Gegenwind in Köpenick: Ex-SED-Finanzjongleur Gysi hat plötzlich ernste Konkurrenz

Er rettete Teile des SED-Vermögens in die neue Zeit: Gregor Gysi.

von DIETRICH KANTEL

BERLIN – „Wozu braucht man eine Briefkastenfirma mit einem Scheindirektor?“ So fragte Gregor Gysi, Rechtsanwalt, Abgeordneter, Ex-Parteivorsitzender und Talkshow-Dauergast zornig bei Anne Will. Thema waren die „Panama Papers“ und Geldwäsche über Briefkasten- und Scheinfirmen. Wer sein Geld verheimliche, so Gysi, habe keine ehrenwerten Gründe. Ob er, der in Berlin-Köpenick erneut für den Bundestag kandidiert, dabei an seine eigene Geschichte gedacht hat? Die könnte ihm auf die Füße fallen. Denn er bekommt bei der Bundestagswahl im September in „seinem“ Wahlbezirk jetzt erstmals echte Konkurrenz: Die fünffache Olympiasiegerin Claudia Pechstein tritt gegen ihn an. Für die CDU. Da treffen Welten aufeinander.

Letzter Vorsitzender der SED und das SED-Vermögen

9. Dezember 1989: Rechtsanwalt Gysi wird in der endenden DDR Vorsitzender der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED). Sieben Tage darauf Sonderparteitag: Parteiname jetzt „SED – Partei des demokratischen Sozialismus“ (SED-PDS). Da sorgt er dafür, dass die Partei nicht aufgelöst wird. Er rettet für die Genossen 44.000 (!) Arbeitsplätze der SED-Angestellten und das gesamte Parteivermögen.

Nach Aufforderung der DDR-Volkskammer deklarierte Gysi das Parteivermögen per 31.Dezember 1989 mit 6,1 Milliarden DDR-Mark. Bestände auf Auslandskonten wurden verschwiegen, Sacheigentum an Betrieben und Immobilien wertmäßig verschleiert. Deren Wert wurde mit nur 642 Mio. DM angegeben. Unabhängige Quellen taxierten den Wert dagegen auf zehn Milliarden D-Mark. Zeitgleich organisierte es die unter Gysi eingerichtete „Arbeitsgruppe zum Schutze des Vermögens der SED-PDS“ breit gestreut Unternehmensanteile, Spenden und Kredite von rund 160 Unternehmen an Parteigenossen zu vergeben. Dazu die Untersuchungskommission des Deutschen Bundestages im Jahre 2006: „…die SED-PDS verfolgte eine Strategie der Vermögensverschleierung“.

Affäre „PUTNIK“ in Moskau – 107 Millionen

Unter Gysi beauftragte das Parteipräsidium im Jahr 1990 Funktionäre damit, weiteres Parteivermögen ins Ausland zu transferieren mit dem Ziel, diese Gelder der Bundesrepublik Deutschland zu entziehen. Dafür wurden diverse Auslandskonten eingerichtet. Es ging um einen Betrag von 107 Millionen DM. „Unterstützt“ durch die KPdSU sollte das Moskauer Unternehmen „PUTNIK“ angebliche Altschulden in Rechnung stellen. Belege sollten fingiert werden für Augenbehandlungen von Gaststudenten, die Errichtung eines Zentrums der Internationalen Arbeiterbewegung sowie für die Ausbildung von Studenten in der Dritten Welt. Fingierte Mahnungen wurden zurückdatiert. Die SED-PDS-Verantwortlichen, zuvorderst der Chef der Parteifinanzen Wolfgang Langnitschke, veranlassten dann entsprechende Zahlungen auf Konten in den Niederlanden und in Norwegen.

Nachgewiesen reiste Gysi zu dieser Zeit auch nach Moskau, um dafür zu sorgen, dass die KPdSU den Deal mit PUTNIK „befördere“. Diese Art anrüchiger Unterstützung versagte ihm die KPdSU: Unter Gorbatschow legte man in Moskau inzwischen Wert auf Ansehen im Ausland.

Aufmerksame Banken sperrten die Beträge auf den Konten und informierten im Oktober 1990 das Bundeskriminalamt (BKA). Gysi war noch immer Parteivorsitzender. Dazu stellte die Untersuchungskommission des Bundestages später fest, Gysi habe in Moskau versucht, die KPdSU „zur Aufrechterhaltung der Legende hinsichtlich bestehender Altforderungen zu bewegen“. Um sich selber aus der Schusslinie zu nehmen beschlossen Gysi, Partei-Ehrenvorsitzender Modrow und Vize Brié, dass nur Finanzchef Langnitschke und ein weiterer Funktionär die Verantwortung für den fehlgeschlagenen Deal trügen.

