Britische Premierministerin Truss vor Scherbenhaufen

ARCHIV - Die britische Ex-Premierministerin Liz Truss auf dem Parteitag der Konservativen in Birmingham. Foto: Kirsty Wigglesworth/AP/dpa

von CHRISTOPH MEYER

LONDON – Nur anderthalb Monate nach dem Amtsantritt steht die britische Premierministerin Liz Truss vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Ihr neuer Finanzminister Jeremy Hunt machte am Montag in London so gut wie alle von Truss angekündigten Steuererleichterungen rückgängig. Sogar die Laufzeit des staatlichen Energiepreisdeckels wurde von zwei Jahren auf sechs Monate verkürzt. Die 47-jährige Chefin der Konservativen ist erst seit Anfang September im Amt. Inzwischen wird offen über ihren baldigen Rücktritt spekuliert.

Der neue Finanzminister Hunt – selbst erst seit Freitag an der Spitze des Ressorts – äußerte sich in einer kurzfristig anberaumten Erklärung. Hintergrund ist das Chaos an den Finanzmärkten, das die Regierung unter Truss durch ohne Gegenfinanzierung angekündigten Steuersenkungen ausgelöst hatte. «Das wichtigste Ziel für unser Land ist jetzt Stabilität», sagte Hunt.

Trotz der demütigenden Kehrtwende wolle Truss im Amt bleiben und «liefern», sagte ein Sprecher der konservativen Regierungschefin vor Journalisten. Es gilt jedoch als äußerst fraglich, ob sie sich halten kann. Als mögliche Nachfolger werden Ex-Finanzminister Rishi Sunak, die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt und Verteidigungsminister Ben Wallace gehandelt. Selbst über eine Rückkehr von Ex-Premier Boris Johnson wird spekuliert.

Mordaunt vertrat Truss am Montag in einer von der oppositionellen Labour-Partei beantragen Aktuellen Stunde zur Regierungskrise. Ihre Begründung für das Fernbleiben der Premierministerin, diese sei wegen «dringlicher Aufgaben unabkömmlich» wurde von der Opposition mit Gelächter beantwortet. Labour-Chef Keir Starmer spottete: «Ich gehe davon aus, dass in dieser (konservativen) Tory-Regierung jeder mal für 15 Minuten Premierminister sein darf.»

Truss hatte sich über den Sommer im Rennen um die Nachfolge Johnsons mit dem Versprechen radikaler Steuererleichterungen bei den Mitgliedern der konservativen Tory-Partei durchgesetzt. Ihrer auch als «Trussonomics» bezeichneten Strategie zufolge sollten niedrigere Steuern unmittelbar zu starkem Wirtschaftswachstum führen. Doch das erwies sich als Luftschloss und gilt nun als krachend gescheitert.

Stattdessen ging das Vertrauen der Anleger in die britische Regierung völlig verloren. Das Pfund fuhr im Verhältnis zum US-Dollar in den Keller. Die Bank of England musste nach der Ankündigung radikaler Steuersenkungen Ende September mehrmals intervenieren und im großen Stil Staatsanleihen kaufen. Steigende Zinsen für Immobilienkredite verschärften für viele Hausbesitzer die Krise der Lebenshaltungskosten.

Als die Notenbank am Freitag ihren Anleihenkauf auslaufen ließ, sah sich Truss zum Handeln gezwungen. Sie entließ ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng, kündigte eine teilweise Abkehr von ihrer Steuerpolitik an und berief Hunt. Nun legte sie nach. Ob Truss damit ihr Amt retten kann, ist offen. Besonders die Deckelung der Energiepreise für Haushalte und Unternehmen galt als ihr wichtigstes politisches Projekt. In den vergangenen Wochen hatte sie das stets als Errungenschaft verkauft. Dass sie hier nun auch noch zurückrudern muss, gilt als Eingeständnis eines Totalversagens.

«Selbstverursachte Krise von Liz Truss»

Das konservative Magazin «Spectator» schrieb vom «größten selbstverschuldeten politischen Fehler» seit der Suez-Krise 1956. «Ihr intellektuelles und politisches Projekt ist am Ende», so das Blatt. Spätestens am Mittwoch muss sich die Premierministerin den Fragen der Abgeordneten in der wöchentlichen Fragestunde im Unterhaus stellen. Sollte sie stürzen, gilt eine vorgezogene Neuwahl als beinahe unausweichlich. Einer Umfrage des Instituts Redfield and Wilton zufolge könnte derzeit die Labour-Partei bei einer Wahl nicht nur eine klare Mehrheit erringen, sondern sogar mehr als 36 Prozentpunkte vor der Tory-Partei landen.

Zu den inzwischen zurückgenommenen Steuersenkungen gehörten die Verringerung des Basis-Satzes bei der Einkommenssteuer von 20 auf 19 Prozent und eine geringere Unternehmenssteuer. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, die derzeit ihre Kampagne für ein vom Vereinigten Königreich unabhängiges Schottland vorstellt, sprach von einer «selbstverursachten Krise von Liz Truss». Je früher die Premierministerin den Platz räume, desto besser.

Bildquelle:

  • Liz Truss: dpa

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