Dokumentationszentrum Vertreibung eröffnet: Frau Steinbach, warum waren Sie in Berlin nicht dabei?

Die langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach.

BERLIN – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am vergangenen Montag in Berlin-Kreuzberg das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ eröffnet. Gegenüb er des Anhalter Bahnhofs wird zukünftig zu allen Facetten der Themen Flucht und Vertreibung geforscht, diskutiert und natürlich dokumentiert. Bei der Festveranstaltung am Montag fehlte allerdings die Frau, ohne die es diese neue Einrichtung niemals gegeben hätte: die langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Sie ist heute Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. TheGermanZ sprach mit ihr.

Frau Steinbach, die Bundeskanzlerin hat Anfang dieser Woche in Berlin das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ eröffnet. Ohne Sie gäbe es das gar nicht. Uns fiel auf, dass Sie nicht dort waren zum Festakt. Hatten Sie einen anderen wichtigen Termin?

Sehr gerne wäre ich dabei gewesen. Nicht nur emotional, sondern auch faktisch ist ja das jetzt eröffnete Dokumentationszentrum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ mein Kind. Ohne mich gäbe es das nicht. Das sage ich nicht aus Überheblichkeit, sondern weil es ganz einfach so ist. Dieses Kind habe ich, wie seinerzeit die Mutter in der Bibel vor Salomon, lieber anderen Händen überlassen, anstatt es dem sicheren Tode zu weihen.

Leider habe ich keine Einladung nach Berlin erhalten. Dennoch freue ich mich unendlich, dass jetzt dieser elementare Teil deutscher Geschichte und Schicksale endlich einen Platz in der deutschen Hauptstadt gefunden hat.

Warum braucht Deutschland überhaupt so ein Zentrum? Es ist alles lange her, werden nicht jetzt wieder nur neue Gräben zu unseren osteuropäischen Nachbarländern aufgerissen?

Die Katastrophe der Vertreibung von fast 15 Millionen Deutschen mit allen nur denkbaren Grausamkeiten und Begleiterscheinungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist schmerzlicher und unauslöschbarer Teil unserer ganzen Nation. Die Opfer und ihre Nachfahren haben ein Anrecht darauf, dass ihr Schicksal, dem sie stellvertretend für alle Deutschen ausgeliefert waren, im nationalen Gedächtnis ein zu Hause finden.

Die menschliche und auch kulturelle Dramatik dieser größten Massenvertreibung der Menschheitsgeschichte läßt sich weder relativieren noch rechtfertigen. Auch nicht unter Hinweis auf „Ursache und Wirkung“, wie es in der deutschen Politik und in manchen unserer Nachbarländer gang und gäbe ist. Eine Entschuldigung dieser Art bewegt sich abseits jeglicher Menschenrechtsnormen. Jeder im Lande weiß, wer den Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Jeder im Lande kennt die Barbareien des nationalsozialistischen Deutschland und das grenzenlose Leid, das dadurch über Europa gekommen ist. Mein tiefes Mitgefühl gilt diesen Opfern.

Niemand aber wird mich, die ich im Deutschen Bundestag mehr als zehn Jahre für die Universalität von Menschenrechten gefochten habe, mit dem Argument von Ursache und Wirkung davon überzeugen, dass eine Barbarei die andere jemals entschuldigen oder gar rechtfertigen kann. Auch für deutsche Vertreibungsopfer gelten natürlich die Menschenrechte – unabdingbar, uneinschränkbar und unrelativierbar. Ihr Schicksal gehört deshalb in Solidarität in das kollektive Gedächtnis unserer Nation.

700 Exponate auf 1.300 Quadratmetern und zwei Stockwerken werden gegenüber der Ruine des Anhalter Banhnhofs in Kreuzberg gezeigt, darunter auch Fotos aus Flüchtlingsunterkünften damals. Für viele Parteien im Bundestag ein Anlass zu mahnen, dass Deutschland auch jetzt Flüchtlinge aus aller Welt aufnehmen müsse. Wie sehen Sie das?

Die Migrationsbewegungen heutiger Zeit lassen sich mit der gewaltsamen und konsequenten Massenvertreibung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße sowie aus dem südosteuropäischen Raum auch nicht ansatzweise vergleichen.

Heute kommen ganz überwiegend Menschen aus fremden Kulturkreisen nach Deutschland, die nicht vertrieben wurden, sondern zumeist freiwillig um ein besseres Leben zu suchen. Nur ein winziger Teil davon ist politisch verfolgt und darf nach unseren gesetzlichen Grundlagen Asyl erhalten.

Mit den Vertriebenen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts kamen aber Deutsche zu Deutschen. Sie sprachen dieselbe Sprache, gehörten derselben Volksgruppe und demselben Kulturkreis an. Es war und ist eine Verpflichtung, diesen Opfern der eigenen Volksgruppe einer gigantischen Völker- und Menschenrechtsverletzung solidarisch zur Seite zu stehen. Darüberhinaus ist jedes Land sogar verpflichtet, seine eigenen Bürger und Menschen aufzunehmen.

