Gute Reden, falsche Richtung: Die CDU ist „lost“ – Mehrheit beschließt Einführung einer Frauenquote

dpatopbilder - CDU-Chef Friedrich Merz spricht beim Bundesparteitag. Foto: Michael Kappeler/dpa

von KLAUS KELLE

HANNOVER – Die Aufrechten in der CDU, die auf einen Kurswechsel unter Merz gehofft hatten, haben gestern einen respektablen Kampf geliefert – aber am Ende schafften sie es (wieder) nicht. Am Abend stimmte der Bundesparteitag, das höchste Gremium der CDU, mit großer Mehrheit für die schrittweise Einführung einer Frauenquote. 559 Delegierte dafür, 409 dagegen bei elf Enthaltungen. Zwei Stunden tobte eine leidenschaftliche Debatte, 36 Delegierte traten ans Rednerpult und warben für und gegen die in der Union über Jahrzehnte verpönte Frauenquote. Bemerkenswert dabei: Es waren besonders junge Frauen, die gegen die Einführung der Quote stritten, die für sie reine „Symbolpolitik“ sei.

In der CDU zukünftig einen Teil der Mitglieder über den anderen – größeren – zu stellen, das sei „eine erzwungene Umverteilung von Ämtern“. Und überhaupt, gemischte Teams seien für die Lösung politischer Fragen, wesentlich kreativer und erfolgreicher.

Doof aber kein Beinbruch – wirklich?

„Eine Frauenquote ist doof, aber auch kein Beinbruch“, sagte mir am Vortag ein befreundeter CDU-Delegierter aus Nordrhein-Westfalen, der fest entschlossen war, dagegen zu stimmen. Aber das sei nicht der Markenkern, wichtig sei nun, die stümpernde Ampelregierung schnellstmöglich abzulösen.

Das ist wahrscheinlich so, aber dennoch darf man die Botschaft von Hannover nicht ignorieren: Parteichef Friedrich Merz, NRW-Wahlsieger und Ministerpräsident Hendrik Wüst und Schleswig-Holsteins Wahlsieger und Ministerpräsident Daniel Günther – sie alle stritten gestern für die Einführung der Frauenquote – begrenzt bis 2029, ein kleines Hintertürchen lässt man immer auf. Aber wir alle wissen, jetzt ist sie nun mal da, die Frauenquote, und jetzt wird sie auch nicht mehr geändert.

Friedrich Merz hatte den Parteitag mit einer begeisternden Rede eröffnet und scharfe Angriffe auf die Ampel-Koalition von Kanzler Olaf Scholz (SPD) abgefeuert. Jetzt sei Opposition pur. Die Union werde alles daransetzen, wieder «die bestimmende politische Kraft unseres Landes» zu werden: «Gerade in einer solchen Zeit, in der Führung, klarer Kurs und Handeln gefordert ist, leistet sich unser Land eine der wohl schwächsten Bundesregierungen aller Zeiten», sagte er. Mit Blick auf aktuelle Umfragewerte betonte Merz: «Wir sind zurück auf Platz eins unter den deutschen Parteien.»

Merz: „Stoppen Sie dieses rot-grün-gelbe Narrenschiff!“

Merz verlangte von Scholz eine Kurskorrektur in der Energiepolitik. «Stoppen Sie dieses rot-grün-gelbe Narrenschiff auf diesem Kurs, auf dem Sie sind», rief er unter dem Jubel der Delegierten. Besonders scharf attackierte er Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Nur mit Kinderbüchern und Philosophie könne man die Probleme des Landes nicht lösen, ätzte Merz in Richtung Habeck und zitierte den Titel des von Habeck verfassten Buches «Kleine Helden, große Abenteuer». Er fuhr fort: «Wir sind nicht Bullerbü. Wir sind die viertgrößte Industrienation der Welt, die es sich nicht leisten kann, ein Trainee-Programm für Bundeswirtschaftsminister aufzusetzen.»

Ja, die Rede des Vorsitzenden war gut und brachte die Reihen in Hannover in Stimmung. Der CDU-Chef warnte vor Antisemitismus von der politischen Linken. «Antisemitismus wird nicht dadurch besser, dass er von links kommt», sagte er. «Von beiden Seiten aus müssen wir uns in diesem Lande dagegen wehren, was hier gerade passiert, und klarstellen, dass dies auf null Toleranz stößt in Deutschland.» Eine scharfe Trennlinie zog Merz erneut zwischen CDU und AfD. «Niemals und an keiner Stelle» werde es eine Zusammenarbeit von CDU und CSU mit der AfD geben, sagte er – «im Bund nicht, in den Ländern nicht, in Europa nicht».

Tatsächlich ist die Union, sind CDU und CSU in Deutschland, in allen Umfragen deutlich auf dem ersten Platz. Wahrscheinlich hätten sie 2021 die Bundesregierung bilden können, wenn der Bundesparteitag zuvor nicht den völlig überforderten Kanzlerkandidaten Armin Laschet nach vorn geschoben hätte, einzig, um irgendwie Merz zu verhindern. Alles tragisch, aber hausgemacht.

Ulf Poschardt, der kluge Kof an der Spitze der einstmals konservativen „Welt“ kommentierte den CDU-Parteitag gestern wie folgt:

„Die Union stellt sich in die bereits bestens repräsentierte, satte grüne Mitte des Landes und blickt desinteressiert auf die nicht-akademischen, bald prekären Milieus, welche nicht nur unter Inflation und baldiger Rezession leiden oder leiden werden, sondern unter der Verächtlichmachung ihres Lebensstils, ihrer Sprache, ihrer Wünsche und Träume.

Die CDU wird gebraucht. Eine schwarz-gelbe Koalition, eine Art moderne sozialliberale Koalition, wäre der einzig nicht nostalgische Aufbruch. Aber sie ist als Projekt ausgelöscht. Die Verehrung der Union für die „Modernität“ der Grünen ist ein Synonym, wie „lost“ die Partei ist im Verständnis des Zeitgeistes.“

Am Morgen finde ich eine Reihe WhatsApp-Nachrichten von befreundeten CDUlern, die zum Teil auch in Hannover sind und sich völlig desillusioniert äußern. „Es wird auch mit Merz keine Änderung des Merkel-Kurses geben“, schreibt einer, den ich seit vielen Jahren kenne. Und weiter: „Nur die Reden sind jetzt wieder kernig….“

Bildquelle:

  • Friedrich Merz: dpa

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.