von TOBIAS-B. OTTMAR
AHRWEILER – Es stinkt nach Schlamm und Unrat. Autos und Trümmer türmen sich auch noch acht Tage nach der Flutkatastrophe am Straßenrand von Ahrweiler. An allen Ecken und Enden bringen Menschen ihr zerstörtes Eigentum auf die Straße. Helfer schippen Schlamm aus Kellern und Wohnungen. Mit großen Baggern und Radladern wird der Sperrmüll abtransportiert. Was man sonst aus Katastrophenfilmen oder fernen Ländern kennt, ist mitten in Deutschland Realität geworden. Die Menschen vor Ort sprechen von Zerstörungen wie im Krieg.
Angesichts der verheerenden Schäden an der gesamten Infrastruktur scheint dies keine Übertreibung zu sein. Mit einer solchen Flut hatte hier keiner gerechnet. Brücken und Schienen sind zerstört, manche Orte von der Außenwelt abgeschnitten. Immer wieder fliegen Hubschrauber durch die Gegend. Die Wasser- und Stromversorgung wird über Monate wohl nicht funktionieren.
Für Michael ist die ganze Situation bis heute noch surreal: „Ich schaute aus dem Dachfenster, auf einmal kam die Ahr immer näher zu uns.“
Binnen kurzer Zeit standen nicht nur sein Keller, sondern auch das Erdgeschoss unter Wasser. Mit seiner Frau konnte er sich im Obergeschoss in Sicherheit bringen. Seit Tagen schuften er und einige Kollegen nun, um den Unrat rauszubringen. So richtig fassen kann er noch nicht, was die Wassermassen hier angerichtet haben. Seine Frau Iris berichtet unter Tränen, dass dies für sie nun der absolute Tiefpunkt eines ohnehin schon schweren Jahres war. Ein Lichtblick für sie sind die Freiwilligen, die einfach anpacken.
„Ich sah Mitarbeiter von „Samaritan’s Purse“, die habe ich einfach angesprochen. Sie kamen und halfen uns.“ Kaum 24 Stunden nach Abklingen der Flut waren erste Ehrenamtliche der christlichen Hilfsorganisation in Ahrweiler. Inzwischen kommen jeden Tag 60 bis 80 Menschen – und in Kürze sollen es dank eines Aufrufs der Youtube-Influencer Real Life Guys noch mehr werden. Sogar aus den USA sind Katastrophenhilfeexperten von Samaritan’s Purse eingeflogen. Sie haben internationale Erfahrungen bei der Koordinierung von Hilfseinsätzen wie nach solchen Fluten. Neben der praktischen Hilfe geht es auch darum, den Menschen zuzuhören und ihnen, wenn sie möchten, ein Gebet anzubieten. So wie Lydia. Sie hat ein Gebäude in der Innenstadt, was sie an ein neu zu eröffnendes Restaurant vermieten wollte. Nun sind diese Pläne erstmal in weiter Ferne. Die zugehörige Kegelbahn wird sie möglicherweise ganz abreißen. Immerhin: Sie hat eine Versicherung. Doch auch sie kann noch nicht richtig fassen, was hier passiert ist.
Koordination ist wichtig
Unterdessen sind die verschiedenen Hilfsorganisationen bemüht, die Flut an Freiwilligen gut zu koordinieren. Von überall her kommen kleinere und größere Gruppen an Menschen. Beim christlichen Missionswerk „To all Nations“ aus Bornheim bei Bonn, das eng mit Samaritan’s Purse zusammenarbeitet, hat man ein Lagezentrum eingerichtet. Dort hat man in Echtzeit den Überblick, welche der eigenen Freiwilligengruppen gerade wo vor Ort ist und welche Aufgaben zu erledigen sind. Koordination ist in dieser Situation das A und O, damit nicht in dem ohnehin vorhandenen Chaos weiteres entsteht. Die „barmherzigen Samariter“ werden in Teams eingeteilt und erhalten klare Anweisungen, was zu tun ist. Neben der harten Arbeit wird auch für das leibliche Wohl gesorgt: Ein paar junge Männer haben Grills aufgebaut, einige ältere Damen servieren „Chili con carne“ und gegenüber verteilt ein mobiler Imbisswagen Gratis-Pommes an die Helfer. Und auch der Zusammenhalt der Region ist sichtbar: Ein Baumarkt gibt für Anwohner gratis Material aus, Unternehmen stellen Helfer unbürokratisch von der Arbeit frei und wer schweres Gerät hat, schickt es in die Region.
Sorge vor Plünderungen
Während die Freiwilligen abends verschwitzt und schlammverschmiert in ihre Massenquartiere oder das eigene Zuhause zurückkehren, bleibt manch ein Anwohner zurück – obwohl es weder Strom noch Wasser gibt. Zu groß ist die Sorge, dass ihnen das wenige Hab und Gut noch von Plünderern gestohlen wird. „Wir haben einen Generator alle paar Stunden laufen, um den Kühlschrank anzumachen. Die Spülung betätigen wir mit Regenwasser. Und ab und zu gehe ich in der Nähe bei meinem Schwager duschen“, erzählt Michael.
Neben dem materiellen Verlust wiegt der Verlust von Angehörigen oder Freunden noch schwerer. Wir hören von Leuten, die es „gerade so“ noch geschafft haben – und von anderen, die von den Wassermassen im Schlaf überrascht wurden. An manchen Häusern ist notiert, wann sie auf Überlebende kontrolliert wurden – und mit welchem Ergebnis. Der Bedarf an Seelsorge bis hin zu therapeutischer Begleitung wird in den kommenden Monaten immens sein – und eine Herkulesaufgabe für die Organisationen und Kirchen. Während Länder und Kommunen finanzielle Hilfe zusichern, braucht es verstärkte Angebote, die die Menschen in ihrer emotionalen Not auffangen. Das ist auch das Anliegen von Samaritan’s Purse: Brücken zu bauen zu Gemeinden vor Ort, die auch dann noch für die Menschen da sind, wenn die Helfer abgezogen sind und das mediale Interesse nachgelassen hat.
Eine Hoffnung äußern die Menschen in Ahrweiler immer wieder: Dass die Welle der Solidarität und der neue Zusammenhalt der Gesellschaft weiter wächst. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich vertraue Gott, dass er uns hilft, neu anzufangen“, sagt ein Anwohner.
Wer die Arbeit von „Samaritan’s Purse“ unterstützen will, findet hier alle Informationen:
Bildquelle:
- Ahrweiler_Samarian’s_Purse: die.samariter.org