Zwei Jahrzehnte wurde mit harten Bandagen um das Dokumentationszentrum gerungen – und Sie als Initiatorin immer mitten im Getümmel. Polnische und tschechische Historiker haben die Stiftung unter Protestbekundungen verlassen – wegen Ihnen. Was hatten die gegen Sie?

Es gab ja nicht nur Gegner aus dem europäischen Ausland gegen das Vorhaben einer nationalen Gedenkeinrichtung, die in Berlin an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen erinnern sollte, sondern massivsten Widerstand aus der politischen Linken und der Grünen hier in Deutschland. Das reichte bis tief in die SPD hinein. Da nützte es auch nur bedingt, dass wir mit dem fabelhaften Peter Glotz und mit Otto Schily aktive sozialdemokratische Mitstreiter an unserer Seite hatten. Es waren Männer wie Markus Meckel, die in Polen sogar aktiv und engagiert Stimmung gegen dieses Vorhaben machten, ja geradezu aufhetzten.

Am unerträglichsten war den Gegnern, dass der Stiftungsgedanke und die ausgezeichneten konzeptionellen Planungen ausgerechnet vom Bund der Vertriebenen kamen. Und dass der Sitz in Berlin sein sollte. Für all das war ich als Person sowohl im In- als auch im Ausland die Reproduktionsfläche. Diese ganze, sich streckenweise im Absurden bewegenden Stellungnahmen haben Peter Glotz schließlich veranlaßt, in einer geharnischten Stellungnahme 2003 in der FAZ zu erwidern:

„Wir hätten den aufgescheuchten Schwarm von Historikern, Journalisten und Geschichtspolitikern ja nicht gehindert, schon vor Jahren ein Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen in Breslau, Görlitz oder Aussig zu gründen. Sie haben es nicht gegründet. Warum bringen sie uns, die dieses wichtige Thema aufgegriffen haben, in Zusammenhang mit Aufrechnungs-, Relativierungs- und Revanchismustendenzen(……..) Wir wollen kein politisch korrektes Gesäusel mehr. Wir wollen uns – gegen Ende unseres Lebens – nicht mehr verlassen, einschüchtern und durch taktisch gemeinte Erklärungen und Verträge täuschen lassen.“

Aber es gab sowohl auf deutscher als auch auf polnischer und tschechischer Seite Intellektuelle, die an unserer Seite standen, und halfen, das Projekt voranzutreiben.

Der Zweite Weltkrieg ist 76 Jahre vorbei, die meisten, die vertrieben wurden, leben heute nicht mehr. Wir haben die große Vision einer vereinten Europas, 28 Staaten, die nie wieder Krieg gegeneinander führen wollen. Nie wieder Flucht und Vertreibung wenigstens in diesem Teil der Welt. Warum muss man jetzt nochmal Öl ins Feuer gießen?

Die Reaktionen auf das jetzt eröffnete Vertriebenenzentrum zeigen, dass die Wogen sich inzwischen deutlich geglättet haben. So hoffe ich sehr, dass jetzt in den Schulen und Bildungseinrichtungen des In- und Auslandes ein Besuch dieses Dokumentationszentrums zur Selbstverständlichkeit wird und dass es auch für jeden Bundestagsabgeordneten selbstverständlich ist, seine Besuchergruppen in diese Einrichtung zu lenken.

Sie sind zweifellos die wichtigste Vertriebenenpolitikerin der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland, eine streitbare und überall bekannte Frau. Nach über 40 Jahren CDU-Mitgliedschaft, nach vielen Jahren als CDU-Abgeordnete im Deutschen Bundestag haben sie ihre Partei 2017 verlassen. Als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, nannten Sie ausgerechnet die Flüchtlingspolitik und offenen Arme von Angela Merkel. Heute sind sie Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, ohne Mitglied der AfD zu sein. Das Juste Milieu in Deutschland ist unbarmherzig mit Überläufern nach rechts. Haben Sie durch diesen Schritt nicht Ihre große Reputation für immer verspielt?

Man hat mir seinerzeit von wohlwollender politischer CDU-Seite bedeutet, dass es nicht karrierefördernd sei, BDV-Präsidentin zu werden. Diese Warnungen haben mich nicht daran gehindert, mich dieser Aufgabe anzunehmen. Heute leite ich aus Überzeugung die der AfD nahestehende Desiderius-Erasmus-Stiftung. Der Name ist Auftrag und kein Zufall. Erasmus von Rotterdam hat sich in einer Zeit des Übergangs behauptet und ist mir insofern Vorbild. Erasmus sah die Irrtümer seiner Gegenwart und suchte, ihnen abzuhelfen. Er erhob seine Stimme, um vor Fehlentscheidungen zu warnen und wies auf deren fatale Folgen hin. Er nahm die Feindschaft in Kauf, wenn es sich nicht abwenden ließ, gemäß seinem Wahlspruch:

„Von Schlechten verlacht zu werden, ist fast ein Lob“. In diesem Sinne fürchte ich nichts!

Das Interview mit Erika Steinbach führte Klaus Kelle.

Bildquelle:

  • Erika_Steinbach_3: erika steinbach

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.