„Da sind se“: Vor 77 Jahren begann die „Operation Overlord – das Ende der Nazi-Herrschaft

Zehntausende alliierte Soldaten landeten 1944 in der Normandie, um Europa von der Nazi-Herrschaft zu befreien.

von DIETRICH KANTEL

„Aufmal sahen wir, dass der ganze Horizont voller Schatten war. Da kamen unendlich viele Schatten und die Schatten waren quer zur Küste, so dass wir nur Schiffe sahen, soweit wir nach links und rechts sehen konnten. Alles nur Schiffe. Da stand es für mich fest: Da sind se.“

So berichtet der damalige Wehrmachtssoldat Franz Gockel von seinem Morgendienst in einer Bunkeranlage des Atlantikwalls. Es ist früh morgens 5:30 Uhr am 6.Juni 1944. Vor 77 Jahren begann am sogenannten „D-Day“ mit der Operation Overlord , die alliierte Invasion in der Normandie. „Dann begann von den Schiffen die Artilleriebombardierung. Und ich habe gebetet. Alle haben sie gebetet,“ spricht Franz Gockel in die Kamera für eine Dokumentation des ZDF.

Größte Landungsoperation aller Zeiten

Unter bemerkenswerter Geheimhaltung und genialen Täuschengsaktionen hatten die Alliierten eine Invasionstruppe von bis zu 3,5 Millionen Mann zusammengezogen. Stalins Forderung nach einer zweiten, einer Westfront gegen Nazi-Deutschland sollte jetzt erfüllt werden. Mit 6.400 Schiffen, darunter 213 Kampfschiffe, landeten ab dem 6.Juni binnen einer Woche 326.000 Mann, 104.000 Tonnen Kriegsmaterial und 54.000 Fahrzeuge an den Stränden des Cotentin der Westnormandie in den flachen Gewässern der Bucht der Seine-Mündung in sechs verschiedenen Küstenabschnitten. Und bis Monatsende waren dann in eroberten Brückenköpfen schon 850.000 Mann gelandet. Erstmals auch in der Militärgeschichte: Mit schwimmenden Pontons aus Stahlbeton, über das Meer aus Südengland herangeschifft, wurde ein künstlicher Hafen angelegt. Und ab dann kannte der us-amerikanische Nachschub an Soldaten und Material praktisch keine Grenzen mehr.

Alliierter Probelauf im Desaster – Rommel: Die kommen kein zweites Mal

Zwei Jahre zuvor hatten die Alliierten einen Probelauf für eine Invasion in Nordfrankreich gefahren. Im Gebiet der Hafenstadt Dieppe: „Operation Jubily“. Die Briten sollten die deutsche Verteidigung testen. Ganz „selbstlos“ wählten sie für diese Erprobungsmission ausschließlich kanadische Truppen aus. „Damit die sich nach langer Ruhezeit erst einmal wieder im Kampf beweisen können“, so der Planer der Operation, Flottenadmiral Louis Mountbatten, Earl of Burma und letzter Vizekönig von Britisch-Indien.

Der Versuch wurde von der Wehrmacht allerdings blutig zurückgeschlagen. Um 4:50 Uhr hatte die Landung mit knapp 6.100 Soldaten begonnen, um 10:50 Uhr erfolgte bereits der Befehl zum Rückzug. In nur sechs Stunden wurden 1.200 Kanadier getötet, 2.600 verwundet und gefangen genommen, verloren die Alliierten 119 Kampfflugzeuge. Der höchste Verlust an Kampfflugzeugen, den die Royal Airforce (RAF) in ihrer Geschichte jemals erlitt. Nur 2.200 Soldaten kehrten nach England zurück, damals am 19. Mai 1942.

Nachdem der legendäre Wüstenfuchs, Generalfeldmarschall Rommel, 1944 den Befehl über die Heeresgruppe B in Frankreich übernommen und die Inspektion der Befestigungen des Atlantikwalls abgeschlossen hatte, verkündete er seinen Kommandeuren im Hinblick auf Dieppe: „Die kommen kein zweites Mal“ – und verabschiedete sich kurz vor dem D-Day am 4.Juni in den Heimaturlaub zur Familie.

D-Day, 5:30 Uhr

D-Day, 5:30 Uhr morgens, die ersten alliierten Landungsboote erreichen das Flachwasser vor den Strandabschnitten mit den operativen Bezeichnungen Sword, Juno, Gold, Omaha und Utah Beach sowie Point du Hoc:

„Die Rampe fällt. MG-Hämmern. Der Captain geht zuerst: Erschossen. Der Sergeant ist der nächste: Erschossen. Dann fällt der Sani ins Wasser: Erschossen. Ich bin der Vierte. Und in dem Moment packt eine Welle das Boot. Ich falle seitlich von der Rampe. Ins Wasser. Das hat mich gerettet.“

So ruft der damals junge US-Soldat Bob Sales sein Erlebnis an die Landung in Erinnerung.

Die Menschenopfer der Operation Overlord auf beiden Seiten waren gewaltig. Bei den alliierten Invasionstruppen: Etwa 65.000 Tote, 18.000 (bis heute) Vermisste und 150.000 Verwundete. Bei deutschen Verteidigungsverbänden: 50.000 Tote, 200.000 Verwundete und Kriegsgefangene. In tagelangen schweren Kämpfen gegen die verteidigenden deutschen Truppen, konnten die alliierten Truppen zwar nur zäh, aber doch beständig vorrücken, die eroberten Standabschnitte zu einem Brückenkopf von 100 mal 30 Kilometern vereinen und so letztlich bis Ende Juni die gesamte Halbinsel des Cotentin einnehmen.

Danach begann der alliierte Vormarsch auf Paris, das nach weiter verlustreichen Kämpfen beider Seiten am 25.August erreicht wurde. Und im November 1944 wurde bereits die westliche Reichsgrenze entlang der Eifel erreicht, wo es dann zur letzten großen Schlacht an der Westfront kam: Der „Allerseelen-Schlacht“ im Hürtgenwald mit den größten Verlusten für Landtruppen, welche die US-Streitkräfte jemals in ihrer Geschichte bis heute erleiden mussten. Doch mit der erfolgreichen Invasion am D-Day war das Ende des Nazi-Regimes eingeläutet.

Wer heute als Besucher wandernd über die Landungsstrände in der Normandie streift, dem kann es noch immer passieren, dass er mit seinen nackten Füßen im Sand plötzlich auf etwas Hartes stößt, was sich keineswegs als Stein oder Muschel entpuppt: Menschliche Wirbelknochen …

Bildquelle:

  • Landung Normandie 1944: national archives usa

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren