Der „Failed State“ am Hindukusch: Afghanistan? Bloß raus da!

Nato-Konvoi in Kabul: In der afghanischen Hauptstadt ist die Zahl der Anschlagsopfer besonders hoch. Foto: S. Sabawoon/Archiv

von DIETRICH KANTEL*

BERLIN – „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“, proklamierte Verteidigungsminister Struck (SPD) im Jahr 2002. Der Terrorismus ist trotzdem zu uns angekommen. Trotz tausender deutscher Soldaten im Einsatz, wovon 59 dort starben.

Seit Jahrtausenden klappt die Staatsbildung in Afghanistan nicht. Nach den Persern kamen Alexanders Griechen, dann Parther, Sassaniden, Hunnen, Göktürken, Araber, Abasiden. Im 10. Jahrhundert die Zwangsislamisierung durch türkische Nomaden und Seldschuken aus Kasachstan. Vom 16. bis 18. Jahrhundert stritten Perser, indische Moguln und usbekische Scheibaniden in Afghanistan. Nie waren staatliche Strukturen von Dauer. Der Versuch der Staatsgründung durch Paschtunenführer Ahmad Schah Durrani scheiterte Mitte des 18.Jahrhunderts nach wenigen Jahren an der Zerstrittenheit der afghanischen Stämme. Die besteht bis heute fort. Und: Alle, die Afghanistan irgendwie wollen, holen sich weiterhin blutige Nasen.

Die Briten zwischen 1839 und 1919 in drei Kriegen mit tausenden toten Soldaten und Zivilisten. 1919 dann der nächste Versuch, Afghanistan zu einem Staatswesen zu machen. Auch das scheiterte unter Führung des Deutschland-affinen Königs Zahir Schah nach nur 60 Jahren: Die afghanische Zerstrittenheit nutzend fiel die Sowjetunion in Afghanistan ein und installierte eine Marionettenregierung. Es folgte ein Krieg aus dem sich Moskau nach zehn Jahren, Milliarden von Rubeln, 15.000 gefallenen und 50.000 kriegsversehrten Rotarmisten geschlagen zurückzog.

Auch kein Sieg des Westens

Die Niederlage der Sowjetunion war letztlich bitter erkauft. Der afghanische Widerstand gegen Moskau, die Moujahedin – euphemistisch „Freedom Fighters“ genannt – wurde mit hunderten Millionen Dollar, Waffen und mehr aus den USA , Saudi Arabien und Pakistan erkauft. Die Widerstandsparteien, untereinander spinnefeind, ob fundamentalistisch oder moderat wurden unterstützt. Ungewollt züchtete man so die radikalen Taliban, die das “befreite“ Afghanistan sogleich zum Gottesstaat ausriefen – und dem islamistischen Terrorismus eine Export-Basis schufen.

20 Jahre und kein Ende: Korruption, Fundamentalismus, Zerstrittenheit

Seit 20 Jahren besteht in Afghanistan eine von NATO-Staaten finanzierte Regierung. Deren Einflussbereich reicht über die Grenzen der Hauptstadt Kabul kaum hinaus („Kabulistan“). Und selbst die Hauptstadt wird ständig von Terroranschlägen erschüttert.

Den Fundamentalismus stoppen, in dem Frauen ohne Bildung zu Hause eingesperrt, Kulturdenkmäler zerstört und Lebensfreude bei Tod durch Steinigung verboten wurde; die Brutstätten des Terrorismus austrocknen, Opiumanbau und Heroinproduktion eindämmen; einen stabilen Staat errichten: das und noch mehr waren die Ziele. Nichts davon wurde erreicht. Eine funktionierende Regierung gibt es nicht. Millionen über Millionen Euro und Dollar versacken bei den Regierenden, deren Familien und landen auf Konten im Ausland. Heroinproduktion und Export: Afghanistan ist heute Weltmarktführer. Und der Terrorismus, auch der aus Afghanistan, hat Deutschland ja längst erreicht.

In 500 Jahren nochmal nachschauen

59 deutsche Soldaten mussten dafür ihr Leben lassen, insgesamt rund 4.000 NATO-Soldaten. Für nichts. In Afghanistan geht alles seinen Gang wie eh und je: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Aimaken, Turkmenen, Belutschen mit 49 Sprachen in 200 Dialekten bekämpfen sich gegenseitig. Nur die „Ungläubigen“ bekämpft man immer gemeinsam.

Außerhalb von Kabul ist es eine archaische Gesellschaft. Burgherren halten Leibeigene im Stall neben Ziegen, Schafen, und Kühen. Sie halten Mädchen als Sexsklavinnen. Stammesführer herrschen über Leben und Tod. Kleinbauern zwingen sie zum Mohnanbau für die Rauschgiftproduktion. Ein einzelnes Leben zählt nicht viel in Afghanistan. Das Land befindet sich in einem Stadium, das tausende Jahre hinter der zivilisatorischen Menschheitsentwicklung zurücksteht. Ziehen wir unsere Soldaten endlich ab. Wir dürfen sie nicht weiter opfern für eine Gesellschaft, die unfähig zur Entwicklung ist. Schauen wir in 500 Jahren nochmal nach. Vielleicht geht dann was.

(*) Der Autor Dietrich Kantel ist Jurist und Unternehmer, diente als Reserveoffizier im Führungsstab der Streitkräfte der Bundeswehr. Von 1980 bis 1988 organisierte er in Afghanistan humanitäre Hilfe. Moskau hatte ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.

Bildquelle:

  • Nato-Konvoi in Kabul: dpa

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