Am seidenen Faden: Zwischen Bauern und Handel herrscht dicke Luft

Viele Milchbauern kommen mit dem. was der Handel zahlt, nicht mehr zurecht

von MARTIN D. WIND

BERLIN – „Wir geben nicht auf!“ Die Bauern von der Basis lassen sich offenbar nicht mehr einfach „unterpflügen“, wie das Politik im Verbund mit Handel und politiknahen Standesvertretern in der Vergangenheit praktiziert haben. Angesichts der Drohung der großen Vier im Handel – EDEKA (27,1 Prozent), REWE (20,8 Prozent), LIDL (16,2 Prozent Schwarz-Gruppe) und der Aldi-Gruppe (11,4 Prozent), den „Agrardialog“ sang- und klanglos zu kippen, sind das erstaunliche Worte. Den Agrardialog hatten Landwirte von der Basis – Menschen, die mit eigener Hände schwerer Arbeit Lebensmittel oder Lebensmittelgrundstoffe produzieren – den Platzhirschen des Lebensmittelhandels abgerungen: Im Spätjahr 2020 hatten Bauern tagelang Auslieferungslager der Geschäftsleute blockiert und sie so zu konstruktiven Gesprächen bewegt.

„Wir geben nicht auf!“ – diese Worte von Maike-Schulz-Broers, Initiatorin der Basisbewegung „Land schafft Verbindung“ im Rahmen einer Nachfrage nach dem aktuellen Stand des „Agrardialogs“ sind erstaunlich, angesichts des Benehmens einiger Protagonisten in dem Geschacher um den größtmöglichen Reibach auf der einen Seite und dem Kampf ums Überleben auf der anderen Seite. Seit Wochen zeichnet sich ab, dass die Händler nie auf Augenhöhe mit den Landwirten verhandelt haben oder das wollten: Kaum werden erste Ergebnisse greifbar, kaum wird erkennbar, dass diese Ergebnisse tatsächlich dazu führen könnten, den Händlern die Margen zu schmälern und mehr Geld bei den Lebensmittelproduzenten ankommen zu lassen, werden die Bauern plötzlich als „nicht legitimiert“ verschrien. Das wirkt als hätten die Händler lediglich die Luft aus den Protesten lassen wollen, um den Druck abzubauen.

Und wie Kai aus der Kiste stehen erneut hilfreich diejenigen im Raum, die schon lange vorgeben, die Interessen der Landwirte zu vertreten: Der politisch und wirtschaftlich gut vernetzte Deutsche Bauernverband (DBV) unter Präsident Joachim Rukwied und der Deutsche Raiffeisenverband hatten im Hintergrund bereits eine „Koordinierungszentrale“ – von vielen Landwirten in Diskussionsgruppen kurz „Kodz“ genannt – installiert. Nun wollen sich die Handelsvertreter erneut mit denen an den Tisch setzen, deren bisheriges Agieren dazu geführt hat, dass die Landwirte sich selbst organisiert haben, ihre Interessen in die eigenen Hände genommen haben, weil sie sich eben nicht vertreten sehen? Die Gesprächsergebnisse aus dem Agrardialog würden die Händler dennoch gerne als Dialoggrundlage „mitnehmen“, so nach der Devise: Die Arbeit machen die Malocher und die oberen Zehntausend schöpfen die Sahne ab.

„Das kenne ich bereits aus den Verhandlungen um den Milchpreis: Wird es konkret, zieht sich der Handel zurück“, so kommentiert ein erfahrener Milchbauer die Situation in einem Beitrag in den Sozialen Medien. Interessant ist auch: Für den Bauernverband war in den Gesprächsrunden mit dem Handel immer ein Stuhl freigehalten worden. Doch beim DBV zierte man sich, weil man offenbar nichts mit der eigenen Basis zu tun haben will, so nach dem Motto: „Warum redet ihr Händler mit Hänschen, wenn wir – die Funktionäre des DBV – als Hans zur Verfügung stünden?“
Vertreter von „Land schafft Verbindung e. V.“, LsV D, dem Europäischem Milchboard (EMB), dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), den FREIEn BAUERN, der Gruppe 39/60 und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL e. V.) sind den Unterhändlern der Lebensmittelverkäufer plötzlich nicht mehr repräsentativ genug? Für das Erarbeiten der Tischvorlagen für die „Koordinierungszentrale“ solle es aber doch gereicht haben?

Maike Schulz-Broers fasst die Eindrücke eines solchen Benehmens knapp zusammen: „Sie reden viel von ‚ethisch unterwegs sein wollen‘ – der Begriff ‚Ethik‘ kommt in deren Bewusstsein aber offenbar gar nicht vor“. Für viele Landwirte ist die Situation nach jahrzehntelanger Ausbeutung so sehr angespannt, dass sie ihr Dasein als „moderne Sklaverei“ empfinden: Bisher ist es dem Handel meistens gelungen, jegliche Maßnahmen, die vorgeblich den Landwirten einen höheren Anteil am Ertrag zukommen lassen sollten, in die eigene Tasche zu wirtschaften: Anstieg der Einkaufspreise, Erhöhen der Vergütungen? In den Zahlen zu den bäuerlichen Einkommen ist davon kaum etwas, bis nichts zu erkennen, bestenfalls noch – wenn überhaupt – ein gewisser Inflationsausgleich. „Nicht mal der“, behauptet Schulz-Broers.

Da wird auf Kosten der Erzeuger aber – angesichts der weltweiten Entwicklungen im Agrarsektor – auch der Verbrauer Schindluder getrieben. Man erinnere sich nur an die legendäre Äußerung der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), in Bezug auf den Einsatz verbotener Spritzmittel in China, Afrika und Lateinamerika: „Aber das versaut deren Umwelt, das versaut deren Biodiversität.“ Eine solche ignorante Einstellung in maßgeblichen Stellen in der Politik und bei den etablierten Altverbänden lässt Schlimmes befürchten. Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass die Bauern von der Basis erneut ausgebootet werden, sieht es für Landwirtschaft in Deutschland übel aus.

Bildquelle:

  • Milchbauer: dpa

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