für den inhaltlichen Kurs des gegnerischen Spitzen-Duos mit einstehen müssen. Wie weit es dann am Ende des Jahres die AfD in ihrer heutigen Form noch geben wird ist fraglich. Die heutige Bekanntgabe der beiden Spitzenteams lässt auf eine Richtungsentscheidung schließen, die den Anfang vom Ende der AfD bedeuten kann.
Bildquelle:
- Alice Weidel und Tino Chrupalla: dpa