GERMANWINGS-ABSTURZ Ein Vater gegen alle: „Mein Sohn war nicht depressiv“

Günter Lubitz: «Wir haben den Tag nicht gewählt, um die Angehörigen zu verletzen.» Foto: Michael Kappeler

Berlin/Haltern – Mit provokanten Aussagen am Jahrestag der Germanwings-Katastrophe hat die Familie des Todespiloten Andreas Lubitz neue Wunden gerissen. Hinterbliebene der Opfer reagierten verärgert, die Fachwelt wies die erhobenen Vorwürfe gegen die offiziellen Ermittlungen zurück.

Für die Behörden steht weiterhin fest: Der Copilot hat die Germanwings-Maschine mit 150 Insassen vor zwei Jahren vorsätzlich gegen einen Felsen gesteuert.

Günter Lubitz, der Vater des Copiloten, erklärte in Berlin hingegen, alle Ermittlungsbehörden hätten sich «auf einen an Depressionen erkrankten Menschen konzentriert und andere Aspekte vernachlässigt». Es sei nicht erwiesen, dass sein Sohn den Jet absichtlich ins Felsmassiv gelenkt habe. «Wir sind auf der Suche nach der Wahrheit.»

Diese Aussagen ausgerechnet am zweiten Jahrestag der Katastrophe wurden von Opfer-Vertretern als „Affront“ und „geschmacklos“ bezeichnet.Die kritisierten Ermittler im In- und Ausland wiesen die Vorwürfe vehement zurück – ebenso die Pilotenvereinigung Cockpit. Auch die Bundesregierung erklärte, sie habe keine Zweifel an den bisherigen Ermittlungsergebnissen.

Flugunfallexperte Tim van Beveren hat sich im Auftrag der Familie Lubitz mit dem Unglück am 24. März 2015 in den französischen Alpen befasst. Er zählte am Freitag eine Reihe von Details auf, mit denen er Vorgehen und Rückschlüsse der offiziellen Ermittler infrage zog: «Man kann nicht einfach so sagen: «Andreas Lubitz ist schuldig.»»

«Wir müssen damit leben, dass er in den Medien als depressiver Massenmörder dargestellt wurde und noch wird», sagte Günter Lubitz. Doch betonte er: «Unser Sohn war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv.» Dies hatten die Ermittler in ihrem Abschlussbericht zum Unglück aber auch nicht behauptet. Allerdings waren sie von psychischen Problemen des 27-Jährigen ausgegangen.

Dem Abschlussbericht der Behörden zufolge hatte er den Flugkapitän vor dem Aufschlag der Maschine aus dem Cockpit ausgesperrt. «Es gibt für uns keinen Anlass, an der Art und den Ergebnissen der Unfalluntersuchungsbehörde zu zweifeln», teilte am Freitag das Bundesverkehrsministerium mit. Auch die Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung wies die gegen ihre Behörde erhobenen Vorwürfe in aller Form zurück. Die Pilotenvereinigung Cockpit sieht die Kritik am Abschlussbericht ebenfalls als unberechtigt an: «Da sind bei unseren Experten bisher (…) keine Fragezeichen geblieben.«

Der Flugexperte van Beveren hingegen sprach von Vorverurteilung und Spuren, die nicht verfolgt worden seien. Es sei nicht klar erwiesen, wer zum Zeitpunkt des Absturzes der Germanwings-Maschine vor zwei Jahren im Cockpit gesessen habe. Möglicherweise habe es am Jet Probleme mit der Cockpit-Verriegelung gegeben, behauptete er. Er habe Informationen erhalten, dass sich eine Crew dieses Jets einmal selbst ausgesperrt habe. «Es ist nicht untersucht worden.»

Die französische Flugunfall-Untersuchungsbehörde BEA bleibt aber bei ihrer Einschätzung, dass der Copilot Lubitz zum Zeitpunkt der Germanwings-Katastrophe im Cockpit war. Die Ingenieure hätten damals die Stimm- und Atemgeräusche im Cockpit ausgewertet, sagte ein Sprecher der Behörde. «Für uns gibt es keinen Zweifel.»

Van Beveren führte aus, man wisse nicht, was sich vor zwei Jahren abgespielt hat. «Wir haben alle Vermutungen. Aber Vermutungen sind keine Beweise.» Die Ermittler hätten sich schon nach 48 Stunden auf eine Absturzursache festgelegt. «Etwas Vergleichbares habe ich in den vergangenen 25 Jahren nicht erlebt.» Er verwies außerdem auf Turbulenzen, die es am 24. März 2015 über dem Absturzgebiet gegeben habe. Etliche andere Piloten hätten wegen der Luftlöcher an dem Tag niedrigere Flughöhen gewählt.

Der Schulleiter Ulrich Wessel aus dem westfälischen Haltern nannte die Pressekonferenz des Lubitz-Vaters eine «Provokation, ein Affront gegenüber den Eltern». Spanische Hinterbliebene nannten die Pressekonferenz eine Respektlosigkeit.

Bildquelle:

  • Günter Lubitz: dpa

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