„Anonymous“ & Co.: Droht auch Deutschland ein Krieg der Hacker?

Droht uns ein Krieg der Hacker im virtuellen Raum?

von FRIEDRICH LIST

BERLIN – Der russische Angriff auf die Ukraine hatte ein Vorspiel – im Cyberspace. Russische Hacker, mit großer Sicherheit in staatlichem Auftrag, attackierten die elektronische Infrastruktur des Nachbarlandes. Ihre Ziele waren Webseiten von Regierungsbehörden, Banken und den Streitkräften. Sie versuchten auch, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg, die Computernetze der Streitkräfte zu infiltrieren.

Seit Beginn der Invasion ist die Konfrontation im Cyberspace vorangeschritten. Russische Hacker duellieren sich mit ukrainischen Hackern und deren Unterstützern aus dem Westen wie etwa dem Hackerkollektiv „Anonymous“. Zwar sehen Experten bisher keinen großen Cyberkrieg, aber die Auseinandersetzung hat schon auf Europa übergegriffen. Wahrscheinlich haben russische Hacker am 28. Februar 2022 dafür gesorgt, dass ein Satellitenkommunikationssystem ausfiel, mit dem tausende von Windkraftanlagen in Mitteleuropa gesteuert werden. Ziel das Hackerangriffs war mutmaßlich das drahtlose Internet im Raum Kiew. Laut Mitteilung des größten deutschen Windanlagenherstellers Enercon fielen wegen dieses Angriffs dann tausende von Windkraftanlagen in Mitteleuropa aus.

Warum Enercon-Windkraftanlagen ausfielen

Das betroffene KA-SAT-Satellitensystem gehört dem US-amerikanischen Kommunikationsunternehmen ViaSat. In Europa arbeitet ViaSat mit dem französischen Satellitenbetreiber Eutelsat zusammen. Neben Europa deckt KA-SAT auch die Mittelmeerregion ab. In der Ukraine ist es für viele Menschen und Institutionen der einzige Weg ins Internet, weil es von erdgebundener Technik unabhängig ist.

KA-SAT unterhält 82 so genannte ‚Spot Beams‘. Das sind stark gebündelte Richtstrahlen, die eine Parabolantenne vom Satelliten auf eine Partie der Erdoberfläche strahlt. So ein Spot Beam zeigt auf den Großraum Berlin, ein anderer auf Kiew. Auf der Erde sorgen acht Empfangsstationen in Europa für die eigentliche Internetanbindung. Wird eine dieser Stationen durch einen Cyberangriff ausfällt, stört das alle anderen Spot Beams.

Kritische Infrastruktur anfällig

Auch unsere kritische Infrastruktur ist durch Cyber-Attacken gefährdet. Kommunikation, Verkehr, Energieversorgung, Industrieproduktion, Such- und Rettungsdienste und vieles mehr funktionieren ohne moderne Kommunikationstechnik nicht. Wie der Zusammenbruch der entsprechenden Verbindungen bei der Flut im Ahrtal zeigt, hat das schnell katastrophale Folgen. Für längere Zeit waren dort die Starlink-Satelliten des US-Unternehmers Elon Musk der einzige Weg ins Internet.

Experten für Cybersicherheit bemängeln schon länger, dass unser Land für Cyber-Kriegführung viel zu anfällig ist. Öffentliche Einrichtungen, Unternehmen und Institutionen sind nicht gut auf den Ernstfall vorbereitet. „Wir müssen jetzt dringend mehrstufige Sicherheitskonzepte für kritische Infrastrukturen erarbeiten, die insbesondere auch analoge Notfallpläne haben“, fordert Professor Jörn Müller-Quade vom KASTEL — Institut für Informationssicherheit und Verlässlichkeit des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Zudem kritisiert er die hohe Abhängigkeit Europas von Hard- und Software aus Drittländern. Nicht nur Chips kommen aus Übersee, sondern auch viele wichtige Computerprogramme. „Deren Schwachstellen können wir nur bedingt durchschauen, weil wir die Quellcodes nicht kennen“, sagt Müller-Quade. Er empfiehlt, nicht nur die IT-Sicherheit zu verbessern, sondern auch mehr eigenen Software in Europa zu produzieren.

Problem: Keine deutschen Anbieter von Satelliten-Internet

Ähnlich schätzen Wissenschaftler der Universität der Bundeswehr München die Lage ein. Professor Andreas Knopp kritisiert, dass es hierzulande keinen nationalen Anbieter von satellitengestütztem Internet gibt. Mehr noch: Es fehlen nicht nur nationale Satellitenbetreiber, sondern auch eine deutsche Kommunikationssatelliten-Infrastruktur außerhalb des Militärs. Die Regierung Merkel hatte entschieden, das Breitbandinternet nur über Glasfasernetze und Mobilfunkverdichtung auszubauen. „In der Folge sind deutsche Unternehmen, aber auch Privatpersonen, Kommunen und Sicherheitsbehörden bis hin zur Polizei heute auf ausländische Anbieter von Satellitenservices und Weltrauminfrastruktur angewiesen“, erläutert Andreas Knopp. „Wenn die nationale Energieversorgung von ausländischen Internetanbietern abhängt, müssen politische Entscheidungsträger alarmiert sein.“

Unternehmen verstärken ihre Cyber-Sicherheit

Ob nationale Lösungen politisch realisierbar sind, muss sich zeigen. Immerhin diskutiert die Politik darüber, ob man aus den für die Verstärkung der Bundeswehr bereitgestellten 100 Milliarden Euro pro Jahr eine eigene Teilstreitkraft für den Cyberwar aufgestellt wird. Damit würden bereits vorhandene Kapazitäten der Bundeswehr großzügig ausgebaut.
Derweil setzen Unternehmen verstärkt auf eigene Sicherheitsmaßnahmen. Laut Branchenverband Bitkom hat jedes dritte Unternehmen seine Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Außerdem haben 33 Prozent der Firmen als Reaktion auf den Ukraine-Krieg Krisenstäbe eingerichtet oder klare Entscheidungsstrukturen geschaffen.

Bildquelle:

  • Cyber-Krieg: pixabay

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