Die Atommacht Pakistan steht vor einem politischem Neubeginn

ARCHIV - Shehbaz Sharif (m.), Oppositionsführer aus Pakistan gilt als Favorit für den Posten des Premierministers. Foto: B.K. Bangash/AP/dpa

von ARNE BÄNSCH & VERONIKA ESCHBACHER

ISLAMABAD – Die Atommacht Pakistan steht vor einem politischen Neubeginn. Nach dem Misstrauensvotum gegen Premier Imran Khan könnte das Parlament in Islamabad bereits an diesem Montag einen neuen Regierungschef wählen.

Die Nationalversammlung solle um 14 Uhr (Ortszeit, 11 Uhr MESZ) zusammenkommen, erklärte das Parlamentssekretariat. Pakistans Parlament hatte Premierminister Khan in der Nacht zum Sonntag das Vertrauen entzogen. In einem Misstrauensvotum stimmten 174 von 342 Abgeordneten nach tagelanger politischer Krise gegen den ehemaligen Kricketstar. Anhänger der Regierungsparteien hatten den Saal zuvor verlassen. Khan ist der erste Premier in der Geschichte Pakistans, der durch ein Misstrauensvotum abgesetzt wird.

Die Allianz an Oppositionspolitikern, die das Misstrauensvotum vorangetrieben hatte, wirft Khan schlechte Regierungsführung und Inkompetenz in Wirtschaftsfragen vor. Zuletzt waren die Preise für Lebensmittel, Benzin oder Gas in dem südasiatischen Land mit rund 220 Millionen Einwohnern massiv gestiegen. Dazu kamen Niederlagen der Regierungspartei PTI bei Wahlen auf Provinzebene.

Schwer zu schaffen macht Pakistan auch die Corona-Pandemie, die dem Land eine massive Wirtschaftskrise bescherte. Statt das Land aus der Misere zu führen, musste Khan zuletzt erneut strenge Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit neuen Steuern und Steuererhöhungen erfüllen, um wieder an Gelder zu kommen.

Oppositionsführer Shehbaz Sharif dankte den Unterstützern für ihren Kampf. «Diese Einigkeit wird Pakistan wieder aufbauen.» Der jüngere Bruder des geschassten Premiers Nawaz Sharif gilt auch als möglicher Nachfolger Khans. Mit einem Bündnis verschiedener politischer Parteien hatte er bereits seit zwei Jahren gegen die Regierung mobil gemacht. Die entscheidende Mehrheit im Parlament gewann die Opposition durch Abgeordnete, die der Regierungskoalition den Rücken kehrten. Khan hatte stets nur eine hauchdünne Mehrheit.

Den ganzen Tag hatte das südasiatische Land am Samstag gespannt auf das Votum gewartet. Die geplante Abstimmung hatte der Oberste Gerichtshof am Donnerstag angeordnet, nachdem sie wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit vor knapp einer Woche nicht abgehalten wurde. Khan hatte am vergangenen Sonntag den Präsidenten Arif Alvi darum gebeten, das Parlament aufzulösen. Der Premier forderte Neuwahlen. Doch die Richter wiesen die Regierung in die Schranken. Reguläre Parlamentswahlen stehen in dem Land erst 2023 an.

Die Abstimmung wurde durch Parlamentssprecher Asad Qaiser, der die Sitzung am Samstag leitete, immer weiter verzögert. Auch die hitzigen Debatten zwischen Regierung und Opposition wurden mehrfach unterbrochen. Kurz vor Mitternacht trat Qaiser, der Khans Regierungspartei Partei Tehreek-e Insaf (PTI) angehört, überraschend zurück und machte den Weg für die Abstimmung frei.

Außenminister Shah Mehmood Qureshi sprach von einer ausländischen Verschwörung und forderte Geschlossenheit im Land. Den Vorwurf, dass die USA Khans Regierung stürzen wollten, hatte der Premier selbst in den vergangenen Tagen immer wieder geäußert. Beweise dafür lieferte er keine. Diese könnten der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden, weil sie als geheim eingestuft sind, erklärten Regierungsvertreter. Es war in der Debatte das Hauptargument, das Votum nicht abhalten zu wollen. Die USA wiesen jegliche Einmischung entschieden zurück.

Das Regierungsviertel in der Hauptstadt Islamabad war nach Einbruch der Dunkelheit von hunderten Sicherheitskräften abgeschirmt. Seit Tagen bereits waren wichtige Zufahrtsstraßen zum Parlamentsgebäude aus Sorge vor gewaltsamen Protesten mit Schiffscontainern blockiert.

Khans Wahlsieg 2018 hatte eine politische Zeitenwende in Pakistan markiert. Erstmals in der Geschichte des Landes war keine der beiden Polit-Dynastien, die PML-N rund um die Sharifs und die Pakistanische Volkspartei (PPP) rund um die Bhuttos, stärkste Kraft im Parlament. Es war Khans Partei, die nach den Enthüllungen der «Panama-Papers», die Hinweise auf Geldwäsche enthielten, den Obersten Gerichtshof dazu aufforderte, Untersuchungen gegen Nawaz Sharif aufzunehmen. Der Ex-Premier kam daraufhin wegen Korruption in Haft. Aber auch Khans Regierung wurde Vetternwirtschaft vorgeworfen.

Pakistan war mehr als die Hälfte seines Bestehens vom Militär regiert worden, das sich vier Mal an die Macht geputscht hatte. Manche Beobachter äußerten Befürchtungen, dass eine anhaltende Pattsituation es zum Eingreifen zwingen könnte. Andere hielten dies für unwahrscheinlich. Die Armee würde es vielmehr vorziehen, wenn die Zivilisten für die aktuelle wirtschaftliche Misere den Kopf hinhalten, schrieb etwa der Pakistan-Experte Michael Kugelman in «Foreign Policy».

Bildquelle:

  • Shehbaz Sharif: dpa

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