von BORIS REITSCHUSTER
BERLIN – Es war einmal … eine Zeit, da war die CDU eine Säule der Stabilität und des konservativen Denkens in Deutschland. Das ist lange vorbei – spätestens seit Angela Merkel wirkt es, als sei es Ewigkeiten her. Nach den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen fühlt sich die Partei zwar auf den ersten Blick als Sieger – schließlich konnte sie in beiden Bundesländern respektable Ergebnisse erzielen. Doch der Schein trügt. Hinter dem vermeintlichen Erfolg verbirgt sich ein tiefes Dilemma, das die Partei zu zerreißen droht.
Die Christdemokraten sehen sich mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, eine Regierungsmehrheit ohne die AfD zu bilden, ohne dabei ihre eigene politische Identität zu verraten.
Der einfache Weg, sich mit den „Linksaußen“-Parteien zu verbünden, würde das endgültige Ende ihrer Glaubwürdigkeit als konservative Kraft bedeuten. Gemeinsam mit ihrer geradezu obsessiven Konzentration darauf, die „Brandmauer“ gegen die AfD aufrechtzuerhalten, würde so ein weiterer, noch massiverer Linksschwenk der Partei zwar kurzfristig Ämter bescheren, sie aber mittelfristig in die Bedeutungslosigkeit treiben.
Das Problem der CDU ist nicht neu, es hat sich über die Jahre hinweg aufgebaut
Besonders seit der Ära Merkel hat die Partei eine politische Wende nach der anderen vollzogen – sei es in der Migrationspolitik, in der Energiepolitik oder in der Frage der europäischen Integration. Diese Wankelmütigkeit hat dazu geführt, dass die CDU heute nicht mehr klar definieren kann, wofür sie eigentlich steht. Das ist ihr Grundproblem. Die Zeiten, in denen sie als Volkspartei ein breites Spektrum von Wählern ansprach, scheinen vorbei zu sein. Sie steht für Beliebigkeit und Anpassung an den Zeitgeist – auch wenn dieser wie aktuell rot-grün ist.
Ein besonders drastisches Beispiel für diesen Opportunismus ist Markus Söder, der Ministerpräsident von Bayern und Vorsitzende der CSU.
Söder hat sich in den letzten Jahren den Ruf eines politischen Chamäleons erarbeitet, das seine Positionen regelmäßig ändert, um den jeweiligen politischen Windrichtungen zu folgen. Mal schloss er eine Kanzlerkandidatur für 2025 aus – mal bringt er sich selbst wieder dafür ins Spiel wie gerade eben. Mal gibt er sich als strikter Anhänger einer liberalen Asylpolitik, mal als deren entschlossener Gegner; dann wiederum versucht er, grüne Wähler mit einem Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz zu umwerben – um sich dann wieder von den Grünen abzugrenzen. Diese Beliebigkeit mag kurzfristig erfolgreich sein, schadet aber langfristig der Glaubwürdigkeit der gesamten Union.
Und nun steht die CDU vor einer Entscheidung, die sie mit hoher Wahrscheinlichkeit über kurz oder lang noch weitaus tiefer in die bereits bestehende Identitätskrise stürzen wird.
Entweder sie öffnet sich für „Linksaußen“, was sie bisher abgelehnt hat, oder sie beginnt, die „Brandmauer“ zur AfD zu schleifen. Beide Wege sind mit erheblichen Risiken verbunden, und keiner führt aus dem Dilemma heraus, das die Partei sich selbst geschaffen hat – nicht zuletzt, weil sie immer noch brav auf Merkel-Kurs ist.
Insbesondere in Thüringen, wo die AfD unter Björn Höcke zur stärksten politischen Kraft avancierte, wird dieses Dilemma sichtbar
Die Vorstellung, mit der AfD auch nur informell zusammenzuarbeiten, ist für viele Christdemokraten unvorstellbar. Andere wiederum fordern eine solche Kooperation. Die einzige Alternative ist ein Pakt mit Parteien, die völlig unvereinbar mit ihren Werten sind – mit den SED-Erben von Wagenknecht und der „Linken“. Konrad Adenauer und Helmut Kohl würden sich im Grab umdrehen.
Doch was passiert, wenn Höcke sich zur Wahl als Ministerpräsident stellt?
Wie wird die CDU reagieren, wenn er im dritten Wahlgang tatsächlich die Mehrheit auf sich vereint? Wird dann erneut Angela Merkel anrufen und fordern, die Wahlen rückgängig zu machen?
Für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht die Lage auf den ersten Blick besser aus. Doch auch er muss erkennen, dass die Bildung einer stabilen Regierung ohne die AfD oder Partner von Linksaußen nahezu unmöglich ist. Eine Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die AfD könnte eine verlockende, aber gefährliche Lösung darstellen. Es wäre eine Art Neuauflage des sogenannten Magdeburger Modells, das die SED-Nachfolgepartei PDS in Sachsen-Anhalt in den 1990er Jahren tolerierte. Doch kann die CDU diesen Weg wirklich gehen, solange Merkel-Jünger wie Hendrik Wüst und Daniel Günther in der Partei eine wesentliche Rolle spielen?
Es wird immer deutlicher, dass die CDU vor einem grundlegenden Richtungsentscheid steht. Sie muss sich entscheiden, ob sie weiterhin eine breite Volkspartei sein will, die versucht, es allen recht zu machen, inklusive Rot-Grün, oder ob sie zu ihren konservativen Wurzeln zurückkehrt und klare Kante zeigt. Dieser Spagat zwischen verschiedenen Wählerschichten, zwischen konservativen Stammwählern und progressiveren, urbaneren Wählern, wird immer schwieriger. Schon heute kommt die Partei bei diesem Spagat in Posen, die sehr unglücklich wirken. Wenn die CDU weiter ihre Fahne nach dem Wind dreht, droht sie, nicht nur ihre Identität, sondern auch das Rest-Vertrauen ihrer Wähler zu verlieren – von denen sie heute schon viele nur noch als das geringere Übel sehen.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die CDU in der Lage ist, sich neu zu positionieren, ihre Rolle in der deutschen Politik wiederzufinden. Das wird nur gehen, wenn sie sich von Angela Merkels verheerendem Erbe löst. Der Ausgang ist offen. Eines ist jedoch sicher: Die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, werden die Zukunft der Partei entscheidend prägen – und wohl auch ihr Überleben als zentrale politische Kraft in Deutschland.
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