von MARK ZELLER
DUISBURG – Ruhrpott-Mentalität bedeutet: Bedingungsloser Einsatz zahlt sich immer aus, auch wenn man manchmal dafür Geduld braucht. Und so ist auch der riesige Geduldsfaden der hiesigen Fußballgemeinde stabil genug, um zu einem guten Ende zu führen: Bernard Dietz, die Verkörperung des „Einer von uns“ ist heute zum Ehrenspielführer der Nationalmannschaft“ ernannt worden – gut 45 Jahre, nachdem der heute 77-Jährige sie als Kapitän zum Europameistertitel geführt hatte. „Diese Ehrung für Dich ist längst überfällig“, betonte denn auch Jürgen Klinsmann bei der feierlichen Zeremonie im Rahmen der Tagung des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt.
Dietz ist damit der siebte DFB-Ehrenspielführer, neben Fritz Walter, Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Klinsmann, Philipp Lahm und Uwe Seeler. Bereits gestern hatte das Deutsche Fußballmuseum die MSV Duisburg-Legende in seine „Hall of Fame“ aufgenommen. Heute geht es für Dietz aber erstmal zügig zurück in die Heimat, denn am Abend spielt „sein“ Verein gegen Waldhof Mannheim. Und bei der geplanten Ehrung in der Halbzeitpause wird das volle Stadion ihm sicherlich einen prickelnden Rahmen bereiten.
Reichlich Trubel also um einen, der sich nie ins Rampenlicht gedrängt hat. Ein typischer Dietz-Satz: „Wenn ich besonders gelobt wurde, war mir das immer ein bisschen unangenehm gegenüber meinen Mannschaftskameraden, denn ohne die hätte ich auch nichts erreicht.“ Doch bei seiner sportlichen Vita rückte der gelernter Schmied zwangsläufig auf die große Bühne: 53 Mal stand er seinen Mann für die Deutsche Nationalmannschaft, fast 500 Mal lief er in der Bundesliga auf, allein zwölf Jahre lang im Dress der „Zebras“, die die Presse seinerzeit als „MSV Dietzburg“ betitelte. Als Verteidiger erzielte er 77 Tore in der höchsten deutschen Spielklasse – ein bis heute einsamer Rekord für einen Defensivspieler. Gleichzeitig wurde er in weit über 600 Pflichtspielen auf höchstem Niveau nie des Feldes verwiesen.
Für die Gestreiften aus dem Duisburger Malocher-Stadtteil Meiderich wurde der Junge aus Bockum-Hövel die prägende Figur, vertrat er doch mit seinen Tugenden geradezu paradebeispielhaft die Werte einer ganzen Region, die es immer wieder schaffte, unter widrigsten Bedingungen zu bestehen. Als jüngstes von neun Geschwistern schwärmte er immer von seinem Elternhaus, „in dem wir zu Fleiß, Ehrlichkeit und Bescheidenheit erzogen wurden“. Und genau das brachte Bernard Dietz Woche für Woche auf den Platz. Und da er „nebenbei“ auch noch ein richtig guter Fußballer war, brachte er es in die Weltspitze.
Mit ihm vorneweg erlebte der MSV – immerhin Deutscher Vizemeister 1964, aber hernach im Konzert der Großen zunehmend in die Rolle des Underdogs gedrängt – in den Siebzigern eine goldene Ära. Favoritenschreck in der Bundesliga, Pokalfinale, zweimal Europacup, 1979 sogar bis ins Halbfinale, und dabei zahllose Fußballfeste in der heimischen Wedau. Eines der Größten: Ein 6:3-Sieg gegen Bayern München im November 1977, wozu Dietz vier(!) Treffer beisteuerte, und das in einer besonderen Defensiv-Rolle: als Bewacher eines gewissen Karl-Heinz Rummenigge. Später, in Schalke, wuchs unter seinen Kapitäns-Fittichen das „Wunderkind“ Olaf Thon zum gestandenen Bundesliga-Spieler heran, um 1990 Weltmeister zu werden. Als erfolgreicher Trainer bewies er später über viele Jahre hinweg ein besonderes Gespür für den Aufbau von Talenten.
Eine herausragende Rolle nahm Dietz aber auch beim (Wieder-)Aufbau der Nationalmannschaft nach der missratenen WM 1978 ein. Als neuer Kapitän beschwor er einen besonderen Teamgeist einer Truppe voller starker Persönlichkeiten wie Toni Schumacher, Uli Stielike, Horst Hrubesch oder Bernd Schuster, die sich mit ihm als Kopf zu einer eingeschworenen Gemeinschaft entwickelte. Ergebnis: Eine bis heute ungebrochene Rekord-Serie von 23 Spiele ohne Niederlage, mit dem Höhepunkt des Gewinns der Europameisterschaft 1980.
Aber bei allen beeindruckenden sportlichen Bilanzen sind es vor allem die zahllosen liebenswerten Anekdoten auf und außerhalb des Platzes, die den Legenden-Status von „Ennatz“ begründen. Stellvertretend dafür ein paar typische „Ennatz“-Geschichten, die der Autor dieser Zeilen in eigener Anschauung erlebt hat: Selbst bei seinem großen Abschiedsspiel nahm Dietz sich kaum Zeit, um die stehenden Ovationen des Publikums zu genießen. Vielmehr war er damit beschäftigt, sich den ihn umringenden Kinder zu widmen – und wurde so zum wahrscheinlich einzigen Fußballer, der seine Ehrenrunde mit Autogrammschreiben verbrachte.
Als auf der Rückfahrt von einem weiten Auswärtsspiel ein paar MSV-Fans zu später Stunde Halt machten, staunten sie nicht schlecht, als Dietz den Rasthof betrat. Das Erstaunen wurde zur sprachlosen Verblüffung, als der damalige Chef-Coach ihnen ein Bündel Geldscheine in die Hand drückte mit den Worten „Hier, holt euch was, ein Dankeschön von der Mannschaft für eure Unterstützung.“ In Wahrheit hatte „Ennatz“ die „Spende“ vorher aus seiner eigenen Tasche gezogen. Und als zu seinem 70. Geburtstag eine Duisburger Fan-Delegation den Jubilar mit einem Hausbesuch im fernen Drensteinfurt überraschte, verhinderte nur die unmittelbar anstehende auswärtige Feierlichkeit, dass er die rund 20-köpfige Truppe spontan in sein Haus einlud.
Kein Wunder also, dass Dietz auch fast 40 Jahre nach Ende seiner aktiven Spieler-Laufbahn noch überall riesige Wertschätzung zuteilwird. Aber am wohlsten fühlt er sich immer noch in seinem „Wohnzimmer“ Wedau, wo er heute Abend – wie immer – am Start ist, wenn seine „Zebras“ die Tabellenführung verteidigen wollen. Das dürfte zwar kein Selbstläufer werden, denn der letzte MSV-Sieg gegen Mannheim liegt schon 23 Jahre zurück. Doch im Zweifel hilft heute sicher der damalige MSV-Trainer. Sein Name? Bernard Dietz.
Bildquelle:
- Bernhard_Dietz_MSV: sid
