BERLIN/CHINA – Das waren noch Zeiten, als die Deutschen den Chinesen halfen, die Sowjetunion abzuhören! Lange schon haben sich die Verhältnisse umgekehrt, und die Volksrepublik China zieht heutzutage mit den Rechtsnachfolgern der UdSSR am selben Strang, wenn es darum geht, Deutschland nach Strich und Faden auszuspionieren. Und natürlich auch etliche andere Länder Europas. Die größten „Troll-Fabriken“ mögen in Russland stehen, aber bei den wirklich wertvollen Coups liegt Peking weit vorne, ohne dabei so aufzufallen wie die Russen. Man konzentriert sich höflich und klug auf die obersten zehn Prozent der Industriespionage und auf die indirekte Medienbeeinflussung.
Mehr als Spionage
Klassische Spionage und Desinformation sind nur die Spitze des Eisbergs. Gerade die VR China hat – von den meisten Europäern unbeachtet – längst eine völlig neue Stufe der Beeinflussung und Infiltration erreicht. Die Konsequenz und Flexibilität ihres Vorgehens würde Anerkennung verdienen, wenn es nicht um Angriffe auf unser Land ginge. Die Wirksamkeit chinesischer Einfluss-Operationen ist inzwischen so groß, dass selbst die Enthüllung von Skandalen kaum mehr Tiefen- und Dauerwirkung erzielt.
Wer denkt – nur zum Beispiel – noch daran, dass vor gar nicht so langer Zeit, noch unter Corona-Bedingungen, enthüllt wurde, wie die Volksrepublik in ganz Europa illegale Polizeistationen unterhält, deren Hauptaufgabe die Beobachtung und Verfolgung chinesischer Dissidenten im Exil und die Kontrolle chinesischer Studenten und Wissenschaftler im Ausland ist? Man darf annehmen, dass sie darüber hinaus noch viele andere „nützliche“ Dienstleistungen erbringen. Aber hat das aufgehört? Und schert sich noch irgendjemand darum?
Layer Cake der Einflussnahme
Es passiert immer das Gleiche: Eine chinesische Propaganda- oder Spionage-Maßnahme wird enttarnt. Es gibt verhaltenes diplomatisches Räuspern im Hintergrund. China modifiziert seinen Eingriff und lässt zugleich seine Einflussagenten in Politik und Medien wirken. Und nach durchschnittlich sechs Wochen ist die Sau durchs Dorf getrieben und alles kann von vorne beginnen. Das ist nur möglich, weil die chinesische Wirkung auf Öffentlichkeit und Social Media so groß ist. Dabei gibt es mehrere Ebenen:
1. Influencer
Eine Unzahl von gekauften und sogar freiwilligen Influencern füttert Tag für Tag das Internet mit pro-chinesischen Halbwahrheiten. Da werden Reiseberichte aus Xinjian kolportiert, in denen nur saubere Wohnviertel, pünktliche Züge, glückliche Uiguren und schöne Landschaften vorkommen. Ab und zu erscheint ein Bericht, der in unschuldigem Ton ein „Gerücht“ über Unterdrückung und Verfolgung in China zu widerlegen scheint, ganz nebenbei. Und auch das völkerrechtswidrige Vorgehen der VR China im südchinesischen Meer wird mit hanebüchenen, aber gut verpackten Geschichtsklitterungen gerechtfertigt.
Eine unlängst veröffentlichte Online-Umfrage unter Influencern brachte das wenig überraschende Ergebnis: Die meisten gaben sich naiv und wiesen den Gedanken weit von sich, etwa für chinesisches Geld zu arbeiten. Verbissen werden sie nur, wenn „der Westen“ und besonders die USA angeklagt und verunglimpft werden müssen. Da kommt auf einmal jede Menge anti-westliches Ressentiment hoch.
2. Nützliche Idioten
Über die „Konfuzius-Institute“ und die Auslandsvertretungen Chinas werden zahlreiche offizielle Einladungen an Forscher und Jungwissenschaftler vermittelt. Aktiv ist man auch hinter jenen her, die nicht mehr aktiv sind, von abgehalfterten Politikern bis zu pensionierten Bundeswehr-Offizieren. Bei allen Kooperationsformaten wird erst großzügig gefördert, dann kleinlich gefordert: Wohlverhalten, Informationen, Beteiligung an Einflusskampagnen. Auch das war mehrfach in den Medien, hat zu leichter Aufregung von geringer Dauer geführt, schaffte besorgte Stellungnahmen und kaum Abhilfe. In der Sache geht es einfach immer weiter. Die chinesische Auslandsspionage ist ein lernender Organismus.
