von MARTIN D. WIND
Nein, souveräne und erwachsene Reaktionen sehen anders aus. Was derzeit zum Teil in den Analysen zum Abstimmungsverhalten in Deutschland lebender Türken zur „Verfassungsänderung“ in der Türkei zu lesen oder zu hören ist, ist nicht nur kaum glaublich sondern inzwischen gar in hohem Maße ärgerlich. Mit unerträglicher Rabulistik wird das Gastland und die Gesellschaft des Gastlandes dieser hier lebenden türkischen Menschen für deren Zustimmung zum Abbau grundlegender demokratischer Strukturen in der Türkei mitverantwortlich gemacht.
Im Tagesspiegel beispielsweise behauptet der „Migrationsforscher“ Haci-Halil Uslucan, die von Thilo Sarrazin angestoßene Debatte über Probleme mit eingewanderten Mitmenschen habe die Identifikation vieler Türken mit Deutschland erheblich gemindert. Das mag zwar durchaus sein, macht aber nicht den Überbringer der Botschaft verantwortlich für die Nachricht. Dennoch versteigt er sich gar zu der Behauptung „Sarrazin und Erdogan arbeiten Hand in Hand.“
In der Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) stellt die in den Medien oft zu Islam- und Integrationsproblemen befragte Lamya Kaddor uns alle unter Generalverdacht: „Eine Ursache liegt darin, dass sich viele Menschen in Deutschland nicht zugehörig fühlen. Es ist uns allen nicht gelungen – Deutschen wie Türken – dass sich Menschen mit türkischen Wurzeln als Teil Deutschlands fühlen.“
Das ist Chuzpe: Eine notwendige Diskussion zu Problemen, die aus der politisch fehlgesteuerten deutschen Migrationspolitik entstehen und Probleme aus ethnischen, sozialen und kulturellen Unterschieden zwischen Migranten und dem einheimischen Volk erwachsen, soll demnach ursächlich für das zweifelhafte politische Verhalten einer bestimmten Migrantengruppe sein? Nein. Verantwortlich dafür ist die mangelnde Reife derjenigen, die sich so trotzig verhalten. Oder was wollen diejenigen uns mitteilen, die diese Ursachentheorien verbreiten?
Es ist legitim über die ethnische Selbstüberhöhung in manchen Migrantenkreisen zu reden. Es ist notwendig über Auswüchse eines totalitären Religionsverständnisses zu diskutieren. Wir müssen deutlich machen dürfen, dass Frauen in unserer westlichen Zivilisation gleichberechtigt sind, dass Homosexuelle unbehelligt in unserer Gesellschaft das ihnen zupasskommende Leben führen wollen, dass wir unseren Rechtsstaat verteidigen wollen und keine Parallelgesellschaft oder -“justiz“ dulden werden. Das dürfen und das müssen wir einfordern und durchsetzen. Wir dürfen uns da auch nicht vor kindischem Fußaufstampfen und trotziger Großmäuligkeit zurückweichen, wie sie manchmal in medialem Diskurs aufscheinen.
Wenn die Migranten mit dieser Diskussion nicht umgehen können, wenn sie nicht vernünftig und erwachsen auf diese Diskussion in ihrer Gastgesellschaft reagieren können, dann ist daran nicht das autochthone Volk schuld, dann sind das charakterliche und soziokulturelle Defizite bei den Einwanderern. Wir haben es – das muss auch beachtet werden – nicht mit Menschen zu tun, die seit ein oder zwei Jahren in Deutschland leben. Wir haben es mit Menschen zu tun, die zum Teil in zweiter und dritter Generation in Deutschland sind. Sie hatten seit Jahrzehnten alle Angebote unserer Gesellschaft: Bildung, Krankenversorgung, soziale Absicherung, gesellschaftliche Teilhabe in Vereinen und Parteien. Dennoch gibt es – gerade im türkischen Milieu – das Phänomen der Abschottung auf Kosten der deutschen Gesellschaft: Man nimmt zwar bereits in der dritten Generation Transferleistungen des Sozialamtes in Anspruch, lehnt aber den deutschen Staat, die deutsche gesellschaftliche Verfasstheit und das deutsche Rechtssystem ab, bleibt aber dennoch hier im Lande und fühlt sich gleichzeitig als Türke, der Opfer der Ansprüche der deutschen Gesellschaft wird. So wird das nichts mit einer zielführenden Diskussion, Frau Kaddor und Herr Uslucan. Das sind zu wohlfeile Rechtfertigungsversuche, die die Migranten aus der Eigenverantwortung entlassen. Sie werden der deutschen Gesellschaft nicht gerecht.
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