BERLIN – Die Schriftstellerin Cora Stephan gehört zu den bemerkenswertesten dautschen Autorinnen unserer Zeit. In ihren Essays, Sachbüchern und Kolumnen leistet sie sich etwas, was im deutschen Literaturbetrieb selten geworden ist, nämlich eine Meinung, die sie losgelöst vom Hemmschuh der alles lähmenden Political Correctness schreibt und sagt. In ihrem aktuellen Bestseller preist sie den „Lob des Normalen“. Darüber sprachen wir mit ihr.
Liebe Cora, Sie haben ein Buch geschrieben über Deutschland. Über das Deutschland, das es mal gab. Und das, was manche heute Deutschland 2.0 nennen – bunt und vielfältig und völlig irre. Warum haben Sie sich dieses Themas angenommen?
Mich hat das Gerede vom „Neuen Normal“ irritiert. Für die meisten Menschen gilt immer noch das alte Normal – und das ist eher nicht woke oder bunt und vielfältig, hat sich aber in der Panikpandemie durchaus bewährt: In Gefahr neigen Menschen dazu, sich zusammen- und abzuschließen, sich auf das Nächste und die Nächsten zurückzuziehen und sich an dem zu orientieren, was verlässlich ist – und was sich bewährt hat. Normal ist das, was man nicht erklären muss, auf das man sich verlassen kann. Normal ist alles, was Orientierung schafft. Das ist nicht sonderlich aufregend, aber es hat in Zeiten, in denen sich das Vertraute aufzulösen scheint, etwas ungemein Beruhigendes.
Sie beschäftigen sich mit vielen Entwicklungen unserer Zeit. Wenn ich durch die Kapitel streife, dann scheinen mit Familie, Heimat, die massenhafte Migration und der Betroffenheitskult die tragenden Elemente zu sein. Fangen wir also an: Wie relevant ist Familie für die Fortentwicklung unserer Gesellschaft, abseits der reinen Reproduktion?
Es ist schon seltsam, wie skandalös es ausgerechnet Sozialdemokratinnen fanden, dass in der Krise sich viele Frauen wieder mehr den Kindern und dem Häuslichen zuwandten. Die Damen scheinen übersehen zu haben, dass das nicht erst dank Corona gilt. Offenbar setzt bei ihnen angesichts derlei „geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung“ die sonst so gepriesene Toleranz aus. Jeder Lebensentwurf wird als bunt und divers gefeiert, nur die ganze Sache mit der heterosexuellen Kleinfamilie gilt als irgendwie „reaktionär“. Weil die Frauen in die Politik oder in irgendeinen Vorstand gehen sollen? Sie sollen, aber sie wollen nicht so, wie sie sollen. Ob das die feministischen Streiterinnen für die eigene Karriere nicht langsam mal zur Kenntnis nehmen könnten? Ehe und Familie sind eine Form von Solidarität und ein Bereich, in den der Staat nicht reinregieren darf, und wenn er es noch so gern möchte. Schwule und Lesben haben das für sich entdeckt. Was sagt uns das?
Sie schreiben im Familienkapitel über Sex, die Ehe für Alle und toxische Männer. Klingt erst einmal nicht nach dem „Glück des Bewährten“, wie es auf dem Buchcover steht…
Das Gendern sexualisiert die Sprache. Einerseits behaupten feministische Aktivisten, Geschlecht sei bloß ein soziales Konstrukt. Andererseits beschäftigt man sich geradezu obsessiv damit. Dabei geht das ganze sprachverhunzende Getue auch den Frauen mehrheitlich am Allerwertesten vorbei. Und das Gerede von den toxischen alten weißen Männern ist derart menschenverachtend, dass es mich einigermaßen erschreckt, wie viel Applaus spätpubertierende Quietscheentchen dafür bekommen. Hier wird ein einst wichtiger Kampf vollends zur Farce.
Heimat – das ist für uns alle etwas höchst Individuelles. Der eine denkt an die Erbsensuppe, die es vor Jahrzehnten mittags bei der Oma immer gab, der andere denkt an den ersten schüchternen Kuss in der Ecke auf dem Pausenhoff oder den ersten gemeinsamen Urlaub auf Norderney. Ich fahre immer alle zwei Wochen samstags hin und zurück 400 Kilometer zu den Spielen meines heimatlichen Bundesligaclubs. Nicht weil der so erfolgreich ist, sondern weil es jedesmal ein tiefes Eintauchen in meine glückliche Jugend ist. Aber was soll denn Heimat für die Gesellschaft insgesamt bedeuten? Viele Bürger denken doch heute globalistisch…
David Goodhart, ein intelligenter britischer Linker, hat das mit der „globalistischen“ Denke in seinem famosen Buch „The Road to Somewhere“ (das es mittlerweile in einer exzellenten deutschen Übersetzung gibt) fein auseinandergenommen. Es ist ein Gerücht. Die Mehrheit der Menschen ist noch immer verankert, selbst in Deutschland, wo es dank Flucht und Vertreibung viele mit Entwurzelungshintergrund gibt. In der Coronakrise hat sich überdies gezeigt, dass es nicht viel nützt, alle Flughäfen der Welt zu kennen, wenn man sie nicht ansteuern darf. Wer sich nicht sonderlich heimatverbunden fühlt, bezieht sich normalerweise auf den Nationalstaat, der Rechtssicherheit und Sozialstaatlichkeit garantiert. Gerade Fußballfans haben übrigens selten Probleme damit, die deutsche Fahne zu schwingen. Das ist wohl eher das Problem der Kanzlerin.
5Wenn man über die Fehlentwicklungen dieser Gesellschaft nachdenkt, dann kommen zumindest mir oft Zweifel, ob wir unser altes, gemütliches, langweiliges Deutschland jemals zurück bekommen werden. Oder ob das einfach eine immer blasser werdende Erinnerung ist…
Es geht mir nicht um „Zurück“, und mir ist auch gar nicht nostalgisch zumute. Es geht um das, was 1990 so großartig begonnen hat: um die Neugründung eines Landes, das nicht nur eine tiefschwarze Vergangenheit hat, sondern mit seiner gewachsenen Bevölkerung eine beinahe unschlagbare Ressource hätte, wenn ihr nicht mit einer zunehmenden Bürokratisierung, dem Irrtum der sogenannten „Energiewende“, der unkontrollierten Zuwanderung in den Sozialstaat und von einer zum Totalitären neigenden Kanzlerin das Leben schwer gemacht würde. Die zunehmende Liebe der Politik zu Identitätspolitik, also dem Päppeln lautstarker Miderheiten, spaltet das Land – divide et impera hieß das früher. Und die Medien helfen dabei. Es geht nicht um ein Zurück zu einem Zustand der Gemütlichkeit, den hatten wir seit Jahrzehnten nicht, sondern um das Ende einer Politik, die dem Land bislang unendlich viel Schaden zugefügt hat.
Das Gespräch mit Cora Stephan führte Klaus Kelle.
Ihr aktuelles Buch heißt „Lob des Normalen“ und ist erschienen im FinanzBuch Verlag .
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- Cora_Stephan: cora stephan