3. Linke Nostalgiker
Und schließlich hat die Volksrepublik China einen unschätzbaren Vorteil, einen, über den niemand nachdenkt: Es gibt allen wohlfeilen Redensarten und allen bemühten Recherchen über Menschenrechte in China zum Trotz in den deutschen Medien so eine Art Grund-Sympathie – nicht für China, aber für die Volksrepublik. Das ist eine Erblast der Alten Linken, deren Zöglinge unsere Medienlandschaft bevölkern. Ihre geistige Ahnen und Vorbilder hatten noch mit „Mao-Bibeln“ demonstriert und an wirklich jedem kommunistischen Experiment etwas Tolles gefunden, mochte es auch noch so grausam und blutrünstig gewesen sein. Diese Haltung ist aus der Versenkung wieder aufgetaucht; heute segelt man unter einer „de-kolonialen“ Flagge. Und außerdem sind die chinesischen Kommunisten irgendwie gegen Trump, sie müssen also, „bei allen Fehlern“, doch irgendwie gut sein.
Nur eine Fußnote dazu sind die vielen Reisen sozialdemokratischer Delegationen zu KP-Parteitagen und Jubelfeiern in Peking. Die gelten praktisch allen Beobachtern nur noch als harmlose politische Folklore. Honi soit qui mal y pense…
Xi Jinpings Ceterum censeo
Aber es gibt noch ein anderes Thema, das viel Aufmerksamkeit und Phantasie der chinesischen Einflussagenten bindet: Das Thema Taiwan. Die 23 Millionen Einwohner des kleinen Inselstaates beweisen Tag für Tag, wie gut das zusammenpasst: chinesische Kultur und freie Gesellschaft. Nichts ärgert die KP in Peking mehr als das.
In Taiwan, das offiziell „Republik China“ heißt und dessen Staatlichkeit als Republik 1912 in Nanjing begann, lange vor der Gründung der „Volksrepublik“, ist man seit Jahrzehnten an alle denkbaren Formen der Infiltration, Einschüchterung und Beeinflussung gewöhnt. Dort spricht man von „Cognitive Warfare“. Es geht „um die Herzen und Hirne“ der Menschen, und leider ist man auch in Taiwan nicht immun gegen die Einmischungen aus Peking. Das Land ist zu gespalten und politisch zerrissen, um effizient dagegen zu halten. Auch in Taiwan gab es das Problem der Beamten und Militärs, die auf einmal im Ruhestand Geld auf dem chinesischen Festland verdienten, bis neue Regeln das Phänomen eindämmten. Allerdings verfügt man in Taiwan über eine Unmenge an praktischen Erfahrungen im Umgang mit Einflussagenten, Desinformationskampagnen und „Cyber-Warfare“.
Im Falle Taiwans kommt auf internationaler Ebene noch eine chinesische Art des „Lawfare“ hinzu, also die Instrumentalisierung völkerrechtlicher Strukturen. Die VR China drängt Taiwan konsequent aus multilateralen Organisationen hinaus. Die Vereinten Nationen sind dabei Wachs in den Händen des Regimes in Peking. Die kreative Nutzung von Regeln und rechtlichen Verfahren ist eine Spezialität Pekings, das in den letzten Jahren seine Präsenz und seinen Einfluss in UNO-Gremien massiv ausgebaut hat. Und wo immer die USA unter Trump eine Tür zuschlagen und ein Gremium verlassen, stößt China nach und besetzt die Position.
Laissez faire…?
Lawfare, Cyber-Warfare, Cognitive Warfare, klassische nachrichtendienstliche Operationen und – an vorderster Front – TicToc und seine Social-Media-Hörigen… Nichts davon ist unbekannt, kaum etwas ist neu. Es gibt auch immer wieder Konferenzen zu diesen Themen. Aber wenn – wie in der vergangenen Woche in der taiwanischen Vertretung in Berlin – auf die Analyse die Frage folgt: Reagieren wir denn darauf? Und in welcher Art und Weise? Sind wir dem Problem gewachsen und haben wir eine Strategie im Umgang damit? Dann lautet die Experten-Antwort bisher immer: Nein. Nicht im Geringsten!
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