Angela Merkel beim europäischen Trauerakt für Helmut Kohl: «Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben.»

Kohls Vision für ein geeintes Europa müsse Verpflichtung sein für die Zukunft des Kontinents in turbulenten Zeiten.

«Helmut Kohl war ein deutscher Patriot, aber auch ein europäischer Patriot», sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker im Europarlament von Straßburg vor dem in eine blaue Europaflagge gehüllten Sarg. «Mit Helmut Kohl verlässt uns ein Nachkriegsgigant.» Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Kohl einen großen Brückenbauer.  Nun müssten die nächsten Generationen sein Vermächtnis bewahren – den engagierten, unermüdlichen Einsatz für Frieden, Freiheit und Einheit.

EU-Ratspräsident Donald Tusk verband seine Würdigung mit einem Appell an heutige europäische Politiker, klare Botschaften zu senden: «Ein Ja für die Union, ein Ja für die Freiheit, ein Ja für die Menschenrechte.» Der neue französische Präsident Emmanuel Macron rief mit Blick auf den Versöhnungspolitiker Kohl zur Zuversicht auf: «Wir haben heute überhaupt keinen Anlass zur Resignation. Wir haben vielmehr Grund zu realistischem Optimismus.» Der frühere spanische Ministerpräsident Felipe González sagte über Kohl: «Er sprach von einem europäischen Deutschland und wollte nie wieder ein deutsches Europa erleben.»

Merkel sagte bei dem ersten europäischen trauerakt für einen Politiker, Kohl sei «ein den Menschen zugewandter Weltpolitiker» gewesen. Die einstige DDR-Bürgerin dankte auch ganz persönlich: «Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben.» Die CDU-Chefin schilderte ihren Amtsvorgänger als Mann der Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und unerschütterlichen Überzeugung – und auch als Politiker, an dem sich viele Menschen gerieben hätten und der Gegenargumente scharf abwehren konnte. Kohls Witwe Maike Kohl-Richter verfolgte die Reden mit Juncker zu ihrer Rechten und EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zur Linken.

Kohl war am 16. Juni mit 87 Jahren nach langer Krankheit in Ludwigshafen-Oggersheim gestorben. Dort wurde sein Sarg am Samstagnachmittag – inzwischen mit einer Deutschland-Flagge bedeckt – nach der Rückkehr aus Straßburg durch die Straßen gefahren, damit am Nachmittag auch Bürger der pfälzischen Stadt Abschied nehmen konnten. Im Zentrum von Kohls Geburtsstadt standen Menschen links und rechts der Straße und applaudierten. Danach wurde der Sarg mit dem Passagierschiff «Mainz» einige Kilometer auf dem Rhein nach Speyer gebracht.

Im Dom zu Speyer soll der katholische Bischof Karl-Heinz Wiesemann die Totenmesse halten (18.00). Rund 1500 geladene Gäste werden dazu erwartet. Nach einem militärischen Ehrenzeremoniell der Bundeswehr soll Kohl dann (20.30) auf einem nahen Friedhof in Speyer im Freundes- und Familienkreis beigesetzt werden. Er wird damit nicht im Familiengrab in Ludwigshafen bestattet. Die Trauerfeierlichkeiten dürften zu den größten in der deutschen Nachkriegsgeschichte zählen.

Juncker erinnerte in seiner teils sehr persönlich gehaltenen, berührenden Rede an Kohls Rolle als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung und beim Zusammenwachsen Europas. Zwischen beiden Zielen habe es für ihn keinen Widerspruch gegeben. In «geduldigen Einzelgesprächen» habe er die Skepsis in manchen europäischen Ländern gegen die deutsche Einigung abgebaut. «Er hat die Gunst der Stunde richtig eingeschätzt und genutzt.» Ohne Kohl hätte es zudem den Euro nicht gegeben, sagte Juncker. «Für ihn war der Euro stets europäische Friedenspolitik mit anderen Mitteln.»

EU-Ratschef Tusk nannte Kohl einen Wegbereiter der europäischen Einigung sowohl im Westen als auch im Osten des lange geteilten Kontinents. «Seine Vision ging weit über die deutschen Grenzen und die deutschen Interessen hinaus.» EU-Parlamentspräsident Tajani hob Mut und Tatkraft Kohls hervor. «Stets und überall verteidigte er die Würde des Menschen gegen Mauern, gegen eiserne Vorhänge und gegen totalitäre Regime.»

Der frühere US-Präsident Bill Clinton sagte, Kohl habe eine Welt gewollt, in der Zusammenarbeit mehr gilt als Konflikt. «Er wollte eine Welt schaffen, in der niemand dominiert.» Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew erinnerte an die engen Beziehungen Kohls zu seinem Land. Für den Altkanzler sei Russland Bestandteil eines vereinten Europas gewesen, sagte Medwedew, der in Straßburg als Privatperson sprach. «Für ihn war das ein Teil eines gemeinsamen Hauses, ohne Stacheldraht.»

Einen deutschen Staatsakt für Kohl wird es dagegen nicht geben. Er wurde 1998 wegen seiner Verdienste zum «Ehrenbürger Europas» ernannt – diesen Titel erhielten ansonsten nur noch die Franzosen Jean Monnet (1888-1979) und der 1925 geborene Jacques Delors.

Bildquelle:

  • Trauerakt_Kohl: dpa

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