Innehalten für die Verstorbenen in der Corona-Pandemie

ARCHIV - Will den Blick nicht nur auf diejenigen richten, die an den Folgen des Virus gestorben sind: Frank-Walter Steinmeier. Foto: Markus Schreiber/AP/dpa

BERLIN – Es soll ein Moment des Innehaltens im Corona-Alltag von Inzidenzwerten, Lockdown-Debatte und Impfkampagne werden.

An diesem Sonntag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier all denen ein Gesicht und eine Stimme geben, die in diesem Alltag allzu oft zu kurz kommen: die Verstorbenen und ihre Angehörigen. 79.628 Leben hat die Pandemie bis zum Freitag schon gekostet – «eine erschütternde, verstörende Dimension», hatte Steinmeier bereits Anfang März in einem Gespräch mit Hinterbliebenen gesagt, als die Zahl der Toten noch um einige Tausend niedriger lag.

So werden an diesem Sonntag die Spitzen der fünf Verfassungsorgane als höchste Repräsentanten des Staates zusammenkommen – erst zu einem ökumenischen Gottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche und später zur eigentlichen Gedenkveranstaltung im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Es wird ein Gedenken im kleinsten Kreis werden, zusammen mit fünf Menschen, die während der Pandemie Angehörige verloren haben. Das ist der Infektionslage geschuldet und steht zugleich sinnbildlich für die Einsamkeit, in der während der Pandemie viele Menschen sterben und in der ihre Angehörigen oft genug zurück bleiben.

Aus Sicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche (EKD) in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, ist dieses Gedenken des Staates unverzichtbar. «Die Sterbezahlen sind so dramatisch, dass wir genau das jetzt brauchen. Hier trauert eine ganze Gesellschaft um viel zu viele Tote, das verdient öffentliche Anteilnahme», sagt der Landesbischof im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Trauer sei nicht nur etwas Privates. «Es gibt auch so etwas wie öffentliche Seelsorge.» Genau diese sei nun notwendig. «Es spielt eine große Rolle, ob Menschen, die trauern, das Gefühl haben, dass sie von einer Gemeinschaft getragen sind, vielleicht sogar von der Gemeinschaft eines ganzen Landes. Wir wissen als Kirche sehr genau, wie wichtig dieses Getragensein durch das Gebet und die Anteilnahme anderer Menschen ist.»

In den zurückliegenden Monaten hätten Inzidenzwerte, virologische Befunde und praktische Fragen des Alltags im Vordergrund gestanden, sagt Bedford-Strohm. «Aber was dieses Virus mit der Seele macht, das hat viel zu wenig öffentliche Beachtung gefunden.» Deshalb sei es gut und wichtig, dass jetzt das Thema Sterben und Tod ins Zentrum gerückt werde. «Und es ist einfach so, dass dazu öffentliche Akte ein wichtiger Ort sind.» Der EKD-Ratsvorsitzende wird zusammen mit dem Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, den ökumenischen Gottesdienst vor der Gedenkfeier halten.

Ein öffentlicher Akt – der Bundespräsident versteht ihn als Angebot an die Gesellschaft, wohl wissend, dass sich Trauer, Mitgefühl und Empathie nicht staatlich verordnen lassen. Und dass mit einem Gedenkakt allein nicht zu bewältigen ist, was Corona für den Einzelnen und die Gesellschaft bewirkt. Dieser Akt soll nicht nur an die Verstorbenen erinnern und ihren Angehörigen Trost geben. Steinmeier will den Bogen weiter spannen. Er spricht bewusst nicht von den Verstorbenen oder Opfern der Pandemie, sondern in der Pandemie. Aus seiner Sicht geht es darum, in Würde auch von jenen Abschied zu nehmen, «die nicht dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber genauso einsam gestorben sind», wie er bei dem Gespräch mit Hinterbliebenen sagte.

Steinmeier will, so hieß es vorab aus dem Präsidialamt, auch auf das Schicksal jener hinweisen, die – ohne infiziert worden zu sein – durch das Virus und seine Bekämpfung Schaden genommen haben. Die beispielsweise durch Isolation und Einsamkeit erkrankt sind oder die Opfer von häuslicher Gewalt und Missbrauch wurden. Nicht zuletzt will er an die Ärzte und Pfleger erinnern, die Tag und Nacht um das Leben ihrer Patienten gekämpft haben. Und noch immer kämpfen. Und die gerade an den Rand der Überforderung geraten, weil sich die Intensivstationen rasend schnell mit schwer kranken Patienten füllen.

Der Moment des Innehaltens, um den es Steinmeier geht, er soll möglichst das ganze Land erfassen. Gottesdienst und Gedenkakt werden live in ARD und ZDF übertragen. In vielen Kommunen sind kleinere Gedenkveranstaltungen geplant. Bundesweit werden am Sonntag die Flaggen an öffentlichen Gebäuden auf Halbmast gesetzt sein. Und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten aller 16 Länder riefen ihre Bürger am Freitag dazu auf, bis einschließlich sonntagabends eine Kerze ins Fenster zu stellen. Diese Form des Gedenkens unter dem Hashtag «#lichtfenster» geht ebenfalls auf Steinmeier zurück.

Bildquelle:

  • Frank-Walter Steinmeier: dpa

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