Tod am See

In Deutschland ermittelte das BKA und in Moskau folgte ein Prozess gegen PUTNIK. In beiden Verfahren wurden weitere Transaktionen und deren Versuche unter der Ägide von Gysi aufdeckt. Im späteren Untersuchungsausschuss des Bundestages hatten die Zeugen Gysi, Brie und Bisky die Aussage verweigert. Aber Ex-Finanzchef Langnitschke hatte ausgepackt. Als er nochmals als Zeuge vorgeladen war, konnte er nicht mehr befragt werden: Er verunglückte unter ungeklärten Umständen bei einem Verkehrsunfall am Luganer See.

Das ehemalige SED-Vermögen – soweit es aufgedeckt war – wurde letztlich von der Treuhand beschlagnahmt. In einem Vergleich verzichtete die SED-PDS auf Altvermögen von 1,8 Mrd. DM. Unzählige Transaktionen konnten nicht rekonstruiert werden. Darüber hinaus konnte die Treuhand weitere 1,16 Mrd. DM an Vermögen sicherstellen. Der Verbleib von Parteivermögen im hohen zwei- bis zu dreistelligen Millionenbereich liegt dagegen bis heute im Dunkeln.

Eine Olympionikin tritt an

In Gysis Wahlkreis in Köpenick tritt im September Claudia Pechstein an, wo sie auch wohnt. CDU gegen LINKE. Die fünffache Olympiasiegerin ist politisch unbeleckt. Mit endlos vielen Welt-, Europa- und Nationalmedaillen ist sie aber wohl die erfolgreichste Sportlerin Deutschlands aller Zeiten. Nicht einmal CDU-Mitglied, ist sie der Union jedoch verbunden, seit sie 2004 in der Bundesversammlung für die Union als Wahlfrau fungierte.

„Ich weiß, wie man Wahlen gewinnt“, ließ sich die Eisschnellläuferin, die im Laufe ihrer Karriere zahlreiche Publikumspreise gewann, bei ihrer Nominierung zitieren. Auch wie man Krisen durchsteht, hat sie bewiesen. Jahrelanger Kampf gegen eine Dopingsperre. Sportgerichtlich wurde ihr durchaus fragwürdig mitgespielt, neueste medizinische Untersuchungsmethoden als „verspätet“ abgewiesen. Vom Europäischen Gerichtshof erhielt sie „wegen Versagung rechtlichen Gehörs“ ganze 8.000 Euro Schadenersatz. Aktuell liegt ihr Fall beim Bundesverfassungsgericht. Dort wird entschieden, ob sie das Recht hat, vor einem deutschen Zivilgericht auf Schadensersatz zu klagen, obwohl sie sich der Sportgerichtsbarkeit unterworfen hat. Dies wird den Sportlern abverlangt, um das Startrecht an Wettkämpfen zu erhalten.

Längst steht fest, dass eine vom Vater ererbte Blutanomalie die auffälligen Dopingtests erklären. Die 49-Jährige will sich nun auch für die nächsten Olympischen Winterspiele, im Februar 2022 in Peking, qualifizieren. Es wären ihre achten. Womöglich sogar als gewählte Abgeordnete. Beides wäre einzigartig in der Welt.

Dem Land und den Menschen was zurückgeben

„Als ich während der Unrechtssperre am Boden lag, habe ich unglaublich viel Unterstützung von den Menschen in unserem Land erfahren. Davon möchte ich jetzt gerne etwas zurückgeben“, beschreibt sie ihre Motivation, zu kandidieren. Und: „Wir waren einmal eine Sportnation. Das sind wir schon lange nicht mehr.“ Sie wolle sich als Abgeordnete für Themen engagieren, zu denen sie fachlich etwas beisteuern könne, sagt Pechstein.

Ihre Chancen stehen nicht schlecht. Auf der Berliner Landesliste ist sie auf Position sechs gut platziert. Vielleicht schafft sie sogar das Direktmandat. Denn gegen Gysi bröckelte es zuletzt analog zur Sterblichkeit der alten SED-Gefolgschaft. Erstimmen Gysi: 44,8% (2009) – 39.9% (2017). Zweitstimmen LINKE: 33,7% auf 25,1%. Der Abstand zu den CDU-Zweitstimmen betrug zuletzt nur noch 4,9 Prozent. Und wer weiß, wie bedeutend der Aspekt der sportlichen Sozialisation in der früheren DDR war, der eigentlich einzigen Erfolgsstory des verblichenen Staates, der weiß: Es könnte spannend werden in Treptow-Köpenick.

Bildquelle:

  • Gregor_Gysi_Linke_3: venedey, gysi, höfler

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