von RAINER STENZENBERGER
GRÜNHEIDE – Kein wirtschaftlicher Erfolg hält ewig. Nokia, Grundig, IBM – respektable Marken von Weltruf, entweder verschwunden oder in Nischen gelandet. Jeff Bezos erwartet selbst vom eigenen Unternehmen Amazon, dass es in wenigen Jahrzehnten nicht mehr existieren wird. Wo liegen mögliche Gefahren für Tesla?
Der Trend zur Elektromobilität ist dem globalen Megathema des Klimawandels zu verdanken. Ohne den Drang nach einem fossilfreien Antrieb würden E-Autos weder politisch noch gesellschaftlich derart gepusht werden. Es ist nicht auszuschließen, dass das Thema in Zukunft weniger alarmistisch behandelt und CO2 nicht mehr als das Übel schlechthin angesehen wird. Das könnte beispielsweise Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe begünstigen. Auf mittlere Sicht kann allerdings keine Technik dem überlegenen E-Antrieb das Wasser reichen, was hohe Effizienz und damit niedrigere Kosten für den Besitzer bedeutet.
In vielen Ländern wird der Kauf eines E-Autos subventioniert. Fallen diese irgendwann weg, dürfte dies die Nachfrage beeinflussen. Allerdings steht dem umgekehrt die Entwicklung des E-Autos als Massenprodukt gegenüber, was wiederum die Produktionskosten senken wird.
Die Ladeinfrastruktur – der enge Flaschenhals der Elektromobilität. Sollten die Ladesäulen nicht in gleichem Umfang ausgebaut werden wie die Verkäufe boomen, könnte dies zu frustrierenden Erlebnissen für die E-Fahrer führen. Auch die Kosten könnten insbesondere in Deutschland mit seinen explodierenden Strompreisen weiter steigen. Andererseits steigen die Preise für fossile Brennstoffe noch stärker, weshalb langfristig hier eher ein Vorteil für den Stromer zu erwarten ist – solange es ausreichend Möglichkeiten zum Laden gibt.
Momentan spricht zumindest auf mittlere Sicht alles für Tesla, gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Nach Angaben der Unternehmensberatung McKinsey dürfte Tesla das einzige Unternehmen sein, das aktuell bereits profitabel E-Autos herstellt. Die Gewinne im operativen Geschäft sind noch überschaubar (den größten Anteil nimmt nach wie vor der Verkauf von Umweltzertifikaten ein), aber sie sind vorhanden – im Gegensatz zur Konkurrenz, die im Durchschnitt 12.000 Dollar mehr für die Produktion eines E-Autos im Vergleich zu einem vergleichbaren Verbrenner aufwenden muss.
Seit Tesla zusätzlich zu den teuren High-End Modellen X und S mit dem Model 3 auch ein Mittelklassewagen anbietet, macht sich das in den Stückzahlen bemerkbar, inzwischen sogar auf dem umkämpften, deutschen Markt. So verkaufte Tesla im September mehr Model 3 Autos als die vergleichbaren Modelle von BMW, Daimler und Audi zusammen – nur der Golf lag noch um Haaresbreite vorn. In Europa allerdings belegte das Model 3 den ersten Platz in seiner Klasse bei Neuzulassungen.
Und das, obwohl in Europa keine nennenswerten Stückzahlen gebaut werden – das wird sich mit der Produktion in Grünheide nahe Berlin ändern, die schon zum Start pro Jahr mehr als 500.000 Fahrzeuge ausliefern soll. Die dann modernste Teslafabrik bedeutet in erster Linie einen Großangriff auf die europäischen Hersteller mit ihren Autos in der Kompakt- und Mittelklasse, denn hier sollen die entsprechenden Tesla Varianten von Model 3 und Model Y gebaut werden. Tesla setzt dabei in der Produktion auf allerneueste Technik. In Grünheide werden die weltweit größten Pressen der Industrie eingesetzt – während andere Hersteller versuchen, die Anzahl der Karosserieteile zu reduzieren, sind die Texaner schon mehrere Schritte voraus und fertigen die Karosserie aus einem einzigen Teil.
Angesichts des bisherigen Tempos und der damit einhergehenden Erfolge sollte Grünheide die Konkurrenz beunruhigen – und das tut sie auch. Die CEOs von VW und Mercedes haben mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den Vorsprung von Teslas einholen wollen und müssen. Auch Toyota hat angesichts Teslas Erfolge und eines weltweiten Trends zur E-mobilität den Kurs geändert. War man bis vor kurzem technologieoffen sogar mit einem Hang zu Wasserstoff als alternativem Antrieb, setzt man nun auch verstärkt auf Antriebe durch eine Batterie, wird mehr als 10 Mrd Dollar allein in Werke für Batterietechnik investieren.
Ansonsten sollte die Ansiedlung in Grünheide durchaus als Chance verstanden werden. In einem Model 3 stecken bis zu 30 Prozent deutscher Technik – das bedeutet Umsätze und Arbeitsplätze für hiesige Zulieferer. Und in den letzten Jahrzehnten ist die deutsche Automobilindustrie mit Konkurrenz im eigenen Land bestens zurechtgekommen, hat sie zu immer neuen Höchstleistungen angetrieben – ob in der Technik oder bei den Geschäftszahlen. Die Herausforderung dürfte dieses Mal allerdings noch größer sein, denn es geht nicht nur um einen neuen Antrieb, sondern die gesamte Mobilität steht vor einem disruptiven Wandel, der die Automobilbranche auf den Kopf stellen könnte. Weniger Menschen werden Autos besitzen, die wiederum zunehmend autonom fahren, die nachgefragten Features werden ganz andere als heute sein, die Vernetzung mit anderen Medien eine größere Rolle spielen, die Shareconomy wird neue Verkaufs- und Abomodelle hervorbringen und vieles mehr.
Tesla scheint für die neue, mobile Welt bestens vorbereitet zu sein. Insofern ist die Ansiedlung in Grünheide auch ein Glücksfall für Deutschland – nicht nur für die vielen lokalen Mitarbeiter, die Dienstleister vor Ort, die landesweiten Zulieferer, sondern auch für die Branche insgesamt. Aus der Wirtschaftsgeographie wissen wir, dass insbesondere enge räumliche Konkurrenz zur Innovation antreibt – vom Silicon Valley über norditalienische Schuhfirmen bis hin zum Ruhrgebiet hat sich immer gezeigt, dass der Austausch von Ideen und Personal am besten funktioniert, wenn die Entfernungen gering sind.
Daher kann die Nähe von Tesla ein befruchtendes Element für unsere noch immer exzellente Automobilindustrie sein – wenn die Unternehmen an Tempo zulegen.
Bildquelle:
- Tesla_Grünheide_Gigafactory: tesla